Interviews

Im Gespräch mit: Lars Dangel

Lars Dangel kennt man als kundigen Herausgeber von Anthologien der dunklen Phantastik, deren Geschichten schon ein wenig Patina angelegt haben. Wer aber verbirgt sich hinter dem Namen? Ein Sammler, ein Kenner der frühen Weird Fiction in Deutschland, ein „Jäger“ von Geschichten und ein Entdecker selbiger? Eine Frage, die unseren Mitarbeiter Carsten Kuhr dazu bewogen hat, das Gespräch zu suchen.


Hallo Lars. Wenn ich Deinen Namen bei Wikipedia oder Amazon eingebe, bekomme ich keine Treffer - woran liegt das?

Lieber Carsten, wenn Amazon nichts hergibt, dann nimm doch Google. Da aber alle Bücher, die ich bislang herausgegeben habe, ausverkauft sind, gibt es wohl außer ein paar Besprechungen kaum Treffer zu meiner Person im Internet. Ich bin im Internet nicht als Selfpromoter in irgendwelchen Foren unterwegs, aber ich bin mit meinen Büchern in der Deutschen Nationalbibliothek gelistet und das ist doch auch schon mal was.

Ich selbst sehe mich zwar durchaus als versierten Sammler, aber irgendwelches konkretes Wissen kommt in der Regel erst mit den aktuellen Projekten, wenn ich mich durch Berge von Primär- und Sekundärliteratur arbeite und versuche, Ungereimtheiten aufzulösen und die einzelnen Informationen und Fragmente zusammenzufügen. Gerade bei den Trivialautoren gibt es leider oft nicht mehr viel herauszufinden, denn deren Vita ist in der Regel nie aufgezeichnet worden. Da kann man nur noch die kläglichen Reste zusammenkehren und versuchen, was halbwegs Ansprechendes daraus zu basteln, wie zum Beispiel im Fall von Hermann Dreßler.

Du hast zunächst für die Edition CL Anthologien mit zu Unrecht vergessener deutschsprachiger Phantastik herausgebracht, dann im Selbstverlag einen Band aufgelegt, bevor Du kürzlich zu Eric Hantsch und seinem neue Imprint zurückgekehrt bist. Lass uns das Pferd von hinten aufzäumen: Welche Anthologien verdankt der Freund der dunklen Phantastik Deinen unermüdlichen Forschungen und wo kann er sie beziehen?

An Anthologien mit phantastischen Geschichten aus der Zeit von 1800 bis 1945 sind bislang erschienen: „Wahngebilde“ (Edition CL, 2015), „Hinter dem Quecksilber“ (Edition CL, 2016), „Das sterbende Bild“ (Selbstverlag, 2019) und „Das Elixier des Lebens“ (Creepy Creatures Reviews, 2019). Ferner gab es noch einige Romane, die ich neu herausgegeben beziehungsweise initiiert habe: Richard Kühles „Alraune und der Golem“ (Goblin Press, 2015), Kurt Gerlachs „Krabat“ (Edition CL, 2017), Robert Heymanns „Wunder der Zukunft: Der unsichtbare Mensch vom Jahre 2111 / Der rote Komet / Die über und unter der Erde / Die Seele des ägyptischen Priesters“ (Dieter von Reeken, 2018) und Hermann Dreßlers „Die Künste des Doktor Incubus“ (Edition Dunkelgestirn, 2020). Die Auflagen waren stets auf 100 bis 150 Exemplare begrenzt und die Bücher sind in der Regel innerhalb von einem Monat bis einem Jahr ausverkauft gewesen. Es ist geplant, dass die nächsten Bücher wieder bei Eric Hantschs neuem Verlagsprojekt „Edition Dunkelgestirn“ erscheinen werden und wer Interesse hat, kann sich bei ihm auf die Mailingliste setzen und über alle seine Publikationen rechtzeitig informieren lassen.

