Literatur-News

Lars Dangel (Hrsg.): Das sterbende Bild - Unheimliche und phantastische Geschichten zwischen 1800 und 1950 (Buch)

Lars Dangel (Hrsg.)
Das sterbende Bild - Unheimliche und phantastische Geschichten zwischen 1800 und 1950
Titelbild und Innenillustrationen: Angelika Pillous
2019, Hardcover, 446 Seiten, 55,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Lars Dangel ist uns aus bislang drei in der Edition CL erschienen Anthologien ein Begriff. Nachdem diese leider ihre Pforten schließen musste, stand der Herausgeber vor der Frage, wie es mit seinen eigentlich geplanten zehn Bänden, in denen er den Lesern zu unrecht vergessene Perlen der klassischen, unheimlichen Literatur vorstellen wollte, weitergehen würde. Der Versuch einen anderen Verlag für die Fortführung zu begeistern scheiterte an der Tatsache, dass kein Verleger die von der Edition CL eingeführte, mustergültig bibliophile Gestaltung inklusive der Farbillustrationen mittragen wollte.

Was tun, sprach Zeus? Nun, ich weiß nicht, was der Göttervater getan hätte, Lars Dangel aber entschloss sich, seine nächste Anthologie im Selbstverlag herauszubringen.

 

Das Ergebnis kann sich wahrlich sehen lassen - ein bibliophiles Prachtbuch ist es geworden, ein großformatiges Werk mit über einem Kilogramm Gewicht, sorgfältig auf gutes Papier gedruckt, fadengeheftet und natürlich mit einem Lesebändchen versehen. Der Rücken erstrahlt in Goldprägung, die sich hinter einem zum Inhalt passenden Originalumschlag verbirgt.

Mehr noch, der Herausgeber hat in Angelika Pillous eine Illustratorin gefunden, die den Inhalt der so unterschiedlichen und abwechslungsreichen Beiträge kongenial umsetzt. Fast jede der fünfundzwanzig im Band enthaltenen Geschichten wurde von ihr illustriert, manche zieren gar mehrere der in Farbe abgedruckten, gelegentlich über zwei Seiten gehenden Zeichnungen.


Auch wenn das Prozedere der Bestellung sich etwas ungewöhnlich und kompliziert gestaltet, es keine Webseite gibt, auf der man das Buch bestellen kann, lohnt der Aufwand meines Erachtens doch auf jeden Fall.


Der Herausgeber wendet sich in seiner auf einhundert Exemplare limitierten und von ihm wie auch von der Illustratorin signierten Ausgabe an ernsthafte Leser und Sammler, denen die Mühe, das Buch zu beschaffen, den Aufwand wert ist - das Ergebnis, wenn man denn die Anthologie in Händen hält, rechtfertigt die Mühen allemal. Angesichts der gebotenen handwerklichen wie inhaltlichen Qualität ist der Obolus, den man entrichten muss, ein geringer, einen merkantilen Gewinn kann der Herausgeber hier wohl kaum machen.

Inhaltlich wartet gegenüber den bei der Edition CL erschienenen Bänden ein deutlich ausgeweiteter Umfang auf den Leser.


Lars Dangel berichtet in seinem Vorwort unter anderem davon, wie er als Sammler vergessener Phantastik-Perlen mehrmals in Prag die vielen kleinen Antiquariate besucht hat. Seine Sammlung und seine immense Kenntnis, was zu unrecht vergessene Beispiele klassischer unheimlicher Literatur anbelangt, lässt er in die Auswahl der im Band enthaltenen Geschichten einfließen.

Dabei stößt der kundige Leser auf wenige bekannte Namen - Theophile Gautier, Karl Hans Strobl, der Marquis de Sade und H. G. Wells sind landläufig bekannt -, die anderen Verfasser aber sind zumeist vergessen oder nur ganz wenigen Lesern bekannt.

Der Herausgeber hat ganz bewusst vermieden, sich selbst bei der Auswahl der Beiträge vom Motiv her zu beschränken. Er möchte seine Rezipienten stilistisch ansprechend unterhalten, die Erzählungen sollen den Leser unterhalten, gruseln und so manches Mal auch ob der beschriebenen Absonderlichkeit verstören.

Dangel stellt uns immer wieder kurze wie lange Texte vor, die zunächst in der Realität fußend dann ins Unheimliche abdriften und von Merkwürdigkeiten, von Unerklärlichem und Absonderlichem berichten.

Ein paar wenige dieser Geschichten, die durchgängig von ansprechendem Niveau sind, möchte ich hier herausgreifen.

Da ist zunächst die Titelgeschichte von Elisabeth Krickeberg zu nennen, in der das Bild eines Mannes eine mehr als unheimliche Auswirkung auf dessen Umwelt ausübt. Dass sich nicht nur die Ausstrahlung des Bildes sondern auch die handwerkliche Ausgestaltung je nach Betrachtung ändert, könnte man noch einer versierten Maltechnik zuschreiben. Doch dass das Bild seinen Besitzern und Betrachtern Unglück bringt, liegt in dessen Geschichte begründet.
Fein gezeichnete Figuren, eine Handlung, die uns immer tiefer in das Mysterium des Bildes zieht und eine beklemmende Atmosphäre, die dieser Beitrag mit zunehmender Dauer auf den Leser ausübt beweist, dass hier ein Meisterwerk auf den Rezipienten wartet.

Friedrich Otto nimmt in seiner gleichnamigen Geschichte das alte Thema der Sirenen auf. Wir begleiten einen Seefahrer auf seiner jahrelangen Reise über die Weltmeere, eine Reise, die ob der Verrohung der Mannschaft, der despotischen, ja brutalen Herrschaft des Kapitäns und der Unfähigkeit heimzufinden beeindruckt - bis es zum Aufeinandertreffen mit der Sirene kommt.

Isolde Kurz, der der Herausgeber in dem Band beigegebenen zumeist kurzen Vorstellung der Autoren ein längeres Kapitel widmet, erzählt uns in „Das Mitternachtsgespenst“ von einer italienischen Stadt in der der geniale Architekt der dort erstellten Türme jeweils, um für stabilen Halt über die Zeitalter hinweg zu sorgen, etwas Besonderes, ein Opfer in die Fundamente einmauern lässt.
Auch hier driftet die Erzählung zunächst fast unmerklich aus der Realität in das Unheimliche ab, verstört uns, ja lässt einen angesichts der besonderen Stimmung, die Kurz mit ihren Worten schafft, fröstelnd und unangenehm berührt zurück.


Fast zu jeder der Erzählungen ließe sich etwas aussagen, die Qualität der Beiträge ist gleichbleibend hoch, die Umsetzung mustergültig und weitab der momentan so angesagten Splatter-Orgien.

Dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, wirken die Geschichten auch heute, oftmals mehr als 100 Jahre nach ihrer Schaffung, noch auf den Leser, berühren ihn ihre zu Beginn fast friedlich-naiv wirkende entschleunigte Welt, in der dann das Unwirkliche, das Bedrohliche und Unbegreifliche eindringt.

Hoffen wir, dass der Herausgeber sein Vorhaben, einmal jährlich einen entsprechenden Band aufzulegen durchführen kann - die Leser und Sammler werden es ihm danken!

 

Bestellungen sind per eMail möglich bei Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.