Kerstin Gier: Silber – Das zweite Buch der Träume (Hörbuch)

Kerstin Gier
Silber – Das zweite Buch der Träume
Silber-Trilogie 2
Ungekürzte Lesung von Simona Pahl
Argon, 2014, 8 CDs, ca. 583 Minuten, ca. 19,99 EUR, ISBN 978-3-8398-400-3

Von Irene Salzmann

Liv Silber gehört zu den wenigen Menschen, die in ihren Träumen die Tür entdeckt haben, die es ihnen erlaubt hinauszugehen, durch andere Türen die Träume Dritter zu besuchen und sich in dieser erstaunlichen Welt mit Ihresgleichen zu treffen. Zunächst ist es für sie ein fantastisches Abenteuer und ein großer Spaß – bis zwei Mitschüler versuchen, sie zu töten.

Glücklicherweise kann sie den beiden entkommen, in der realen Welt landet Annabelle in der Psychiatrie, und Arthur hat nach einer körperlichen Auseinandersetzung einen Heidenrespekt vor Liv („Silber – Das erste Buch der Träume“).

Aber damit ist die Gefahr nicht vorüber, denn Liv und ihr Freund Henry möchten nach wie vor die Traumwelt erkunden und mit den Gaben, die sie hier haben, wie das Gestaltwandeln und Schaffen von Objekten, spielen, ungeachtet etwaiger moralischer Bedenken und möglichen Bedrohungen. Tatsächlich treiben sich außer Arthur weitere Personen und wer weiß was noch alles in den Gängen herum, und so Mancher hegt finstere Pläne. Das bekommt auch Mia, Livs jüngere Schwester, zu spüren, die plötzlich schlafwandelt. Beinahe hätte sie in einer solchen Phase Liv mit dem Kissen erstickt, und ein anderes Mal wäre sie fast aus dem Fenster gestürzt. Verfügt Annabelle mittlerweile über soviel Macht, dass sie sogar trotz Ruhigstellung die Ahnungslose in ihren Träumen manipulieren kann?

Als hätte Liv damit nicht schon genug Sorgen, kriselt es zwischen ihr und Henry. Nicht nur hütet er viele Geheimnisse, über die andere Bescheid wissen und von denen sie bloß zufällig erfährt, obendrein dringt er in den Whirlpool-Traum der verführerischen, nackten B. ein, die eindeutige Absichten verfolgt…Das gibt Liv den Rest. Schon am Tag darauf weiß die ganze Schule, dass sich Liv und Henry getrennt haben – dank des Blogs der mysteriösen Secrecy. Woher nur hat sie diese und so viele andere peinliche Informationen, die eigentlich keiner kennen dürfte? Wie erfährt sie von all diesen Geschehnissen so schnell? Ist etwa Henry die undichte Stelle? Oder Annabelle? Oder…?

Natürlich ist das bloß eine kurze Zusammenfassung der Geschichte, denn es passiert noch sehr viel mehr in „Silber – Das zweite Buch der Träume“. Die spannenden Ereignisse, die sich in der Traumwelt abspielen und allmählich eskalieren, wechseln sich ab mit den Sorgen, die eine Patchwork-Familie mit sich bringt (Liv und Mia sind mit ihrer Mutter zu deren neuem Lebensgefährten gezogen, der seinerseits Zwillinge allein aufzieht und eine tyrannische Schwiegermutter in die geplante Ehe mitbringt), dem schulischen Alltag und den Konflikten der Protagonisten untereinander.

Hat man „Das erste Buch der Träume“ nicht gelesen/gehört, fühlt man sich Kopf voran in eine komplexe Handlung gestoßen, in der es von einer Menge Figuren nur so wimmelt, die man erst nach der zweiten von acht CDs allmählich unterscheiden und zuordnen kann, denn Kerstin Gier verzichtet auf jegliche Erklärungen und geht lediglich im Verlauf der Handlung kurz auf die früheren Geschehnisse ein. Im ersten Moment fühlt man sich darum von der Fülle an nebensächlich erscheinenden Details erschlagen, doch nach und nach findet man sich immer besser zurecht und lauscht schließlich gespannt dem inszenierten Vortrag von Simona Pahl.

Der Sprecherin gelingt es, den Charakteren Leben einzuhauchen. Allein die Darstellung des Hausmädchens Lottie wirkt etwas übertrieben, und Hauptfigur Livs hochnäsig-spöttisch-nörgeliger Tonfall, der seit „Buffy“ gang und gäbe bei weiblichen Teens zu sein scheint, ist Geschmackssache. Aus Livs Sicht werden die Geschehnisse geschildert, und so weiß der Leser/Hörer immer genauso viel wie sie, d. h., er darf zusammen mit ihr raten, weshalb Henry so viele Geheimnisse ausgerechnet vor seiner Freundin verbirgt, wer Secrecy ist und sie mit Informationen versorgt, ob Arthur tatsächlich einen Waffenstillstand wünscht, wie gefährlich Annabelle noch immer ist, wer es auf Mia und Liv abgesehen hat, wie weit der Betreffende gehen würde, und, und, und.

Je weiter die Handlung voranschreitet, umso spannender wird die Story. Am Ende erhält man einige, aber längst nicht alle Antworten. Viele Auflösungen hebt die Autorin für „Das dritte Buch der Träume“ auf, darunter die Wahrheit über die Gefahren in der Traumwelt, die Pläne, die Annabelle und Arthur, womöglich auch Henry verfolgen und ob es für Liv und Henry ein Happy End gibt. Infolgedessen ist „Silber – Das zweite Buch der Träume“ ein typischer ‚Mittelband‘, der die Geschichte weiterbringt und den Charakteren erlaubt, sich zu entwickeln, aber zu viele Fäden lose lässt, um wirklich zu befriedigen.

Hat man Spaß an fantastischen Jugendbüchern, die vor einer nachvollziehbaren Kulisse spielen und – in diesem Fall in eine gefährliche Traumwelt entführen, dürfte man sich von der „Silber“-Trilogie gut unterhalten fühlen, denn sie greift in einem flotten Schreibstil alle Themen auf, für die sich die Hauptzielgruppe der 13 bis 18jährigen interessiert. Allerdings sollte man die Bände unbedingt in der richtigen Reihenfolge lesen/hören, um von Beginn an die Protagonisten kennenzulernen und sich leichter in die Geschehnisse einfinden zu können.