Gibt es für derartige Sammlungen einen Markt? Immerhin bist Du selbst unter die Verleger gegangen - und dann wieder unter den Schirm von Eric geschlüpft; warum?

Es gibt durchaus ein konstantes Interesse an Publikationen mit klassischer Phantastik. Ob dies allerdings mehr daran liegt, dass die Bücher durch Limitierung und Ausstattung Sammlerobjekte sind oder ob der Inhalt den Reiz bietet, das vermag ich nicht zu beantworten. Sicherlich könnte man für deutlich mehr Exemplare als die üblichen 100 auch Leser finden, denn das habe ich immer dann erfahren, wenn ich mal wahllos Bücher an Nicht-Phantastik-Leser verschenkt habe und dann begeisterte Rückmeldungen bekommen habe. Aber um langfristig eine Leserschaft außerhalb der Phantastik-Szene zu erreichen, müsste man andere Möglichkeiten des Marketings nutzen und natürlich auch ganz anders produzieren. Eine Möglichkeit wäre sicherlich Print on demand, aber bei der dauerhaften Verfügbarkeit eines Buches ist natürlich das Problem, dass der Interessent das Besondere vermisst. Eric hatte ja mal eine Umfrage gemacht, ob zu den Sammlerausgaben eine parallele Taschenbuchausgabe gewünscht wird. Das Ergebnis war, dass die Hälfte sich eine Taschenbuchausgabe wünschen würde, aber die andere Hälfte dies keinesfalls haben möchte. Egal, was man nun tut, die Hälfte ist enttäuscht.

Nachdem Eric 2017 aus gesundheitlichen Gründen die Pforten der Edition CL geschlossen hatte, aber die nächste Anthologie „Das sterbende Bild“ schon komplett druckfertig war, habe ich mich dazu entschlossen, das Projekt selbst zu verlegen. Für das andere bereits fertige Projekt, Robert Heymanns vier phantastische Zukunftsalpträume „Wunder der Zukunft“, hatten wir dann glücklicherweise Dieter von Reeken begeistern können, so dass er die Schirmherrschaft übernahm. Damit war für Eric erstmal der Druck weg und wir hatten unsere Arbeit nicht vergeblich vorbereitet.

Es war also keine Verlagsflucht, sondern nur eine Pause, die wir nun voller Tatendrang und mit vielen neuen Ideen beendet haben.

Das bringt mich zu der Frage, wie Du zu Deinem Steckenpferd gekommen bist - warum ausgerechnet vergessene Gruselgeschichten zu suchen und herausragende Storys zusammenzustellen und zu veröffentlichen?

Vor rund 25 Jahren habe ich aus dem Bücherregal einer Freundin eine alte Ausgabe von Edgar Allan Poes Geschichten aus den 20er Jahren herausgezogen und war von der plötzlichen Erkenntnis, dass die phantastischen Geschichten, die ich so gerne las, ja auch in sehr viel schöneren Ausgaben als Taschenbüchern es sind zu finden sind und dass sich schon viele Generationen vor mir Leute beim Lesen dieser Erzählungen gegruselt haben, förmlich überrollt worden. Darüber hatte ich mir zuvor nie Gedanken gemacht. In der Folge bin ich durch die Antiquariate in der Stadt gezogen, stieß auf viele Gesichter mit Fragezeichen, wenn ich nach Phantastik fragte, bis ich dann mein erstes antiquarisches Buch kaufte: „Mein Begräbnis und andere seltsame Geschichten“ von Hanns Heinz Ewers. Danach suchte ich alle Bücher, die hinten auf den Werbeseiten genannt waren, also die ganzen phantastischen Titel aus dem Verlag von Georg Müller. Dann suchte ich die Bücher, die in den Anthologien „Das Gespensterbuch“, „Das unheimliche Buch“, „Jenseitsrätsel“ und wie sie alle heißen, als Quellen genannt waren, und so ging das dann immer weiter.

