Martin Schemm: Das Geheimnis des goldenen Reifs (Buch)

Martin Schemm
Das Geheimnis des goldenen Reifs
Goldschatz-Zyklus 2
Ellert & Richter, 2013, Paperback, 480 Seiten, 14,95 EUR, ISBN 9-783-83190527-0

Von Britta van den Boom

Im 11. Jahrhundert ringen Heinrich IV. und seine Grafen miteinander um die Vorherrschaft im Reich. Während der junge König den Tagen der unangefochtenen Regentschaft seines Vaters hinterher trauert und versucht, mit Härte und der Neuverteilung von Gütern seine Grafen zu kontrollieren, verbünden diese sich gegen ihren Herren, um seine Machtbestrebungen einzudämmen und ihre Pfründe nicht zu verlieren.

Doch der Pfalzgraf Friedrich von Gozeka will noch mehr: Seine Machtgier lässt ihn von höchsten Ehren träumen. Zwar verfügt er trotz seiner Verbündeten nicht über die militärischen Mittel, um den König zu bezwingen, doch kommt ihm ein Zufallsfund aus der Erbschaft seines verstorbenen Bruders zur Hilfe. Dieser, obschon ein Mann der Kirche, hatte einst eine Expedition in das Reich der Schwarzelben angeführt und dort allerlei Kostbarkeiten erbeutet, unter anderem einen goldenen Armreif, der die Macht besitzt, jedem Sterblichen seinen Willen aufzuzwingen. Friedrich von Gozeka gelingt es, das Geheimnis des Reifes zu entschlüsseln und sich seine Gegner Untertan zu machen.

Aber die Schwarzelben wollen alle verlorenen Schätze zurückholen und schicken Lindfell, den Nachkommen eines Wechselbalges und somit vom Aussehen her menschlich, an die Oberfläche, damit er das Schmuckstück findet. Bald reist dieser mit ungewöhnlichen Verbündeten in Gestalt von zwei Mönchen und einer Kammerdienerin – ihre Suche ist ein Wettlauf gegen die Zeit, denn nicht nur wollen sie den Schaden verhindern, den Friedrich in seinem Machthunger anrichten wird, sondern auch, dass der wahrhaftige Besitzer des magischen Reifs sich einschaltet: Wodan, der Göttervater.

Es ist ein vielversprechender Ansatz, reale historische Figuren und Ereignisse mit phantastischen Elementen zu verweben, und man merkt dem Roman an, dass Martin Schemm gut recherchiert hat. In vielen Details beweist er, dass er sich eingehend mit den Hintergründen, mit Kleidung, Gewohnheiten, Landschaften dieser Epoche beschäftigt hat, mit den vielen politischen Zusammenkünften und militärischen Geschehnissen, die aus der Zeit von Heinrich IV belegt sind. Seine Protagonisten bewegen sich durch eine dichte Welt, in der die Beschwerlichkeiten der Reisen und die Widrigkeiten des Krieges überzeugend dargestellt sind.

Hinzu kommen die übernatürlichen Aspekte, die Schemm auf eine Weise einfließen lässt, die nahezu unaufdringlich wirkt. Die alten Frauen, denen der Handlanger Friedrichs auf der Suche nach dem magischen Schlüssel für den Reif begegnet, kommen nicht in großem Ornat daher, sondern bescheiden, fast schon etwas gewöhnlich in ihrer klassischen Darstellung als Waldeinsiedlerinnen mit Zauberkräften. Die Welt der Schwarzalben unter dem Berg ist groß und glanzvoll, aber ebenfalls irgendwie beiläufig, da die Figuren nicht viel Zeit dort verbringen und die meisten der Alben sich mehr in Statur und Aussehen denn in ihrem Verhalten von den Menschen der Oberfläche unterscheiden. Weitere Aspekte aus der Mythologie, wie Geister oder die Wilde Jagd, begegnen den Reisenden mit der gleichen Natürlichkeit wie Unwetter oder Räuber. Auch wenn das Christentum längst Fuß gefasst hat im Reich, sind die alten Wurzeln noch nicht vergessen.

Vielleicht ist es aber gerade diese Realitätsverbundenheit, die dem Roman auch Einiges von der Spannung nimmt, die mit der Grundidee möglich gewesen wäre. Die mittelalterliche Belagerung einer Burg ist zumeist eine lange und schmutzige Angelegenheit, ebenso das Reisen zu Fuß über die Berge des Harzes. Treffen der Fürsten des Landes mit ihren geschichtlich verbrieften Ergebnissen lassen wenig Raum für Lebendigkeit, und die sehr gewählte, ja förmliche Sprechweise, die der Autor all seinen Figuren in den Mund legt, schafft eine deutliche Distanz zu den Charakteren. Zudem lässt Schemm sich sehr viel Zeit, um seine Geschichte zu entwickeln. Zwar erlangt der Pfalzgraf den goldenen Reif schon zu Beginn des Buches, doch dauert es 330 Seiten, bis er ihn zum ersten Mal einsetzen kann – und bis dahin sind sehr viele Gespräche geführt worden und sehr viele Meilen gewandert.

Es ist ein sonderbarer Effekt: Irgendwie passiert immer etwas, und irgendwie fällt es schwer, sich davon mitreißen zu lassen. Hin und wieder tauchen lebendigere, dynamischere Szenen auf, doch meistens dominieren detailreiche Beschreibungen und wortreiche, leicht konstruiert wirkende Dialoge. Trotz der fantastischen Elemente fehlt das Überraschende, das Glänzende in der Geschichte. Schemm gelingt es, reale Historie in seinem Roman greifbar zu machen, und das mit einer überzeugenden Komplexität. Trotzdem – oder gerade deswegen – fehlt dem Roman etwas, was den Leser durch die Seiten ziehen und mit den Schicksalen der Protagonisten mitfiebern lassen würde.