Baltimore 1 (Comic)

Mike Mignola, Christopher Golden
Baltimore 1
(Baltimore: The Plague Ships, The Curse Bells, A Passing Stranger and Other Stories, Chapel of Bones, USA 2011/2015)
Übersetzung aus dem Amerikanischen von Frank Neubauer
Titelbild von Mike Mignola und Dave Stewart
Zeichnungen von Ben Steinbeck
Cross Cult, 2015, Hardcover, 576 Seiten, 50,00 EUR, ISBN 978-3-86425-665-3

Von Christel Scheja

Am Anfang der „Baltimore“-Saga steht eine Idee von Mike Mignola, die dieser aus Zeitgründen nicht in einen Comic umsetzen konnte, sondern dem Autor Christopher Golden für einen Roman überließ, den er dann aber noch illustrierte. Allerdings bemerkte er schnell, dass die Figur des adligen britischen Offiziers, der im Ersten Weltkrieg den Angriff eines Vampirs überlebte, noch Stoff für weitaus mehr Geschichten bot.

So entstand eine ganze Comicreihe um Lord Henry Baltimore, der durch das von einer Seuche gezeichnete Europa zieht, um das Wesen zu stellen, das sein Leben überschattet hat, den uralten Vampir Haigus.

Der große Krieg hat bereits 1916 ein Ende gefunden, nachdem eine Seuche unbekannten Ursprungs Europa überzogen und die Schlachten zum Erliegen gebracht hat. Aber auch jetzt noch werden immer wieder Pestschiffe gesichtet, die die Seuche an die Küsten bringen. Daher fürchtet man in den kleinen Dörfern jeden Fremden, was auch ein geheimnisvoller Mann zu spüren bekommt, der zwar wie ein Vagabund aussieht, aber schwer bewaffnet ist. Die junge Vanessa, die nicht länger bei ihrer als Hexe verschrienen Großmutter leben und die muffige Luft des Dorfes hinter sich lassen will, verhilft ihm zur Flucht, bevor er einem eilig herbei gerufenen Inquisitor ausgeliefert werden kann. Doch die Reise, von der sie sich viel erhofft hat, wird zu einem Horror-Trip.

In der Schweiz geht Lord Baltimore schließlich einem Gerücht nach, demzufolge ein Mann aus Bayern sich in eine verlassene Burg zurückgezogen hat und dort merkwürdige Dinge treibt. Von Blutritualen und Schlimmerem ist die Rede. Tatsächlich erweisen sich die Gerüchte als wahr, wie er in Zusammenarbeit mit einem Journalisten feststellt. Keiner der beiden ahnt, dass ihnen auch ein anderer Fremder auf der Spur ist, der Inquisitor Duvac, der Baltimore aus dem Bann der Dämonen befreien will.

Mehr als einmal kommt Baltimore seinem Ziel nahe, aber Haigus ist nicht umsonst ein alter und mächtiger Vampir, der schon lange überlebt hat. Aber auch der Herr der Untoten verfolgt ein Ziel: Seinen eigenen Herrn und Meister, den Roten Tod, wiederzuerwecken.

In seinem Vorwort betont Joe Hill, dass die Comics um Lord Henry Baltimore auch ohne Kenntnis des Romans lesbar sind, und er hat Recht. Die Vorgeschichte des Helden wird tatsächlich in mehreren Rückblicken erzählt, auch das Szenario noch einmal in Ruhe – aber vor einem anderen Hintergrund – eingeführt. Die Sammlung fasst die ersten vier in den USA und auch hier einzeln erschienenen Graphic Novels zusammen, die zwar in sich geschlossene Geschichten erzählen, aber doch irgendwie durch einen dünnen roten Faden verbunden sind.

Zunächst sieht alles nur wie eine einfache Rachegeschichte aus; ein Mann verwundet einen Vampir und dieser schwört Rache. Indem er sich an Henry Baltimores Familie und seiner Verlobten gütlich tut, macht er den Mann, der bisher noch bereit war, alles zu vergessen und ein ganz normales Leben zu führen, zu seinem Feind. Zumal der Lord auch noch durch einen alten Mönch erfährt, dass der Vampir seine ganz eigenen Pläne verfolgt, die eng mit dem Los verbunden sind, das gerade Europa heimsucht. Er wird zu einem Jäger und ist doch auch ein Gejagter, wie sich bald herausstellt, denn jemand ganz anderes hat sich auf seine Spur gesetzt.

Dieser Konflikt durchzieht die Geschichte und trifft vor allem die wenigen Männer und Frauen, die Baltimore ihr Vertrauen schenken und ihm helfen – manche bezahlen dafür mit sehr viel Schmerz und oft genug auch mit dem Tod.

Leser, die sich mit den Romanen und Kurzgeschichten der Schauer-Romantik beschäftigt haben, werden sicherlich die vielen kleinen Andeutungen und Hinweise wiedererkennen, die Mignola und Golden in der Geschichte versteckt haben. Vor allem Poe wird gerne zitiert und hat auch in einer Geschichte einen ganz besonderen Auftritt. Nach und nach kristallisiert sich so heraus, um was es eigentlich wirklich geht, und das gibt dem Grauen dann auch erst richtigen Zündstoff, so dass die Spannung bis zum großen Finale gewahrt bleibt, in dem auch Baltimore selbst mit einer Überraschung aufwartet.

Die düstere Atmosphäre spiegelt sich jedenfalls auch in den Bildern und den Farben wider. Man fühlt sich nicht nur in die düstere und triste Welt in und nach dem Ersten Weltkrieg versetzt, auch die Hoffnungslosigkeit und Angst der Menschen spiegelt sich stimmungsvoll wider. Und nicht ohne Grund wird immer wieder gerne Rot in allen Schattierungen eingesetzt…

Alles in allem lässt „Baltimore“ 1 keine Wünsche offen, wenn man actionreiche und dramatische Horror-Comics vor historischer Kulisse mag, die einerseits mit Anspielungen auf Klassiker der Unterhaltungsliteratur nicht sparen, andererseits aber auch nicht nur Schwarz und Weiß zeichnen, wie es früher üblich war.

Erstaunlich ambivalent führen die Künstler ihren Helden durch eine düstere Welt, die immer wieder mit neuen Überraschungen aufwartet und dabei genug Zeit finden, auch den Hintergrund der Figuren zu erzählen, um damit ihre Motivation zu verstärken. Es lohnt sich deshalb, mehr als einen Blick zu riskieren!