Zwangsläufig fand ich in den vielen Jahren der Sammelei auch völlig unbekannte Preziosen des Genres und es hat mich immer kirre gemacht, dass so viele andere Leser Geschichten wie „Die tausend Glocken des Li-Hung-Li“ von Alexander Max Vallas nie zu Gesicht bekommen würden. Und als meine Frau mir zum wiederholten Male - hoffentlich eher scherzhaft - mitteilte, dass, sollte ich vor ihr sterben, sie konsequent alle Bücher im Altpapier entsorgen würde, da sie das Genre so überhaupt nicht interessiert, machte ich mir über meine Sammlung und deren Sinn Gedanken. Ich hatte bei vielen bekannten Sammlern erlebt, dass mit deren Ableben die Sammlung und auch alle - oft einmaligen - Erkenntnisse in alle Winde zerstreut oder einfach entsorgt wurden. So war dies zum Beispiel bei Frank Rainer Scheck der Fall. Und da wurde mir klar, dass eine Sammlung und alle damit verbundenen Erkenntnisse völlig sinnlos wären, wenn man daraus nicht etwas für andere Sammler und Leser extrahiert. Das war die Geburtsstunde für meine erste Anthologie.

Wie geht das vor sich? Begibst Du Dich in Deinem Urlaub in dunklen Antiquariaten auf Streifzug in fremden Städten, oder wo und wie spürst Du den Geschichten nach?

Früher - als es noch in jeder Stadt wenigstens ein Antiquariat gab - bin ich tatsächlich an den unzähligen Wochenenden auf Einkaufstour gefahren. Da fuhr ich nach München, Prag, Wien, Straßburg, London oder Linz, klapperte in einer stundenlangen Tour de Force alle Straßen im Zentrum ab, um ja kein Antiquariat zu verpassen. Dann lief ich wie gehetzt durch die Regalreihen, fand meistens trotzdem nichts Interessantes, und wenn nach vielen Stunden und Kilometern dann ein Buch oder zwei notgedrungen (sogenannte Verlegenheitskäufe) mitgenommen werden konnten, dann war das schon ein Erfolg. Richtige Treffer haben sich so aber nur sehr selten ergeben.

Heute gibt es kaum noch Antiquariate, die ein Ladengeschäft betreiben und daher reise ich für Bücher auch nicht mehr in der Welt herum. Mittlerweile kaufe ich fast nur noch im Internet und recherchiere jeden Tag stundenlang in Archiven und auf Verkaufsplattformen nach hoffentlich ergiebigen Erzählungssammlungen und Zeitschriften. Das sind meistens Verdachtskäufe und von bei zehn gekauften Büchern ist höchstens eines dabei, in dem ich was Verwertbares finde.

Was unterscheiden Deine Funde von den aktuellen zeitgenössischen Erzählungen? Können unsere heutigen Autoren vielleicht gar nicht mehr wirklich gruselig erzählen?

Der Unterschied liegt einerseits im Sprachlichen - das, was viele Leser bei den alten Texten als sperrig, hölzern oder manieriert empfinden, ist eben der poetischere Sprachgebrauch aus der Zeit vor 100 Jahren. Heutige Autoren schreiben deutlich geradliniger, was eine Handlung zwar schneller zum Ziel führen kann, dabei vermag sich aber auch kaum eine geheimnisvolle Atmosphäre entwickeln. Dazu scheinen sich manche zeitgenössischen Autoren gegenseitig mit Schock-Momenten überbieten zu wollen, so dass die Überfülle an Effekten jegliche Handlung und Entwicklung der literarischen Charaktere überlagert.

