Edward Lee & Elizabeth Steffen: Porträt der Psychopathin als junge Frau (Buch)

Edward Lee & Elizabeth Steffen
Porträt der Psychopathin als junge Frau
(Portrait of the Psychopath as a Young woman)
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Jochen Herlitz
Titelillustration von Arndt Drechsler
Festa, 2016, Paperback, 472 Seiten, 13,95 EUR, ISBN 978-.3-86552-416-4 (auch als eBook erhältlich)

Von Carsten Kuhr

Kathleen wurde als Kind von ihrem Onkel sexuell missbraucht. Sie hat, dank professioneller Hilfe, die ihr sich schuldig fühlender Vater bezahlt hat, das Trauma überwunden - glaubte sie zumindest. Jetzt lebt sie in einem der besseren Viertel von Washington DC, schreibt als Journalistin eine Kolumne für ein Frauenmagazin, in der sie ihren weiblichen Fans Ratschläge zu deren Beziehungen gibt. Sie selbst aber ist allein, öffnet sich niemandem, und hatte seit zwei Jahren keinen Sex mehr.

Eines Tages erhält sie mit der Post aus ihrer Redaktion einen etwas größeren Umschlag. Als sie diesen öffnet bekommt sie weder das übliche Schreiben eines begeisternden Fans noch eine Zuschrift, die ihr das aktuelle Problem einer Frau schildert. Nein, sie bekommt das Angebot, eine Geschichte erzählt zu bekommen - die Geschichte einer Psychopathin! Mit hineingepackt in den Umschlag hat die Anfragende einen abgeschnittenen Penis eines ihrer Opfer.

Natürlich geht Kathleen zur Polizei und trifft dort auf den einzelgängerischen, schwulen Spence, den ermittelnden Detective mit einem Abschluss in Psychologie.

Während Kathleen auf einer Lesung einen Dichter kennenlernt, der Detective sie psychisch unter Druck setzt, hat die Serienmörderin ihre Taten fortgesetzt. Spence findet in abgestellten Nobelkarossen zerstückelte Leichen, deren Münder mit einem chirurgischen Faden verschlossen wurden, deren Trommelfelle durchstochen und der Augennerv mittels eines medizinischen Spezialgeräts penetriert wurde.

Während Spence versucht, die rothaarigen Killerin zu finden, schildert diese in Briefen der Journalistin ihre Jugend, in der sie als Kind vom Vater missbraucht wurde und die Rache, die sie im Zeichen des Kreuzes an den Männern nimmt - nicht ahnend, dass die beiden Frauen weit mehr verbindet, als ein grausames Schicksal…


Edward Lee ist dem Leser moderner Horror-Romane als Autor des Extrem-Horrors bekannt. Seine Schilderungen triefen üblicherweise vor Blut, abartige sexuelle Praktiken rücken ins Zentrum seiner Plots und es wird unappetitlich.

Vorliegend liegt der Fall anders. Hier zeigt uns Lee, der den Roman zusammen mit Elizabeth Steffen verfasst hat, einer Polizistin, die sich auf Serienkiller-Fälle spezialisiert hat, ein anderes, differenzierteres Bild. Man merkt der Handlung an, dass hier viel Fachwissen mit eingeflossen ist. Vor unseren Augen nehmen zwei Figuren Gestalt an, die als geschundene Charaktere von ihrer jeweiligen traumatischen Vergangenheit geprägt sind. So unterschiedlich sie ihren Missbrauch verarbeitet beziehungsweise kompensiert haben, so ähneln sich die Missbrauchstaten, denen sie ausgesetzt waren.

Hier ziehen uns die Autoren in ihren Plot hinein, lassen uns mit ihren Figuren leiden und machen ihre Taten verständlich, wenn auch nicht akzeptabel.

Erstaunlich eigentlich, dass Lee hier fast gänzlich auf sein Lieblingsthema, den etwas abartigen Sex verzichtet. Zwar beschreibt er - ich gehe davon aus, dass diese Passagen aus seiner Tastatur stammen - den Akt deutlich, nicht aber wirklich plakativ oder pornografisch wie in späteren Werken. Das ist zwar bestimmt kein Blümchen-Sex, ordnet sich aber der Handlung, dem stimmigen Bild der Personen und des Plots unter.

Stattdessen stehen die beiden auf den ersten Blick so ungleichen Frauen im Zentrum des Romans. Was trotz oder gerade wegen des Missbrauchs aus ihnen wurde, wie sie mit den traumatischen Kindheitserinnerungen umgehen, wie das Schicksal und die Autoren sie aufeinander stoßen lassen, das macht das Buch interessant und packend.

So ist dies ein früher Lee, der uns einen Autor zeigt, der weitgehend ohne abartige Schilderungen auskommt, der vermutlich, aufgrund seiner Co-Autorin, sehr überzeugende psychische Profile präsentiert und die Polizei-Arbeit detailliert darstellt. Der Roman lebt dabei von den geschundenen Charakteren und deren Versuch, sich mit dem Erlebten abzufinden und dieses zu verarbeiten.