Olaf Stapledon: Die letzten und die ersten Menschen (Buch)

Olaf Stapledon
Die letzten und die ersten Menschen
(Last and First Man, 1930)
Ins Deutsche übertragen von Kurt Spangenberg
Piper, 2015, Hardcover, 464 Seiten, 25,00 EUR, ISBN 978-3-492-70362-8 (auch als eBook erhältlich)

Von Gunther Barnewald

Das vorliegende Buch stammt aus dem Jahr 1930 und wurde 1983 erstmals ins Deutsche übersetzt von Prof. Dr. Kurt Spangenberg und als „Heyne Bibliothek der Science Fiction Literatur“ 21 in Deutschland veröffentlicht. Seitdem gab es keine Neuauflage. Diese wagt nun Piper. Die Neuauflage dieses Meilensteins der SF-Literatur erscheint als Hardcover, die verdienstvolle Übersetzung von 1983 wurde beibehalten.

Olaf Stapledon war der große Denker und Philosoph der SF und vielleicht gelingt es dem Piper Verlag sogar, ihn auch einem jüngeren Publikum wieder zugänglich zu machen.

Stapledon, promovierter Philosoph und Gastdozent an der Universität von Liverpool, 1886 geboren und 1950 gestorben, hat einige überaus intelligente und kreative Werke zum Kanon der Science Fiction beigetragen, obwohl er das Genre gar nicht kannte, angeblich erst in seinen späteren Lebensjahren von seinem englischen SF-Schriftstellerkollegen Eric Frank Russell erfuhr, dass es in den USA etwas wie ein Fandom und diverse Publikationen, die sich nur mit dieser Art von Literatur beschäftigten, gab. So blieb Stapledon immer ein Außenseiter, dessen Werke nicht in der handelsüblichen Genre-Ware veröffentlicht wurde.
Dazu kommt, dass Stapledon oft den Bereich der Unterhaltung weit hinter sich lässt und seine Bücher nicht so spannend oder einfach zu lesen sind.

Während es bei den beiden Romanen „Sirius“ (dt. unter dem gleichen Titel) und „Odd John“ (dt. als „Insel der Mutanten“) noch Protagonisten und eine scheinbar realitätsnahe Handlung gibt, offenbart sein vielleicht größtes Meisterwerk, der Roman „Starmaker“ (dt. als „Der Sternenmacher“ und „Der Sternenschöpfer“), schon deutliche Abweichungen von dieser Technik. Zwar gibt es noch einen Protagonisten, dessen Seele verlässt jedoch den Körper, reist durch die Galaxis, lernt fremde Planeten, Zivilisationen und Lebewesen kennen und trifft schließlich Gott, den Schöpfer. Dieses Buch aus dem Jahr 1937 sprengt jeden Rahmen herkömmlicher SF, besteht oft aus phantasievollen Beschreibungen des und der Fremden, hat kaum noch Handlung, sondern besteht oft nur aus Beobachtungen und ist ein bunter Strauß von Ideen, Reflexionen und von philosophischen Gedanken.

Der vor kurzem verstorbene Autor und Herausgeber Wolfgang Jeschke hat einmal geschrieben, Stapledons Bücher „Star Maker „und das vorliegende „Last and First Man“ seien ein „Steinbruch von Ideen für (zwei) Generationen von SF-Autoren“ gewesen (und sind es hoffentlich noch für weitere Generationen von Menschen, nicht nur SF-Autoren!). Tatsächlich ist es atemberaubend, wie des Autors Ideen sprudeln, welch gigantische Weltentwürfe er hier erdacht hat.

Das vorliegende Buch versucht nichts weniger, als die zukünftige Geschichte der gesamten Menschheit bis zu deren endgültigem Ende zu erzählen. Ausgehend vom Jahr 1930 (in dem das Buch, welches man fast nicht als Roman bezeichnen kann, veröffentlicht wurde), erzählt Stapledon, wie die nächsten Jahrtausende verlaufen.


Nach europäischen Kriegen und dem Untergang der europäischen Zivilisation rivalisieren China und die USA um die Weltherrschaft. Schließlich wird die Erde „amerikanisiert“, bevor die Zivilisation erstmals vollständig untergeht. Doch sie ersteht mit dem Zweiten Menschen in veränderter Form wieder neu auf.
Dieser Vorgang wiederholt sich zyklisch immer wieder, bis der Mensch schließlich sogar die Erde verliert, zu den äußeren Planeten reist und dort schließlich (inzwischen herrscht der Achtzehnte Mensch) die menschliche Rasse endgültig erlischt. 


Was Stapledon hier an Gedanken und Ideen entwickelt, ist einfach grandios, auch wenn die Geschichte durch das Fehlen (beziehungsweise den etwas künstlich aufgepropften Protagonisten des Erzählers aus der Zukunft, der nicht unbedingt glaubwürdig wirkt) einer handlungsfähigen Identifikationsfigur schwer zugänglich erscheint.

Dieses Buch ist einfach kein packender, handlungsbetonter Action-Roman, man kann es nicht einfach so nebenbei weglesen und in ihm schwelgen. „Die letzten und die ersten Menschen“ ist fast so etwas wie ein historisches Sachbuch, nur eben von einer zukünftigen Menschheitsgeschichte.

Dass viele „Vorhersagen“ des Autors, die nahe Zukunft betreffend, „falsch“ sind, ist dabei völlig unerheblich, ging es Stapledon doch (wie jedem guten SF-Autor) nicht um eine exakte Vorhersage, sondern um ein grandioses Panorama der menschlichen Rasse, mit all deren Fehlern und Stärken, mit ihren Möglichkeiten und Eigenheiten.

Auch wenn der Leser nach der Lektüre enttäuscht sein mag, dass „Stapledons Menschheit“ nie über das Sonnensystem hinaus gekommen ist, um dann nach dem Tod der Sonne mit dem Sonnensystem unterzugehen (Konstantin Cyolkowski, der russische Raumfahrtpionier, hat einmal gesagt: „Die Erde ist die Wiege der Menschheit, aber kein Mensch bleibt ein Leben lang in seiner Wiege“; dem gegenüber zeigt die heutige technische Entwicklung aber, dass der Cyberspace vielleicht doch allen realen Anstrengungen der Menschheit nach Raumfahrt ein Ende setzt und der Mensch, anstatt ins All zu fliegen, sich seine Aliens selbst erschafft in der virtuellen Welt; eine Entwicklung, die Stapledon auch nicht vorher sah, so wie viele andere, was aber auch nicht wichtig ist!), so bietet der Autor doch so viele Denkanstöße, dass ein schnelles, lockeres Herunterlesen völlig undenkbar ist.

Wer nach leichter Urlaubslektüre oder einem intellektuellen „Häppchen“ zwischendurch sucht, der sollte besser die Finger von diesem Buch lassen. Denn das vorliegende Werk ist ein Meilenstein und ein unbestrittenes Meisterwerk der SF in intellektueller Hinsicht, jedoch keine stilistisch brillante, atmosphärisch überzeugende Literatur. Nur wer Zeit, Muße, Intelligenz, Phantasie und geistig-intellektuellen Horizont mitbringt, wird sich auf dieses Buch einlassen können. Dies sind die unabdingbaren Bedingungen für die Lektüre. Wer dies jedoch hat, der wird von Olaf Stapledon reich belohnt werden!