Ein wichtiger Aspekt ist auch, dass es früher fast keine reinen Genre-Schriftsteller im Bereich der Phantastik gab. Man darf sich hier nicht von den üblichen Namen wie Ewers, Strobl oder Meyrink blenden lassen. Die meisten Texte waren Gelegenheitsarbeiten von Zeitschriften-Redakteuren oder literarische Nebenerzeugnisse von Schriftstellern jeglicher Couleur, die normalerweise in ganz anderen Bereichen tätig waren. Das führte dazu, dass in den alten Texten eine viel größere Bandbreite von Ideen vorherrscht, da die Autoren mit den Genre-Versatzstücken in der Regel gar nicht vertraut waren. Das Phantastische passiert einfach - es wird nicht erzwungen. Heutzutage stammt der Großteil der Genre-Werke von Autoren, die ausschließlich Phantastik verfassen. Dies verstellt meiner Meinung nach oft den Blick auf die Entwicklung einer guten Story, da man zu sehr mit dem Abarbeiten von Genre-Klischees beschäftigt ist.

Welche Autoren - lebend und verstorben - schätzt Du besonders und warum?

Ich bin in beiden Fällen eher ein Freund von einzelnen Werken als vom gesamten Schaffen eines Autors, denn selten hat ein Autor durchgehend ein qualitativ Ansprechendes geliefert. Man denke hier nur an die gerne genannten Klassiker Ewers, Strobl und Meyrink. Man findet im Oeuvre dieser Autoren auch ordentlich viel Käse. Bekennt man sich als Fan von Ewers und Strobl, läuft man außerdem umgehend Gefahr, dass man auch als Anhänger ihrer fragwürdigen Arbeiten während der NS-Zeit gilt.

Bei den verstorbenen Autoren begeistern mich so viele Autoren und Werke - letztlich muss man nur einen Blick in meine Bücher werfen, dann weiß man, was für mich eine gute Geschichte ausmacht.

Von den lebenden Autoren begeistert mich gerade Edgar Keiser - er publizierte schon zehn überdurchschnittlich gute Horror-Geschichtensammlungen im Selbstverlag über Amazon. Auch Christian von Asters „Die Baker-Street-Artefakte“ fand ich ganz toll - eine schöne Idee und auch eine sehr schöne Auswahl an Geschichten. Jakob Arjounis „Chez Max“ ist eine tolle Utopie, die mit viel Witz geschrieben wurde, aber auch in den Werken von Carlos Fuentes, Haruki Murakami oder T. C. Boyle lassen sich Genre-Perlen finden.

Es ist ja nicht immer einfach, die vergessenen Preziosen zu finden - geschweige denn, sie zu erwerben. Arbeitest Du auch mit elektronischen Scans von Bibliotheken? Wenn ja, wo findest Du die Hinweise auf die entsprechenden Veröffentlichungen?

Vor allem bei Zeitschriften greife ich gerne auf Digital zurück, da es immens schwierig und kostenintensiv ist, sich ganze Jahrgänge in brauchbarem Zustand von einzelnen Periodika zu kaufen. Allerdings gibt es dort keine Hinweise auf einschlägige Texte. Auch wenn oft ein Inhaltsverzeichnis mit angeboten wird, so weiß doch keiner was sich hinter „Der Spiegel“ von Max Brod verbirgt, bis man den Text gelesen hat. Das heißt, man muss letztlich jede Erzählung wenigstens so weit überfliegen, dass man den Inhalt halbwegs erfasst hat. Und wir reden hier von tausenden Texten. Nur so kann man die Funde machen, die die Leser in meinen Büchern vorfinden.

Wie läuft eine solche Fernleihe - unterteilt in elektronisch oder Papier - ab?

Ich habe noch nie ein Buch per Fernleihe bestellt - weder als Student, noch als Herausgeber. In der Regel kaufe ich mir das, was mich interessiert, sofern es verfügbar ist. Damit Du eine Vorstellung hast: meine Suchliste umfasst ca. 2000 Bücher und Periodika und die Zahl bleibt seit Jahren relativ konstant, denn mit jedem Fund kommt auch eine neue Wissenslücke hinzu. Gerade die Vorkriegsliteratur ist oft nur noch in den Lesesälen der besitzenden Bibliotheken nutzbar und meistens darf sie auch aus konservatorischen und urheberrechtlichen Gründen nicht kopiert werden. Die Fernleihe wäre für mich somit keine Hilfe.

