Edward Lee & John Pelan: Shifters - Radikal Böse (Buch)

Edward Lee & John Pelan
Shifters - Radikal Böse
(Shifters)
Titelillustration von Arndt Drechsler
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Manfred Sanders
Festa, 2016, Paperback, 380 Seiten, 13,95 EUR, ISBN 978-3-86552-447-8 (auch als eBook erhältlich)

Von Carsten Kuhr

Seattle ist nun in den USA nicht unbedingt der Nabel der Welt. Los Angeles, San Francisco oder New York, das sind Städte, deren Namen klingen, deren Flair Touristen wie Glückssuchende anziehen. Doch auch in Seattle gibt es Menschen die träumen, die lieben und die ihre Verzweiflung und Freude kreativ nutzen.

Locke ist ein solcher Mensch. Er lebt von den Zinsen, von dem Guthaben, das seine Eltern ihm vermacht haben und gibt sich sonst gleichermaßen dem übermäßigen Genuss des Alkohols und seiner Muse hin - er ist Dichter, Lyriker noch dazu. Damit, das weiß er, ist merkantil kein Blumentopf zu gewinnen, allein, er ist glücklich.

Oder sollte ich lieber sagen, er war glücklich? Die Liebe seines Lebens verließ ihn, weil sie ihn nicht mehr liebt, ein Unbekannter, ein schreibender Kollege, bringt sich aus Liebeskummer vor seinen Augen um. Damit noch nicht genug, wird sein Freund, ein Bestseller-Autor, grausam ermordet, dessen Körper von der Täterin größtenteils verspeist.

Dass die Polizei in Form des etwas ungewöhnlichen Inspektors Cordesman ihn vernimmt, ist bei diesen Katastrophen, die unseren Locke heimsuchen, verständlich, schließlich jagt der Inspektor eine rothaarige Serienkillerin, die in ganz Seattle grausam zugerichtete, teilweise verzehrte Leichen hinterlässt. Wie dies alles zu dem neuen Mäzen unseres Lyrikers passt, wer wirklich hinter den Verbrechen steckt und wie diese aufgelöst werden, das dürfen Sie gerne nach- und weiterlesen…


Wir kennen Edward Lee als den Meister des ekelerregenden Horrors. Wie kein anderer stellt er die plakative Darstellung von Perversionen sowohl sexueller wie gewaltbetonter Art ins Zentrum seiner Romane. Für seine Verhältnisse ist vorliegender Roman wahrlich zahm ausgefallen. Ich weiß nicht, ob dies an seinem Co-Autor liegt, oder er sich in seinem Frühwerk - der Roman wurde erstmals 1997 veröffentlicht - noch nicht wirklich getraut hat, alles was ihn später berühmt-berüchtigt machen würde, zu offenbaren.

Im Zentrum steht zunächst die durchaus faszinierend aufgezogene Suche nach der Täterin. Dabei zeichnen die beiden Autoren interessante Figuren, während die Bühne Seattle eigentlich kaum deutlich wird. Alles konzentriert sich auf die Beschreibung des Seelenzustands unseres Dichters, den eingeschobenen Sequenzen, die uns die Täterin vorstellen und dem Cop. Letzterer scheint mir, gerade in Abgrenzung zum „Weichei und Warmduscher“ Locke, der durch seine selbstmitleidige, nölende Art nicht eben Sympathie-Punkte sammelt, als wunderbar gelungener Kontrast. Hier begegnet uns ein Mann, der kantig ist, der sich nicht einfügt und anpasst, uns als unbequem aber kompetent vorgestellt wird.

Und dann begegnen die Beiden, wie so oft in späteren Lee-Büchern, dem Bösen. Allerdings dieses Mal nicht in Form von geschmacklosen Sadisten, und auch die vulgäre Fäkalsprache sucht man vorliegend weitgehend vergeblich. Stattdessen machen uns die Autoren neugierig darauf, wer sich hinter den Morden verbirgt, wie die Träume, die Opfer wie Zeugen heimsuchen, einzuordnen sind und ob und wie der oder die Täter schlussendlich zur Rechenschaft gezogen werden.

Erst sehr spät kommt es dann doch noch zur Schilderung von grausamen Folter-Szenen und dem erzwungenem Akt. Davor aber gibt es ganze Kapitel, in deren Dialogen die beiden Protagonisten sich über die Kunst austauschen, in denen philosophische Gedanken und Überlegungen kontrovers diskutiert werden. Das wird all den vielen Fans, die Lees Romane aufgrund seiner ihm so typischen extremen Schilderungen lesen missfallen, passt auch nicht unbedingt zueinander. Statt aus den Unterschieden Spannung zu ziehen, wirken die Übergänge wie harte Brüche, treffen Welten aufeinander. Hier, die vulgäre Darstellung von Perversionen, dort die gehobene geistige Auseinandersetzung mit der Kunst und dem Leben. Das ist letztlich auch stilistisch so verschieden, dass es schlicht nicht zusammenpasst und den Leser rätselnd zurücklässt.

Aus den durchaus interessanten Grundzügen des Plots wird ein Mischmasch aus einander konträr gegenüberstehenden Sequenzen, das offene Ende wirkt, obzwar durchaus passend, nicht wirklich rund. So ist der Roman weder Fisch noch Fleisch, zeigt aber, dass die beiden beteiligten Autoren, wenn sie sich denn auf eine Vorgehensweise hätten einigen können, einen packenden, interessanten Plot hätten vorlegen können.