Edward Lee: Die Minotauress (Buch)

Edward Lee
Die Minotauress
(The Minotauress)
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Michael Krug
Titelillustration von Timo Wuerz
Festa, 2015, Paperback, 348 Seiten, 12,80 EUR (auch als eBook erhältlich)

Von Carsten Kuhr

Willkommen in Luntville, einem kleinen, vergessenen Kaff im Süden der USA. Hier, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, wo Jobs Mangelware sind, die Rednecks ihre Saufgelage feiern, treffen wir auf unsere Erzähler.

Da sind zunächst einmal die aus „Bighead“ bekannten Ball und Dicky zu nennen.  Während Dicky immerhin noch einen Job, ein gar rares Gut in Luntville, sein eigen nennt, auch wenn er nur die vollgewichsten Handtücher des örtlichen Bordells in der Münzwäscherei säubert, wurde sein Kumpel Ball nach zwei Jahren gerade aus dem Knast entlassen. Es muss etwas passieren, Kohle muss her und Pläne sind, besonders im Suff, schnell gemacht. Zunächst verdingen die Beiden sich als Fahrer, die den Selbstgebrannten über die Staatsgrenze nach Kentucky bringen. Um den Job zu ergattern, bringt Ball mal so eben auf perverse Art und Weise eine unschuldige Frau um und missbraucht die Leiche.

Dann gibt es den Schriftsteller. Eigentlich ist dieser im Greyhound-Bus unterwegs, um seine Muse zu suchen. Er will den ultimativen Roman schreiben, das Buch, das ihm den erhofften Durchbruch bringen soll. Als er es im Bus angesichts des Gestanks nicht mehr aushält, verlässt er das Reisemittel und mietet sich ein billiges Zimmer im örtlichen Puff - Hemingway lässt grüßen. Später trifft er dann auf unsere beiden Rednecks.

Und dann gibt es noch das etwas abgelegene Anwesen von Crafter, einem alten Mann der aussieht wie ein Professor und sich in der Villa seinen Studien widmet. Studien, die allerdings nicht unbedingt im Bereich des Üblichen liegen, Forschungen die dem Okkulten, der Dämonenbeschwörung und der Hexerei dienen. Einmal im Jahr reist Crafter nach Spanien, um von einem dort ansässigen Hehler neues Forschungsmaterial zu erwerben - der ideale Zeitpunkt, um das scheinbar unbewachte Haus auszuräubern, denken sich Ball und Dicky. Das wichtigste Wort im letzten Satz ist das „scheinbar“ wie unsere Möchtegern-Diebe nur allzu bald schmerzhaft feststellen müssen, als sie im Haus auf die Minotauress stoßen…


Edward Lee gehört zu den erfolgreichsten Autoren des Festa Verlages, erade seine innerhalb der „Extrem“-Reihe erschienen Bücher erfreuen sich dabei höchsten Zuspruchs. Dabei wissen die Käufer, noch bevor sie das jeweilige Werk aufschlagen, was sie erwartet. Gewalt, die plakative Darstellung von Folter und abartiger Sex in menschenverachtender Art und Weise ist Lees Markenzeichen. Vorliegender Roman ist hier keine Ausnahme. Allerdings, und das ist es, warum ich die Bücher aus der Verseschmiede Lees noch lese, spielt der Autor recht geschickt mit der Erwartungshaltung seiner Fans und zeichnet mit einigen wenigen Sätzen unheimlich griffige Figuren. Das sind in aller Regel stereotype Rednecks, wie sie uns aus gängigen Filmen und Romanen bekannt sind, Loser der Gesellschaft, die außer Meth, Alk und abartigem Sex nicht viel im Kopf haben.

Dass Lee sich und seine Handlung hier nie bierernst nimmt, dass er gerne mit Erwartungen kokettiert, Stereotype im Dutzend billiger aufmarschieren lässt, nur um diese dann ein wenig anders zu zeichnen als gewohnt, macht die Lektüre interessant. Zu erwähnen ist hier auch, dass der erneut sehr versierte Übersetzer Michael Krug erfolgreich versucht, den Redneck-Slang der Beiden in einen Dialekt zu übertragen. Dies ist zu Beginn zwar ein wenig gewöhnungsbedürftig, trägt in der Folge aber zum Unterhaltungswert und der Zeichnung der Figuren bei. Im vorliegenden Roman geht es dabei ein wenig chaotisch zu. Irgendwie hatte ich zunächst den Eindruck, dass Lee eigentlich eine ganz andere Handlung erzählen wollte, dass er hier Plots verschiedenen Ursprungs miteinander vermischt hat. Das Erstaunliche daran ist, dass die Erzählung trotz aller Ungereimtheiten und Brüche funktioniert.

Mit Ekel aber auch morbidem, voyeuristischem Interesse, verfolgen wird mit, was unseren Erzählern passiert, wie sie, die Täter, zu Opfern werden. Das ist, gerade verglichen mit solch unsäglichen Geschichten wie „Das Schwein“ noch durchaus unterhaltsam, so dass die Zeit der Lektüre doch schnell vergeht.