George R. R. Martin: Traumlieder III (Buch)

George R. R. Martin
Traumlieder III
(Dream Songs, 2003)
Deutsche Übersetzungen von von Werner Fuchs, Jasper Nicolaisen, Simon Weinert, Maike Hallmann, Christian Jentzsch, Barbara Heidkamp, Joachim Körber, Irene Bonhorst und Birgit Reß-Bohusch
Heyne, 2015, Paperback, 826 Seiten, 14,99 EUR, ISBN 978-3-453-31672-0 (auch als eBook erhältlich)

Von Gunther Barnewald

Die vorliegende dritte Sammlung von autobiografischen Essays, Storys und Novellen enthält fünf längere unabhängige Novellen des Autors, zwei Novellen aus seiner Shared-World-Serie „Wild Cards” und zwei Drehbücher zu jeweils einer Episode einer Fernsehserie. Dazu gibt es drei autobiographische Essays zu den einzelnen Kapiteln und den Abdruck einer langen Rede, die Martin als Ehrengast der World Science Fiction Convention in Toronto im August 2003 gehalten hat und in der er von seinem persönlichen Werdegang berichtet.

Abgesehen von der arg langen Rede, die das ein oder andere Gähnen hervorgerufen haben dürfte, sind diese Texte sicherlich eher etwas für die absoluten Fans des Autors. Auch die beiden Drehbücher (eine Folge der Wiederauflage aus den 80er Jahren der legendären Serie „The Twilight Zon“e, die immerhin den Geist des Originals gut einfängt, deren Lektüre aber natürlich darunter leidet, dass Martins stilistische Brillanz außen vor bleiben muss, denn zu lesen ist nur das nackte Drehbuch; dies gilt auch für die äußerst „schmissige” Drehbuch von „Doorways“, welches einfach eine sensationelle Abfolge von Kämpfen und Verfolgungsjagden schildert) sind definitiv nur etwas für die Hardcore-Fans des Autors.

Auch die beiden Novellen aus der Shared-World-Serie „Wild Cards” sind etwas für eingefleischte Enthusiasten (welche die Novellen aber natürlich schon kennen dürften!). Wer die Geschichte nicht kennt, wird große Schwierigkeiten haben, der Handlung um die zu Superhelden mutierten Menschen (Wild Cards) und deren missgebildete Kollegen, die sogenannten Joker, die aber keine Geisteskraft ihr eigen nennen und deshalb nur ausgegrenzt werden, ohne sich wehren zu können, zu verstehen. Die Novellen „Shell Game” und „The Journal of Xavier Desmond” stehen hier stellvertretend für Martins Arbeiten an dieser arg trivialen Serie.

Die eigentlichen Höhepunkte dieses Bandes folgen dann erst ab Seite 391 und reichen bis Seite 791. Hier finden sich fünf hochklassige Novellen des Autors, von denen besonders „Skin Trade”, „Unsound Variations” und „The Portraits of his Children” herausragen.

Für „Skin Trade” (hier als „In der Haut des Wolfes” von Joachim Körber übersetzt) erhielt Martin 1989 den World Fantasy Award, völlig zu recht, denn diese Novelle ist wahrscheinlich eine der besten Geschichten, welche jemals über Werwölfe geschrieben wurde. In Deutschland erschien sie erstmals 1990 im von Douglas E. Winter herausgegeben Band „Nachtvisionen „(der vielfach neu aufgelegt wurde) als Heyne Taschenbuch 01/8098 der Allgemeinen Reihe, welches drei Storys von Stephen King, drei Geschichten von Dan Simmons und eben Martins Novelle enthielt.

Ebenfalls sehr gut ist „The Portraits of his Children” für die der Autor 1985 den Nebula Award erhielt, eine gespenstisch dichte Novelle, welche den erschreckende Egoismus eines Autors geißelt, der seine ganze Familie vergrault, bis er eines Tages mit den Geistern der Vergangenheit konfrontiert wird. Besonders hinterhältig ist hier der schlussendliche Plot, der aber natürlich nicht verraten werden darf. Diese Novelle erschien ebenfalls zuerst in einem Heyne Taschenbuch, und zwar 1988 in dem von Wolfgang Jeschke herausgegebenen Storyband mit dem Titel „Second Hand Planet“ (06/4470).