Nun haben zwei Weltkriege, die Reichsschrifttumskammer und die Jungendprüfstelle dafür gesorgt, dass viele Periodika verschwunden sind - findest Du auch einmal auf Flohmärkten oder bei Trödelhändlern etwas? Was war der spektakulärste Fund, welche Abenteuer hast Du beim Stöbern erlebt?

Mein aufsehenerregendster Fund stammte nicht aus dem phantastischen Genre. Es war ein kleiner Katalog zu einer Kunstausstellung in München um 1910 - genau weiß ich das nicht mehr, denn das ist schon über 20 Jahre her. Ich hatte den Katalog für eine Mark in einem Schmuddel-Antiquariat gekauft, obwohl sich vorne und hinten Bleistiftkritzeleien befanden. Als ich später das Büchlein im Internet zur Auktion anbot, war ich schon sehr versucht, dieses Geschmiere wegzuradieren, war dann aber der Ansicht, dass das zu viel Arbeit für einen 1-Mark-Artikel wäre. Am Ende kaufte das Büchlein jemand für 5 Mark, ich war glücklich und vergaß die Angelegenheit wieder. Bis der Käufer über Monate hinweg stetig bei mir anrief und mir Nachrichten hinterließ, dass ich mich doch unbedingt melden soll. Ich war mir sicher, dass er sich wegen der genannten Bleistiftzeichnungen beschweren wollte, und war schon richtig genervt, denn der Käufer gab einfach keine Ruhe. Bis er mich dann doch mal am Telefon erwischte und dann platzte die Bombe: Der Käufer war ein Sammler von Originalkunstwerken von Pablo Picasso und stand auch mit der Familie Picasso in Verbindung. Er teilte mir mit, dass dies der Katalog zur einzigen Ausstellung in Deutschland sei, bei der Picasso anwesend war und für Gäste Handzeichnungen und Skizzen auf die Katalogumschläge zeichnete - und ob ich noch mehr von diesen Originalen hätte... Da war ich echt sprachlos, gönnte ihm aber seinen Kauf und habe seitdem immer eine schöne Geschichte zu erzählen.Es gibt hin und wieder Floh- oder Büchermärkte, die besuchenswert sind, aber weniger wegen der Phantastik. Die findet man hier in der Region so gut wie gar nicht. Hier im Großraum Nürnberg haben vor allem Arbeiter gelebt und daher ist hier vor allem religiöse Erbauungsliteratur verbreitet gewesen. Viel mehr konnte sich ein Geringverdiener kaum leisten. Dazu kommt dann noch die völlige Zerstörung von Nürnberg im Januar 1945. Anders verhält es sich zum Beispiel in München. Dort hatten viele Künstler und Kunstinteressierte ihre Heimat und daher ist dort der Bestand an alten Büchern auch vielseitiger.

Was war Dein wertvollster Fund - unterteilt in monetär und ideeller Wert?

Ideell habe ich mich zuletzt am meisten über den überraschenden Fund der wohl ersten deutschen Übersetzung von Mary Shelleys „Frankenstein“ gefreut, die sehr lange vor der Buchausgabe von 1912 im Max-Altmann-Verlag erschienen ist. Diese Übersetzung ist bislang in keiner einzigen der vielen Publikationen zu diesem Klassiker auch nur erwähnt worden. Auch eine bislang unbekannte Übersetzung von William Beckfords „Vathek“ aus dem Jahr 1800 hat mich begeistert, da der Übersetzer in seinem Vorwort auf 40 Seiten zu belegen versucht, dass Vathek eine historische Persönlichkeit gewesen sei. Das war ja gerade die Idee von Beckford, sein Werk als eine Art Sage aus der arabischen Vorwelt wirken zu lassen, und es mutet seltsam an, wenn man sieht, wie ein deutscher Gelehrter ihm so richtig auf den Leim gegangen ist und sich fabelhaft blamiert. Oder der Fund von Willy Seidels persönlichem Exemplar von A. M. Freys „Solneman der Unsichtbare“ mit Original-Tuschezeichnungen, die für eine leider nie realisierte illustrierte Ausgabe gemalt worden waren.

