Interviews

Im Gespräch mit: Jay Kristoff

Jay Kristoff gehört zu den interessantesten Autoren der letzten Jahre. Dies zeigt sich auch an der Tatsache, dass kaum ein Autor auf derartig viele Veröffentlichungen im deutschsprachigen Markt verweisen kann, wie der australische Autor aus Melbourne. Dabei ist das Gebotene weit gestreut. Neben Young-Adult-Reihen (in aller Regel legt Kristoff Trilogien vor), die er zusammen mit Amie Kaufman verfasst („Aurora“ bei Sauerländer, „Iluminae-Akten“ bei dtv sowie auf Solopfaden „LOST1F3“ ebenfalls bei dtv) und die mehr in den Bereich Space Opera/Dystopie gehen, hat er die Bestsellerlisten bei uns mit seiner gefeierten High-Fantasy-Trilogie „Nevernight“ (Tor) gestürmt.
Angefangen hat alles mit einer fernöstlichen Fantasy-Trilogie, die die Welt der Samurai mit Magie verband (dt. als „Der Lotuskrieg“ bei Cross Cult).
Dieses Jahr nun erschien bei Tor der erste Band seiner „Empire of the Vampire-“Trilogie (der Lebensgeschichte eines gefangenen Vampirjägers in einer Welt, in der die Sonne nicht mehr scheint).
Anlässlich seiner Europa-Tour, die ihn durch Frankreich, Italien, Deutschland und England führt, hatte unser Mitarbeiter Carsten Kuhr Gelegenheit für ein Gespräch mit dem sympathischen Autor von Down Under.

 

Hallo Jay. Was machst Du, wenn Du einmal nicht vor Deiner Tastatur sitzt und Dir Geschichten für uns Leser einfallen lässt? Bleibt da überhaupt noch Zeit für Hobbys?

Hallo, nun natürlich schreibe ich nicht Tag und Nacht, schließlich habe ich auch noch Familie und meinen Freundeskreis mit dem ich mich regelmäßig einmal die Woche zum Zocken treffe. Ich muss zugeben, dass ich ein waschechter Nerd bin. Aber sonst, das muss ich gestehen, tummele ich mich doch sechs Tage die Woche in meinen Phantasiewelten. Bei der Zugfahrt nach Stuttgart habe ich zum Beispiel auch gerade das Manuskript des zweiten „Empire“-Romans redigiert und so die Zeit genutzt.

Nun sind Fantasy- oder SF-Romane nicht unbedingt immer in unserer realen Welt verankert. Wo recherchierst Du für Deine Texte?

Ich habe seit meiner Schulzeit eine Faible für Geschichte. Für die „Empire“-Trilogie, deren Welt unschwer zu erkennen das mittelalterliche Frankreich und Spanien zugrunde liegt, habe ich mich also im Netz schlau gemacht, für „Nevernight“ das Römische Weltreich studiert. Als es darum ging zu überlegen, was das Verlöschen der Sonne für die Erde und deren Bewohner bedeuten würde, habe ich in meiner Buble rumgefragt, ob es unter meinen Fans Jemand mit entsprechenden Kenntnissen in Biologie etc. gibt, die oder der mir hier die Auswirkungen schildern könnte.

Was ist bei Dir, wenn Du ein neues Projekt startest zuerst da - der Plot oder die Figuren?

Definitiv die Figuren. Sie sind es, die die Handlung tragen, sie interessieren mich, ihr Schicksal, wie sie sich entwickeln, wie sie mit den Fährnissen, die ich ihnen zumute umgehen.

Nun strotzen Deine Romane ja förmlich vor einer doch recht großen Anzahl von Figuren. Hast Du die alle im Kopf, oder vielleicht einen Entwurf der jeweiligen Figur - schreibst Du nach einem im Vorfeld gefertigten Exposé oder lässt Du Dich von Deiner Muse leiten?

Ein detailliertes Exposé erstelle ich nicht. Ich habe im Kopf das Ziel, das ich ansteuere, der Rest ergibt sich. Es ist ein wenig wie wenn ich in der Wildnis im Auto sitzen würde, in der Ferne die Stadt sehe und dann in die Richtung losfahre. Ich weiß wohin ich will, doch der Weg wie ich nach dorthin komme ergibt sich beim Fahren. Das ist bei mir und meinen Büchern vergleichbar. Natürlich habe ich die grundsätzlichen Wesenszüge der Charaktere im Kopf, doch dann entwickeln sie sich doch wieder überraschend anders, als ich mir dies gedacht hätte - das macht auch für mich einen Reiz am Schreiben aus.

Schaut man sich Deine Bücher an, so fällt auf, dass Du Dich nicht auf ein Subgenre beschränkst. Space Opera, High Fantasy, Dystopie, Dark Fantasy/Horror - ist es für Dich eine Herausforderung, so unterschiedliche Romane zu verfassen?

Nein, eine Herausforderung nicht, aber die Abwechslung macht das Schreiben für mich interessanter. Wenn ich immer nur dasselbe zu Papier bringen würde, wäre das doch langweilig. Die Abwechslung ist das das in der spekulativen Literatur, das diese erst so interessant für Leser wie Verfasser macht.

In diversen Reihen hast Du mit Amie Kaufman zusammengearbeitet. Wie teilt ihr euch die Arbeit auf? Schreibt ihr die Kapitel abwechselnd, oder widmet sich jeder von euch seinen Protagonisten?