Absolut überragend auch die Novelle „Unsound Variations”, welche in Deutschland zuerst 1982 im von Hans Joachim Alpers herausgegebenen Moewig Taschenbuch Nr. 3587 mit dem Titel „Kopernikus“ 7 erschien, damals übersetzt von Martin Eisele. Heyne verwendet in hier allerdings eine Übersetzung von Werner Fuchs. Die Novelle schildert das Treffen von vier ehemaligen College-Studenten, die dereinst in der gleichen Schach-Mannschaft spielten. Nach einer spektakulär scheinbar „knappen” Niederlage trennten sich jedoch deren Wege. Doch der vermeintliche Verursacher der Niederlage hat dies nie vergessen und vermittels einer sensationellen Erfindung rächt er sich grausam an den anderen, indem er durch eine Art Zeitreise deren Leben ruiniert. Nun lädt er sie ein, um ihnen dies zu offenbaren und vor allem, um die damals scheinbar schmachvoll in den Sand gesetzte Schachpartie zu wiederholen und allen zu zeigen, dass sie unrecht hatten mit ihren Prognosen. Eine packende und äußerst eindringliche Geschichte.

Daneben fallen die beiden anderen, wenn auch gutklassigen Novellen, etwas ab. In „Under Siege” begegnen wir Martins Story „Die Festung” wieder, welche in „Traumlieder“ I enthalten war. Diesmal ist die Geschichtslektion jedoch nur Rahmenhandlung, eigentlich geht es um zeitreisende Mutanten, die durch einen Eingriff in die Geschichte die Welt vor der Vernichtung retten wollen. Denn der Atomkrieg, der einerseits die Mutationen verursacht hatte, hat fast die ganze Welt zerstört. Verzweifelt versuchen einige, den Ausbruch dieses Krieges zu verhindern, indem sie probieren, bekannte historische Ereignisse durch Eingriff in die Vergangenheit zu verändern. Diese Novelle erschien ebenfalls erstmals bei Heyne, und zwar 1990 in einem von Karl Michael Armer herausgegebenen hochklassigen Band mit sogenannten Alternativweltgeschichten unter dem Titel „Hiroshima soll leben“ (Heyne TB 06/4740).

Auch „The Glassflower”, ebenfalls in Deutschland erstmals bei Heyne 1988 in dem von Wolfgang Jeschke herausgegebenen Storyband „Wassermanns Roboter“ veröffentlicht (Heyne TB 06/4513), ist eine interessante, vor allem exotisch-bunt wirkende Erzählung, die jedoch nicht ganz mit anderen, kohärenter wirkenden Texten Martins mithalten kann. Hier wird eine dekadent wirkende Zukunftswelt geschildert, in der Körpertausch möglich ist. Zu diesem Zweck nutzt man Strafgefangene, die um ihren Körper kämpfen müssen, sonst werden sie von reichen Lebewesen übernommen, während die Seele der vermeintlichen Verbrecher sterben muss.

Zu Recht weggelassen in diesem Band wurde Martins Novelle „Hedge Knight” von 1998 (dt. als „Der Heckenritter”), da diese mit zwei Folge-Novellen gerade 2013 unter dem Titel „Der Heckenritter von Westeros – Das Urteil der Sieben“ wieder bei Penhaligon veröffentlicht worden ist.

Dank der fünf unabhängigen Novellen ist auch Band 3 ein Fest für den Leser, auch wenn dies der schwächste der drei Bände ist. Selbst wer die Texte schon kennt, freut sich sicherlich, sie endlich mal hier in einem Buch versammelt zu sehen. Wer die fünf unabhängigen Novellen noch nicht kennt, sollte dies dringend ändern, denn alle sind extrem lesenswert, manche sogar absolut hochklassig.