Monetär wertvolle Funde gibt es immer wieder, aber die kosten meistens auch entsprechend viel. Richtige Schnäppchen macht man eher selten, dafür gibt es zu viele kompetente Mitbewerber im Internet. Eines der teuersten Bücher, die ich mir gegönnt habe, war „Das weiße Tier“ von Georg von der Gabelentz. Das Buch ist mir über Jahre hinweg stetig begegnet, aber immer war ich nicht schnell genug. Irgendwann wurde das Buch in miserablem Zustand in einer Auktion angeboten und ich habe mich hinreißen lassen und weit über 1000 EUR für das Buch geboten. Ich wollte einfach nicht mehr länger danach suchen müssen.

Und welcher Fund hat Dich im Nachhinein überrascht?

Bei den Fehlkäufen war es der phantastische Roman „Der Zauberlehrling oder die Teufelsjäger“ von Hanns Heinz Ewers. Den hatte ich nach langem Suchen (und lange vor dem Internet) endlich auf einem Büchermarkt bei einem windigen Händler gefunden. Ich hätte dafür jeden Preis bezahlt, obwohl das Buch in einem schlechtem Zustand und auch eine späte Auflage war. Ich konnte das Buch dann für 80 Mark kaufen und war überglücklich. Einige Jahre später, als das Internet auch bei mir Einzug gehalten hatte, habe ich dann gesehen, wie häufig dieser Titel ist und dass das Buch in diesem Zustand keine 5 EUR gekostet hätte... Ja, das hat mich doch auch überrascht. Das Internet hat halt vieles transparent und zugänglich gemacht.Es wurde vor vielen Jahren mal ein Bändchen von Gustav Meyrink angeboten, das den Titel „Die Stadt mit dem heimlichen Herzschlag“ trägt. Es sollte um 1930 erschienen sein, war aber in keiner Bibliographie zu Meyrink erwähnt worden. Das weckte natürlich meine Neugierde und ich war dann wirklich überrascht, denn das Buch war komplett kalligraphisch von Hand geschrieben - mit Tinte auf Büttenpapier und dazwischen befinden sich originale Bleistiftzeichnungen. Ein solches Unikat zu finden, das gleicht einem Lottogewinn.

Aber das Glücksgefühl, wenn man beim Wühlen in staubigen Kisten und mit Spinnweben verhangenen Bücherstapeln vor Ort mal ein gesuchtes Buch endlich gefunden hat, das kommt bei Internetbestellungen leider nicht auf.
Inhaltlich gab es bei Funden selten positive Überraschungen - da überwiegen mehr die Enttäuschungen. Wenn zum Beispiel Autoren über Jahre hinweg empfohlen und hochgelobt werden, deren Werk sich dann als gar nicht mal so spektakulär herausstellt, wie zum Beispiel bei Arno Hach.

Ist das nicht ein teures Hobby - und so richtig punkten kann man damit in seinem Freundeskreis eventuell auch nicht - nach dem Motto, der Bücherwurm mit seinen alten Schwarten..?

Teuer ist es in der Tat - im Jahr gebe ich den Gegenwert eines kleinen Neuwagens für Bücher und Zeitschriften aus. Zwar sind viele meiner Besucher beeindruckt von den vollen Bücherregalen, aber es gibt für mich kaum etwas Schlimmeres als Leute, die mit ihrem Hobby andere Menschen langweilen und in geschwätziger Monotonie fachsimpeln. Daher behellige ich Gäste in der Regel nicht mit meinen Büchergeschichten. Die hebe ich mir für meine liebe Frau und die Begleitworte in meinen Büchern auf.

Was würdest Du Dir von einem mutigen Verleger wünschen? Welche Titel, welche Sammlungen sollte er auflegen und warum?

