Sin City 1: Stadt ohne Gnade (Comic)

Sin City 1
Stadt ohne Gnade
(Frank Miller's Sin City, Volume 1: The Hard Goodbye)
Text & Artwork: Frank Miller
Vorwort: Andreas C. Knigge
Übersetzung: Karlheinz Borchert
Cross Cult, 2011, Hardcover, 216 Seiten, 22,00 EUR, ISBN 978-3-942649-11-7

Von Frank Drehmel

Frank Miller gehört zweifelsohne zu den bedeutendsten Protagonisten der Neunten Kunst; und spätestens seit dem Kinodebüt im Jahre 2005 dürfte nicht nur „Sin City“, sondern auch der Vater dieses düsteren Hardboiled-Settings, der neben Robert Rodriguez als Co-Regisseur fungierte, einem breiten Publikum ein Begriff sein, das zu Comics im Allgemeinen oder Millers Erzählweise im Besonderen nur wenig Bezug hat. Mit „Stadt ohne Gnade“ folgt CrossCult dem amerikanischen Publisher, Dark Horse, nach und gibt den ersten Band der Maßstäbe setzende Reihe in einer Neu-Edition mit neuem, ausdrucksstarkem Cover heraus.

Im Mittelpunkt dieses ersten von sieben Bänden steht der desillusionierte, einsame und skrupellose Marv, seines Zeichens Killer und Mann fürs Grobe. Als er eines Morgens nach einer durchsoffenen und durchhurten Nacht neben der toten Goldie aufwacht, schwört er, den Mörder der jungen Frau, die er in seiner Vorstellung idealisiert hat, nicht zuletzt deshalb zu finden und zu richten, weil dieses Ziel seinem gewaltgeprägten Leben Sinn und Richtung gibt. Die Suche nach dem Täter führt ihn zu anderen Getriebenen, zu Ausgestoßenen, zum Abschaum der zerstörerischen Stadt, einem Abschaum, der allerdings nicht nur in den Gossen zu finden ist, sondern auch den Herrenhäusern. Einige dieser Menschen, die seinen Racheweg kreuzen, sind ihm wohlgesinnt, den Meisten jedoch muss er mit roher Gewalt und Folter ihre dunklen Geheimnisse entreißen, bevor er die Zerschundenen schließlich erlöst. Als er schließlich dem Täter gegenübersteht, muss er erkennen, dass selbst ein ultraharter Kerl wie er selbst nicht dem soziopathischen Monster gewachsen ist, das nicht nur Goldie auf dem Gewissen hat. Doch Erkenntnis ist das eine, aufgeben das andere.

Während der Hardboiled-Detektiv in der Belletristik im Zuge der Romane Raymond Chandlers, Dashiell Hammetts oder Mickey Spillanes als nachhaltig etablierte Figur angesehen werden darf, fristete er im Comic mit der Fokussierung auf „klassische Superhelden“ spätestens ab dem sogenannten Silbernen Zeitalter ein Nischendasein, auch wenn dieser Typus selbstredend schon in Comics der Pulp-Ära auftauchte. 1991 wurde die düstere Spielart des Kriminalromans in Frank Millers „Sin City“, das zunächst in der Anthologie-Reihe „Dark Horse presents“ episodenweise erschien, für das US-amerikanische Comic (neu) entdeckt und fand seitdem weitere Anhänger in der Autorenschaft, wie beispielsweise Ed Brubaker, dessen „Sleeper“-Serie ebenfalls bei Cross Cult erschienen ist.

Inhaltlich beschreitet Miller in seinen Figuren-Entwürfen, dem Szenario sowie seiner Erzählweise durchaus tradierte Noir- und Hardboiled-Pfade. Die Stadt ist ein düsterer Pfuhl, in dem sich die korrupte Staatsgewalt, Junkies, Prostituierte und Killer – einige davon echte Psycho- beziehungsweise Soziopathen – einen Krieg ohne Gnade liefern, einen Krieg, in dem Liebesbekundungen zu plattem Pathos verkommen, da Menschlichkeit den Tod bedeutet. Marv ist ein wahnsinniger, gnadenloser, desillusionierter Killer, der, gefangen in einer Illusion von Vollkommenheit, der sich mit geradezu obsessiver Beharrlichkeit durch das Dickicht des Verbrechens mordet, verqueren, undurchschaubaren Loyalitäten folgend und der schlussendlich das erntet, was er und seinesgleichen gesät haben.

Während die Story in bekannten – wenn auch extrem harten, scharfen – Bahnen verläuft, sind Millers Artwork und Bildsprache schlichtweg überwältigend düster, lebendig und abwechslungsreich. Bestimmend ist hier zunächst der extreme Hell-Dunkel-Kontrast, das Gegenüberstellen von „Tiefschwarz“ und „Reinweiß“ ohne jegliche Graustufen; Nuancen in der visuelle Wahrnehmung entstehen lediglich durch den Strichduktus: in holz- beziehungsweise linolschnitthaften Panels bricht der Kontrast, der sich durchaus mit Mike Mignolas genialen Schattenspielen messen kann, mit voller Wucht über den Leser herein, wohingegen die feinstrichig ausgearbeiteten Passagen deutlich weicher wirken. Ein weiteres Stilmittel, dessen sich Miller ausgiebig bedient, ist eine Negativ-Darstellung, also weiße Konturen vor schwarzem Hintergrund. Unterm Strich erhält das Artwork alleine durch die Ausleuchtung, das Arbeiten mit Licht und Schatten eine expressive, zum Teil surreale Intensität. Ein weiteres Merkmal ist die Vielseitigkeit sowohl in der Anordnung beziehungsweise Form und Abgrenzung der Panels, als auch der Wahl der Perspektiven, Einstellungen und Schnitte, die alles in allem an sehr cineastisch angelegt sind und an die Noir-Filme aus der Mitte des letzten Jahrhunderts erinnern. Zur düsteren, geradezu klaustrophobischen Atmosphäre trägt schlussendlich bei, dass Miller die Figuren oftmals vor leeren oder sehr vagen Hintergründen agieren lässt und dem Leser kaum Bilder von der Stadt selbst liefert, die über eine Mauer oder eine schwarze Skyline hinausgehen.

Fazit: Alleine die editorische Gestaltung mit ihrem grandiosen Cover-Artwork – schwarzer Drucklack auf matt-weißem Grund – rechtfertigte eine Empfehlung dieses Sammelbandes, würde man nicht auch noch einen Meilenstein der Neunten Kunst erwerben.