Daniel H. Wilson: Das Implantat (Buch)

Daniel H. Wilson
Das Implantat
(Amped, 2012)
Aus dem Amerikanischen von Markus Bennemann
Droemer, 2014, Paperback, 14,99 EUR, ISBN 978-3-426-51348-4 (auch als eBook erhältlich)

Von Gunther Barnewald

Owen Gray hatte als Jugendlicher einen schweren epileptischen Anfall, weshalb ihm sein Vater, ein führender Neurowissenschaftler, ein mechanisches Implantat einsetzen ließ, welches weitere Anfälle verhindern soll. Viele Menschen tragen inzwischen solche oder ähnliche Implantate. Man nennt diese Menschen in den USA Amps (vom englischen amplify für Verstärken), da ihre Körper und vor allem ihre geistigen Ressourcen mit diesen Modifikationen aufgerüstet oder verstärkt wurden. Doch die anderen Menschen fürchten sich mehr und mehr vor diesen „Aufgerüsteten“, haben sie doch Angst ins Hintertreffen zu geraten, unterlegen zu sein und vielleicht schulisch und im Arbeitsleben abgehängt zu werden.

Als dann der Oberste Gerichtshof der USA den Menschen mit Implantat einen besonderen Schutz als Minderheit, die diskriminiert werden könnte, verweigert, scheinen alle Dämme zu brechen, zumal der demagogische US-Senator Joseph Vaughn (hier lässt wohl Joseph McCarthy grüßen) und seine Organisation Pure Human Citizen’s Council immer mehr gegen diese technologischen Eingriffe und die veränderten Menschen hetzen.

Die Geschichte beginnt mit dem Selbstmord einer aufgerüsteten Schülerin, die sich gemobbt und ausgestoßen fühlt. Owen Gray, ihr Lehrer, versucht vergeblich, die junge Frau zu retten. Danach wird er sogar des Mordes verdächtigt und gesucht, während die Menschen mit Implantaten in der allgemeinen hysterischen Stimmung in den USA versuchen, sich in sichere Zonen zurück zu ziehen, bevor der Volkszorn sich an ihnen entlädt. Die USA scheinen auf einen verheerenden Bürgerkrieg zuzusteuern...

Ein äußerst interessantes Thema, welches aber leider an den begrenzten Möglichkeiten des Autors ziemlich sang- und klanglos scheitert. Wie schon in seinem überaus spannenden und fulminant geschriebenen Erstling „Robocalypse“ hat Autor Wilson zwar viel Ahnung von Technik und neuesten Entwicklungen auf diesem Gebiet, seine Charaktere sind aber leider unterirdisch schlecht und somit völlig unglaubwürdig. Weder der Protagonist noch die sonstigen Figuren erreichen auch nur annähernde Lebendigkeit, da ihnen so gut wie keinerlei emotionales oder kognitives Innenleben zugestanden wird. Stattdessen setzt der Autor auf die „Lieblingsneurose“ der US-Amerikaner: deren ausgeprägte Paranoia.

So wimmelt es auch in „Das Implantat“ von Intrigen und Intriganten, erweisen sich die Guten schlussendlich als die böseren Bösewichte. Im Fall des vorliegenden Romans kommt noch hinzu, dass Daniel H. Wilson auf die innovativen stilistischen Experimente seines Erstlings völlig verzichtet.

So bleibt eine laue, nie wirklich mitreißende oder gar überzeugende Geschichte, aus deren Potenzial man viel mehr hätte machen können. Unglaubwürdig, wie sich die USA im Handumdrehen in eine nationenweite Gruppe von durchgeknallten Hysterikern verwandelt, deren emotionales Klima durch ein bisschen Propaganda und einen Bombenanschlag gleich in eine landesweite Pogromstimmung gegen die eigenen Landsleute kippt. Vieles erinnert an die Judenverfolgung im Dritten Reich, wobei der Autor vergisst, dass auch die Nationalsozialisten nicht mit ihrer ersten antijüdischen Stimmungsmache gleich 1933 so erfolgreich waren, sondern dass erst die meisten potenziellen Widerständler (Bürgerrechtler, Sozialdemokraten, Kommunisten etc.) im Konzentrationslager gelandet sein mussten, bis der größte Teil der Verfolgungen vier Jahre nach der Machtergreifung durchgezogen werden konnte. Bei Wilson ist die USA gleich nach wenigen Wochen abschussreif, so dass man die blutigsten Eskalationen oder auch ein schreckliches Pogrom befürchten muss. Dies dürfte selbst für jemanden, der kein Fan der US-amerikanischen Gesellschaft und deren allgemeiner Ausrichtung ist, schwer zu schlucken sein. Selbst Leser, welche die US-Amerikaner für irrationale Bekloppte halten, dürften hier ihre Schwierigkeiten haben mit den Prämissen des Autors.

Deshalb ist das vorliegende Buch leider ein Rohrkrepierer, inhaltlich zwar interessant, aber von der Umsetzung her mehr als mau und zudem an vielen Stellen einfach wenig fesselnd und unglaubwürdig. Schade um das Thema, es hätte eine niveauvollere Umsetzung verdient gehabt!