Von den Szene-Verlegern erwarte ich inhaltlich keineswegs mehr - die machen das, was sie können und ihnen gefällt und ich bin auch ganz froh, dass ich relativ wenige „Konkurrenten“ auf dem Gebiet der klassischen Phantastik habe. So kann ich ohne Zeitdruck vor mich hinwurschteln, ohne befürchten zu müssen, dass kurz bevor ich ein Buch fertig habe jemand anders denselben Text herausbringt.

Die Frage steht an, wie es mit dem Herausgeber Dangel weitergeht? Wirst Du weiterhin bei Eric eine verlegerische Heimat haben, vielleicht gar zusätzlich in Eigenregie einen Titel produzieren?

Ich hoffe sehr, dass Eric und ich weiterhin als tolles Team zusammenarbeiten und ich ihn mit meinen Ideen und Spinnereien nicht irgendwann nerve. Als Eric pausierte, habe ich ja bei einigen anderen Verlagen angeklopft, um die vorbereiteten Projekte anzubieten, aber meistens hatte man am Thema gar kein Interesse und wenn doch, dann keinesfalls in einer ansprechenden Ausstattung. Insofern bleiben nur Eric und ich als Verleger übrig, wenn die Bücher weiterhin so aussehen sollen. Möglich ist, dass ich Eric zu viele Projekte vorlege, dann wäre es eine Option, dass ich wieder selbst ein Buch verlege. Das ist keinesfalls ausgeschlossen.

Im Moment habe ich die rechtefreien Texte meiner ausverkauften Werke an die Seite www.ngiyaw-ebooks.org gespendet. Dort kann man kostenlos eBooks herunterladen. Ursprünglich hatte ich das Angebot an das Projekt Gutenberg geschickt, aber die hatten wohl kein Interesse und sich nie zurückgemeldet. Aber es war mir wichtig, dass die Texte gelesen werden können, auch wenn man kein Buch ergattern konnte. Dennoch ist es möglich, dass ich irgendwann mal eine Art „Best of“ meiner Anthologien zu einer neuen Anthologie zusammenstelle - vielleicht sogar als Taschenbuch...

Deine Anthologien zeigen uns einen Bücherliebhaber (bibliophile Gimmicks wie Fadenheftung, Leineneinband, Titel und Rückenprägung und Lesebändchen), war eine günstiger zu produzierende und vielleicht leichter vertreibbare broschierte Ausgabe nie einen Gedanken wert?

Als Bibliophiler möchte ich einen Leineneinband mit entsprechenden Titelprägungen nicht gerade als Gimmick bezeichnen, sondern vielmehr als Grundausstattung für ein hochwertiges Buch. Ein Gimmick wäre für mich ein zweites Lesebändchen oder exotische Tierleder als Bezugsmaterial. Gerade letzteres muss heutzutage nicht mehr sein, denn es gibt ausreichend ansprechende, dekorative und strapazierfähige Alternativen.

Broschierte beziehungsweise kartonierte Ausgaben gab es mit „Das Elixier des Lebens“, „Alraune und der Golem“ und auch mit den „Wundern der Zukunft“ bereits, da dies die Standardausstattungen der entsprechenden Verlage waren.

Der Vertrieb ist in diesem Fall nicht einfacher, lediglich das Gewicht des Buchs ist geringer und man kann es noch als Brief versenden. Dies war nur bei „Das sterbende Bild“ nicht mehr der Fall, da wir die Grenze von einem Kilogramm überschritten haben, was uns aber auch erst im Nachhinein aufgefallen ist.

Für die Planung eines Buchprojekts sind mir aber solche Nebensächlichkeiten nicht wichtig - das Buch muss insgesamt stimmig sein und ob da nun am Ende höhere Versandkosten anfallen oder nicht, sollte keine Rolle spielen. Freilich beklagen immer wieder Leute die Buchpreise, aber ich kann versichern, dass Eric und ich nur die reinen Druck-, Binde- und Versandkosten berechnen und keinen Cent Gewinn erwirtschaften. Alle weiteren Kosten, wie zum Beispiel Fahrten zur Druckerei, Korrekturausdrucke, Quellenmaterial, Software, etc. gehen zu unseren Lasten, da wir dies als Hobby sehen und Hobbys werfen in der Regel keinen Profit ab. Andere tragen ihr Geld ins Gasthaus, wir geben es halt für unsere Buchprojekte aus.