Ja, es ist so, dass wir die Figuren untereinander aufteilen. Natürlich lesen wir dann die Passagen des jeweils anderen Korrektur, es geht ja heute problemlos per Mail hin und her; dann kommen wir wieder auf unerwartete Abzweigungen, die unsere ganzen Pläne über den Haufen schmeißen.

War es für Dich als Australier schwer, in den amerikanischen beziehungsweise britischen Buchmarkt zu kommen?

Nein, erstaunlicherweise gar nicht. Gleich mein erstes Buch erschien dann zuerst in den USA, hier hat mir meine Agentur viel geholfen. Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich in den umkämpften internationalen Markt gekommen bin. Es gibt in Australien doch recht wenige Autoren des phantastischen Zweigs, die von ihrer Arbeit, vom Publizieren Leben können. Ich gehöre zu diesen ganz wenigen und bin sehr dankbar dafür, dass ich mein Hobby zum Beruf machen konnte und davon leben kann.

Schreibst Du, je nachdem ob Du ein Jugendbuch oder einen Erwachsenenroman schreibst, unterschiedlich? Hast Du da bildlich gesprochen eine Schere im Kopf?

Nein, ich denke kaum. Sicherlich, für „Empire“ habe ich die düstersten, beklemmendsten Passagen verfasst, die ich bislang je geschrieben habe, doch dass ich mich zurückhalten würde, dass ich andere Maßstäbe an Handelnde oder den Plot anlegen würde, das sicherlich nicht. Heutzutage sind Jugendliche durch das Internet schon ziemlich abgebrüht.

Du inkludierst immer wieder queere Beziehungen in Deine Romane. Ist es Dir wichtig aufzuzeigen, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen etwas ganz Alltägliches, etwas Normales sind?

Definitiv! Ich habe in meinem engsten Freundeskreis Menschen, die aus der LGBT kommen, einige meiner besten Freunde die schwul sind, sind zum Beispiel in einem katholischen Jungeninternat aufgewachsen und leiden heute noch unter den Anfeindungen und den Folgen des Erlebten. Die falsche Moral der Kirche und weite Teile der damaligen Gesellschaft hat hier viel Leid über Menschen gebracht, so dass ich dies auch versuche, in meinen Texten aufzugreifen und für Toleranz zu werben. Im Mittelpunkt steht doch immer der Mensch, dieser ist wichtig und so zu akzeptieren, wie er/sie/es ist.

Lass uns bitte noch einmal kurz zu „Nevernight“ zurückkommen. In den Romanen gab es etwas, das ich von Terry Pratchetts „Scheibenwelt“-Titel kannte und so schätze: Fußnoten. Wie kam es zu den Fußnoten und warum hat „Empire“ keine?

Für die Fußnoten in „Nevernight“ gibt es verschiedene Gründe. Zum einen bringen diese ein wenig Humor in die Handlung - hoffe ich zumindest -, zum anderen konnte ich über diese dem Leser, der sich dafür interessiert, zusätzliche Informationen über die Welt zukommen lassen. Man kann die Romane gut ohne die Fußnoten lesen, und wird der Handlung problemlos folgen können. Wer aber ein klein wenig tiefer in die Welt einstigen möchte, der findet hier Antworten auf einige Fragen, die nicht handlungsrelevant, aber auch nicht uninteressant sind. Außerdem liebe ich selbst Fußnoten.
Bei „Empire“ hat sich dies nicht so angeboten. Hier gibt es wenig über das aktuelle Reich an Informationen nachzureichen, Humor verbietet sich angesichts des Nots und Elends in dieser Welt von selbst.

Nochmal zu „Nevernight“; die Welt, die Du hier beschreibst erinnerte mich stark an das Römische Reich. Du sagst auch, das sei ein Vorbild gewesen?

Ja natürlich. Ich habe die Senatoren, die Gladiatoren etc. aus Rom geklaut, mir ursprünglich einmal überlegt, was wäre mit der Frau und der Tochter von Julius Cäsar passiert, wenn sein Marsch auf Rom gescheitert wäre. Und schon hatte ich die erste Idee für Nevernight und Mia.

Gabriel de Leon, der Erzähler aus „Empire“, erzählt uns und seinen Gefängniswärter seine Lebensgeschichte. Von der Grundanlage her erinnerte mich das ein wenig an Lestat und Anne Rices „Interview with the Vampire“. War das ein Vorbild?

Ja und Nein. Natürlich steht in beiden Romanen zunächst die erzählte Lebensgeschichte einer Person in einer Vampirwelt. Und ich liebe Anne Rices Romane, die ich als Leser verschlungen habe. Aber dann ist bei Gabriel doch Vieles anders. Er berichtet seinem Kerkermeister von seinem Leben - wieviel von dem, was er erzählt ist geschönt, wieviel entspricht den Tatsachen, wo und warum lässt er Sachen aus, verdreht die Wirklichkeit? Fragen, die sich mir und den Lesern aufdrängen.

Du hast für den ersten „Empire“-Roman drei Jahre gebraucht. Die Frage drängt sich auf - wann kommt Band 2?

Ich habe das Manuskript von dem zweiten Teil fertig, jetzt wird zusammen mit dem Lektor versucht, die gröbsten Schnitzer und Fehler auszubügeln, das Ganze in eine Form zu gießen um es 2023 zu veröffentlichen. Der abschließende dritte Teil ist dann für 2025 geplant.

Vielen Dank dafür, dass Du uns Rede und Antwort gestanden bis. Wir wünschen Dir alles Gute, viele neue Eindrücke auf dem Rest Deiner Europa-Tour und natürlich Gesundheit!

Ich habe zu danken!