Ben Aaronovitch: Fingerhut-Sommer (Buch)

Ben Aaronovitch
Fingerhut-Sommer
(Foxglove Summer)
Aus dem Englischen übersetzt von Christine Blum
Titelillustration von Katharina Netolitzky
dtv, 2015, Taschenbuch, 410 Seiten, 9,95 EUR, ISBN 978-3-423-21602-9

Von Carsten Kuhr

Was fängt man mit seinem Sommer an, wenn man a) ein farbiger Bobby in London ist, b) sich einer höchst geheimen Abteilung des Yard angeschlossen hat, die sich auf „merkwürdige“ Fälle spezialisiert hat und man gerade c) ein ganzes Hochhaus mehr oder minder indirekt zum Einsturz gebracht hat?

Richtig, die Vorgesetzten schicken den jungen, überengagierten Tunichtgut in den wohlverdienten Urlaub auf dem Lande. Hier, so die begründete Annahme, kann er sicherlich nicht so viel anstellen, wie in der Metropole an der Themse. Nur ist Peter Grant gleichzeitig der neueste und seit Jahrzehnten erste und einzige Lehrling des königlich britischen Magiers und bestens mit Flussgöttinnen, Halbwesen und Faries bekannt. Und so erweist sich die Hoffnung einmal mehr als trügerisch!

Kommen wir also zurück zur eigentlichen Handlung. Eigentlich sollte Peter nur einen pensionierten Magier auf dem Land besuchen, als er buchstäblich in einen Fall hineinstolpert. Ja, schon gut, er hat sich freiwillig gemeldet, bei der Suche nach zwei verschwundenen Mädchen aus einem kleinen Dörfchen zu helfen. Zunächst sieht auch alles nach Routine aus - Abenteuerlust, Entführung im schlimmsten Fall ein Pädophiler -, doch dann bemerkt Peter, dass das Übernatürliche in Gestalt von durchsichtigen Einhörnern und weisen Frauen, gar nicht zu reden von heimtückischen Fae mitspielt - und schon ist unser Bobby, weitab von allem, was ihm bekannt ist, mittendrin in einem, im höchste Maße, magischen Verbrechen, das ihn an seine Grenzen und weit darüberhinaus führt…


Ben Aaronivitch hat der Urban Fantasy, der ein wenig die Puste auszugehen drohte, neues Leben eingehaucht. In den vier vor diesem Roman erschienen Bänden um den farbigen Bobby Peter Grant, der sich zum ersten Zaubererlehrling der Insel seit mehreren Generationen mausert, schuf er nicht nur höchst vergnüglich zu lesende phantastische Krimis, sondern griff en passent und unauffällig auch immer wieder heiße Eisen an.

Sei es die latente Diskriminierung von Migranten, der Standesdünkel der herrschenden Elite, die Verdummung der breiten Masse oder auch nur die Verelendung und Verwahrlosung der ungelernten Arbeitslosen, die direkt in den Kreislauf von Depression, Gewalt und Kriminalisierung führt, immer wieder hielt Aaronivitch uns einen zum Teil beißenden Spiegel der Gesellschaftskritik vor Augen. Dies las sich umso mehr faszinierend, als es nicht nur integraler Bestandteil der höchst spannenden Handlung war, sondern diese auch von den beschriebenen Orten des Molochs London, den Aaronovitch wie seine Westentasche kennt, zehrte. Umso gespannter wartete ich darauf, wie sich der Autor auf dem flachen Land, der ländliche Idylle eines kleinen Bauerndorfs an der Grenze zu Wales, schlagen würde.

Nun, Aaronovitch tut sich zunächst ein wenig schwer. Gerade zu Beginn des Romans benutzt er gerne Stereotypen, irrt Peter Grant fast ein wenig hilflos in der Weite der Natur umher. Doch dann wird ihm nicht nur ein ortskundiger Führer zur Seit gestellt, eine Flussgöttin kümmert sich um seine Libido und, Achtung jetzt kommt’s, er stößt auf Beweise, dass ein übernatürliches Verbrechen vorliegt!

Rumps, mit einem Schlag nimmt der Plot Fahrt auf, werden die Gestalten interessanter, die Geheimnisse düsterer und die Ermittlungen immer faszinierender. Hingen anfänglich die Subplots noch ein wenig verwirrend in der Luft, so fügen sich die Hinweise nun immer deutlicher zusammen, und plötzlich ist sie da, die so typische, anfänglich vermisste besondere Ausstrahlung Peter Grants und seiner Welt.

Einhörner und Fae - so märchenhaft und Disney-like uns dies zunächst erscheint, so real und furchterregend wirken diese Bestandteile dann in der Folgezeit. Immer deutlicher auch arbeitet der Autor seine große Rahmenhandlung heraus. Die Pseudohistorie seiner magischen Welt erfährt weitere Ausschmückungen, der rote Faden um renegate Magier, denen sich Peter und sein Lehrmeister zukünftig werden stellen müssen, wird deutlicher.

Immer wieder lockern dabei amüsante Dialoge, witzige Situationen und skurrile Begebenheiten die eigentlich sehr ernste Handlung um das Verschwinden zweier Kinder auf. Die Balance zwischen der realitätsbezogenen Darstellung der Polizeiarbeit und den phantastischen Sequenzen bleibt gewahrt und der Leser wartet gespannt und ungeduldig auf den nächsten, im Original „The Hanging Tree“ betitelten Roman.