Torpedo - Gesamtausgabe (Comic)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Mittwoch, 31. August 2016 10:38

E. S. Abuli
Torpedo - Gesamtausgabe
Zeichnungen: Jordi Bernet & Alex Toth
Übersetzung: Silvia Krismann & Joaquim Balada Hartmann
Cross Cult, Hardcover, 736 Seiten, 60,00 EUR, ISBN 978-3-86425-839-8
Rezension von Christel Scheja
Vor „Sin City“ gab es „Torpedo“, eine von Enrique Sanchez Abuli und Jordi Bernet für das „Creepy“-Magazin gestaltete Serie um einen Auftragskiller, der Mitte der 30er Jahre sein Unwesen in den großen Städten Amerikas treibt und dabei keine Gnade kennt, weder gegenüber denen, die er abknallen soll, noch denen, die ihn verraten. Die Serie gewann 1986 den Preis für das Beste Album auf dem Comic-Festival von Angoulême.
Cross Cult veröffentlichte die Serie bereits in fünf Bänden und legt nun noch einmal eine limitierte Gesamtausgabe mit signiertem Art-Print vor.
Luca Torelli, ein italienischer Einwanderer, übt einen ganz besonderen Beruf aus. Er ist ein Torpedo, ein sogenannter Auftragskiller, der für jeden, der ihn gut bezahlt, Feinde und Freunde, Verräter und zu neugierige Typen erledigt. Und dabei kennt er keine Gefühle, keine Loyalität - vor allem nicht, wenn man es wagt, ihn zu verraten. Das bekommt nicht nur eine Frau an seiner Seite zu spüren, sondern alle. Ob wasserstoffblonde oder schwarzhaarige Femme fatale, in seiner Welt regiert nur das Misstrauen, das kurze Vergnügen, die Lust am Töten überwiegt die am Sex.
Als Sohn eines gewalttätigen Vaters, der seinen Bruder Marco umbrachte, hat er schon früh gelernt, dass nur eines zählt: schneller und skrupelloser als der andere zu sein und Chancen zu ergreifen, wenn sie sich bieten, auch wenn letztendlich nichts Moralisches dabei herauskommt.
In seinem Fach ist er erfolgreich, auch wenn ihn der ein oder andere Mafia-Boss übers Ohr zu hauen versucht, Kumpel im Gefängnis sich als miese kleine Verräter erweisen, die einen schneller ans Messer liefern als er „Piep“ sagen kann. Aber er macht ihnen keinen Vorwurf daraus, handelt er doch ähnlich. Luca Torelli ist letztendlich mit allen Wassern gewaschen. Kein Wohltäter und Held mit dunklen Zügen, sondern ein durch und durch verdorbener Killer, der letztendlich nur an sich denkt, weil das letztendlich die Essenz seines Lebens ist.
Ein dicker und schwerer Wälzer kommt auf den Fan zu, wenn er sich die über siebenhundert Seiten dicke Gesamtausgabe von „Torpedo“ besorgt. Der Inhalt entspricht wohl mehr oder weniger dem der Einzelbände, auch wenn das entsprechende Zusatzmaterial fehlt, Dafür gibt es am Ende aber ein ausführliches Essay über die Entstehungsgeschichte und Entwicklung von „Torpedo“, sowie ein ausführliches Interview mit dem Autor. Das besondere Schmankerl ist wohl der signierte Art-Print.
Die Sammlung enthält alle „Torpedo“-Geschichten. Kaum eine davon ist länger als zehn oder fünfzehn Seiten und so gut wie keine hängt mit einer anderen zusammen, so dass der Leser im Prinzip anfangen und aufhören kann, wo er will, da keine Kontinuität zu erkennen ist und einschneidende Erlebnisse keine Auswirkungen über die entsprechende Story hinaus haben - was vor allem bei seiner Einbuchtung in den Knast und der danach folgenden Bewährung zu spüren ist.
Die schwarzweißen Zeichnungen sind bewusst im Stil der Illustrationen gehalten, die man aus den Zeitschriften und Pulp-Heftchen der 30er Jahre kennt. Hart und kantig präsentieren sie den Helden, dessen verschlagene Skrupellosigkeit und lässige Haltung gegenüber dem Tod schon in seinem Gesicht abzulesen ist. Frauen sind in erster Linie eines: Gut gebaut und sexy, mit den süßen Schmollmündern und großen festen Busen ausgestattet, die man von den Pin-ups her kennt. Und dementsprechende Rollen nehmen sie in der Geschichte auch ein, sind in der Unterwelt nicht mehr als Gespielinnen der Bosse und des Killers.
Die meisten Figuren haben das Aussehen, das ihre Rolle charakterisiert; es gibt die schmierigen kleinen Mitläufer, die von ihrer Dekadenz gezeichneten, fetten Mafia-Paten, die tumben Schläger, die ihren Lebensunterhalt auch als Preisboxer verdienen und die anderen knallharten Verbrecher, die der Hauptfigur ans Leben wollen.
Die Serie versucht in kontrastreichen Bildern die Atmosphäre des Crime-Noir-Genres zum Leben zu erwecken, bedient bewusst alle damit verbundenen Klischees. Auch Hintergrund und Kleidung sind im Stil der 30er Jahre gehalten - eben so, wie man sie aus den zahlreichen Gangsterfilmen kennt. Autor und Künstler erlauben sich manch eine leichte Hommage an die alten Streifen - nicht nur in der Darstellung der Figuren, sondern auch in der Atmosphäre, die über allem liegt. Zudem vermeiden sie es bewusst, Luca Torelli zu einem Helden hoch zu stilisieren, der trotz aller Härte doch noch ein Herz zu haben scheint, was die Serie richtig gemein macht und aus der Masse ähnlicher Titel heraushebt.
„Torpedo“ will nichts anderes sein als ein Comic für Erwachsene, der bewusst die moralischen Grenzen des Genres überschreitet, auch wenn Sex, Gewalt und Brutalität eher gemäßigt dargestellt werden. Aber die durch die Zeilen schimmernde Einstellung des Protagonisten zur Welt und seinen Job sagt Einiges aus und ist nicht immer leicht zu verkraften, vor allem wenn man Hoffnung auf ein gutes Ende für die Figuren hat.
Fans düsterer Gangster- und Großstadt-Thriller werden „Torpedo“ als kaltschnäuzige Antwort auf all die weichgespülten Crime-Noir-Storys zu schätzen wissen, die man heute in Film, Fernsehen, Romanen und Comics findet. Denn Autor und Künstler wissen genau, wo sie Grenzen überschreiten dürfen und was sie sich erlaubten können, ohne zu sehr in Klischees zu verfallen und dadurch mit dem Mainstream zu laufen.
Luca Torelli ist durch und durch - ohne Abstriche und Schwächen - ein kaltblütiger Killer ohne Gewissen, der für Geld mordet und auch sonst eher eine zynische Sicht auf die Welt hat. Warum dem so ist, das erfährt man nach und nach; was die Figur umso faszinierender und außergewöhnlicher macht, denn die Macher bleiben dabei konsequent und bieten zudem gute actionreiche Unterhaltung, die selbst die formelhaften Tötungsaufträge gekonnt variieren.