Nicole Gozdek: Die Magie der Namen (Buch)

Nicole Gozdek
Die Magie der Namen
Mit einer Karte von Timo Kümmel
Ivi, 2016, Hardcover, 364 Seiten, 16,99 EUR, ISBN 978-3-492-70387-1 (auch als eBook erhältlich)

Von Gunther Barnewald

Das vorliegende Buch ist der Siegertitel eines Schreibwettbewerbs, den der Piper Verlag in Zusammenarbeit mit Wattpad, der Schreibplattform einer Online-Community, veranstaltet hatte. Zwar hat die Autorin bereits ein Kinderbuch veröffentlicht, die vorliegende Geschichte gewann jedoch durchaus (trotz einiger Schwächen) zu Recht das Herz der Jury.

 

In Mirabortas herrschen seltsame Verhältnisse: Es ist unter Strafe verboten, Kindern und Jugendlichen Namen zu geben, alle erhalten Nummern und werden schon als Babys kurz nach der Geburt an zentrale Stellen abgegeben, wo diese Kinder unter den Fittichen von Betreuern aufwachsen. Erst mit einem bestimmten Alter erhalten die Jugendlichen von einer Magierin oder einem Magier ihren „wahren” Namen, wobei dies fast wörtlich zu verstehen ist, denn mit der Namensgebung fährt die Seele eines Verstorbenen in die Körper der Betroffenen und verändert ihn schlagartig. In Sekundenschnelle wachsen die Jugendlichen heran und nehmen teilweise ein völlig verändertes Aussehen an.

Leider funktioniert dies bei dem jungen Protagonisten zuerst gar nicht so recht. Nicht nur, dass die Magierin ihm einen völlig unbekannten Namen zuweist, nein, sein Körper scheint sich zuerst gar nicht zu verändern und er erlangt auch kein besonderes Wissen oder besondere Fähigkeiten. Und so beschließt die ehemalige Nr. 19, der jetzige Tirasan Passario, in die zentrale Stadt Himmelstor zu reisen, um sich dort offiziell anerkennen zu lassen (was ehedem jeder und jede neu „Benamte” tun muss, wobei fraglich bleibt, warum nicht alle zusammen dorthin reisen) und mehr über sich zu erfahren.

Zusammen mit anderen aus seinem Jahrgang reist er los. Doch schnell wird klar, dass jemand den Neuernannten ans Leben will und bald argwöhnt der junge Mann, dass diese Anschläge sogar ihm selbst gelten könnten. Doch wer zur Hölle ist eigentlich Tirasan Passario?


Die Geschichte ist sehr gefällig erzählt und besticht vor allem durch die wunderbare Grundidee, eine Welt zu konstruieren, in der die Seelen der Verstorbenen immer wiederkehren und dabei die Körper von Jugendlichen übernehmen. Um diese Magie nicht zu stören, darf niemand vor der offiziellen Benennung „benamt” werden, hätte dies doch nahezu tödliche Folgen für die Kinder.

Um keine familiären Verhältnisse aufkommen zu lassen, hat sich deshalb die Gesellschaft von Mirabortas entschlossen, Kinder schon im ersten Lebensjahr in Heime abzugeben, wo sie professionell betreut, erzogen und aufgezogen werden, was so manchem Elternteil das Herz bricht oder zur Auflehnung dieses Menschen gegen das starre System. Berufsgilden und deren Zugehörigkeit ersetzen nach der Benamung dann die Funktion von Familien.

Ob dies realistisch erscheint, darf durchaus angezweifelt werden, stört aber beim Lesen dieser ideenreichen Fantasy wenig. Bedauerlicher sind dagegen gewisse erzählerische Unzulänglichkeiten, welche man aber einer relativ „neuen” Autorin durchaus nachsehen kann. Landschaftliche Beschreibungen, Architektur, Flora, Fauna, Wetter und ähnliches fehlen nämlich leider entweder vollständig oder doch zumindest größtenteils (wenn es dann ein einziges Mal regnet, ist man als Leser richtig dankbar!). Wie viele Autoren heutzutage konzentriert sich Gozdek zu sehr auf Handlung und Dialoge, schmückt kaum eine Szene üppiger aus und wären nicht die tollen Grundideen dieser magischen Welt, würde kein Hahn mehr nach dieser Geschichte krähen.

Noch viel bedauerlicher ist jedoch das Ende des Romans, der die ganze magische Welt „vernichtet” und sogar den mutig konstruierten homosexuellen Charakter eines der Protagonisten komplett „ausradiert”, was extrem bedauerlich ist.

Überhaupt ist das etwas schwache und leider auch unwürdige Ende der Erzählung ihr größtes Manko. Das süßliche Happy End fegt alles Böse hinweg und lässt nur Gutes zurück? Mein Gott, welch ultralangweilige Welt würde hier entstehen (ganz abgesehen von den Implikationen, die es hätte, wenn ein einzelner Mensch tatsächlich eine solche Macht hätte)!

Summa summarum eine phantasievolle, intelligente Geschichte mit leichten erzählerischen Schwächen, deren Lektüre bis zum „vergurkten” Ende großen Spaß bereitet, dann jedoch großes Bedauern (und vielleicht auch Ärger) bei vielen Lesern auslösen dürfte, über die von der Autorin hier eingebaute Selbstzerstörung, welche diese zwar nicht „schöne” aber doch extrem interessante Welt leider vollständig zerschmettert. Extrem bedauerlich! Und aus meiner Sicht kein wirkliches angenehmes oder gar erfreuliches Ende, obwohl es dies wohl darstellen soll!