Wie viele Bände umfasst Deine Bibliothek? Was schlummert darin? Reicht es von der Galerie der Phantasten bis zur Bibliothek des Hauses Usher und Bibliotheca Dracula über Horror-Taschenbuchreihen bis zu Festa-Titeln?

Es ist ca. 10 Jahre her, dass ich meinen Buchbestand zuletzt geschätzt habe. Er bewegt sich irgendwo im fünfstelligen Bereich, genauer kann ich das leider nicht angeben. Die antiquarischen Werke füllen zwei Zimmer mit deckenhohen Regalen, die modernen Werke finden im Wohnzimmer Platz.
Was mich von vielen anderen Sammlern unterscheidet, ist, dass ich kein Komplettsammler bin, sondern nur die Bücher behalte, die mir nach dem Lesen inhaltlich zugesagt haben. Nur so bleibt die Sammlung für mich attraktiv. Ich will nicht ständig auf Bücher stoßen, bei denen ich denke „Ach, du lieber Himmel, was für ein Schmarrn!“. Ich kaufe ja prinzipiell erstmal alles Einschlägige, auch wenn ich nicht weiß, was mich inhaltlich erwartet. Und nach und nach lese ich mich dann durch meinen Bestand und ich denke mal, dass mindestens jedes zweite Buch nicht dauerhaft bei mir bleiben darf...

Bei den modernen Werken sind die von Dir genannten Reihen selbstverständlich auch vertreten, aber meistens nicht vollständig, da mir manche Autoren nicht gefallen oder ich einzelne Werke in älteren Ausgaben habe. Bei Festa bin ich allerdings schon vor vielen Jahren ausgestiegen - ich habe vor 30 Jahren „Die 120 Tage von Sodom“ von Marquis de Sade gelesen und mir wurde damals wirklich flau im Magen. Da brauche ich weder diese ganzen Neuaufgüsse, noch das Sujet selbst - denn darüber hat de Sade schon vor über 200 Jahren fast alles geschrieben.

Auf welche Projekte können wir uns freuen, was ist spruchreif?

Weitestgehend fertig ist die nächste Anthologie, die in diesem Jahr wieder bei Eric erscheinen soll.

Gerade übertrage ich einen sehr spannenden Spuk-Roman, der vielleicht auch noch dieses Jahr erscheinen kann und parallel dazu arbeite ich an der Übertragung der oben genannte erste deutsche Übersetzung von Shelleys „Frankenstein“ , die ich gerne in einer richtig exklusiven Ausstattung publizieren möchte, also mit Büttenpapier und dem ganzen Schnickschnack. Das würde wohl wieder ein Privatdruck von mir selbst werden, da ich kaum einem Verleger die Kosten hierfür zumuten kann. Aber gerade der „Frankenstein“ ist nicht spruchreif, da ich mir über das Interesse der Leser nicht sicher bin und weiß, dass bei einer solchen Ausstattung der Preis irgendwo im dreistelligen Bereich liegen wird. Da muss ich mir noch viele Gedanken zur Planung machen. Vielleicht nehme ich den Text auch irgendwann mal in eine Anthologie auf. Unbekannte und seltene Texte für viele weitere Anthologien habe ich auf jeden Fall jetzt schon zusammengetragen und da sind noch richtig tolle Überraschungen dabei.

Hab’ ganz herzlichen Dank, dass Du Dir für uns Zeit genommen hast. Wir wünschen Dir für die Zukunft alles Gute und uns weitere tolle Anthologien mit vergessener Phantastik.

Lieber Carsten, ich danke Dir und allen Lesern für das Interesse und ich freue mich auf die kommenden Projekte.