Anja Bagus: Waldesruh – Ein Ætherwelt-Roman (Buch)

Anja Bagus
Waldesruh – Ein Ætherwelt-Roman
Edition Roter Drache, 2014, Paperback, 298 Seiten, 14,00 EUR, ISBN 978-3-939459-84-2 (auch als eBook erhältlich)

Von Carsten Kuhr

Baiersbronn im Hochschwarzwald gilt unter den Mondänen des Deutschen Reiches als beliebter Wintersport-Ort. Hier, weit abseits der großen Metropolen, ist die Luft noch rein, die Berge und Wälder verschneit und die Hänge unberührt. Zwar hat auch hier der Æther seine Spuren hinterlassen, doch noch scheint die Welt im Hotel Waldesruh in Ordnung zu sein.

Seit Kurzem hat sich eine illustre Schar im Hotel einquartiert. Die junge Witwe Minerva, skandalöserweise eine hosentragende Rennfahrerin, logiert zusammen mit ihrer Mutter, einst eine gefeierte Operetten-Diva, ebenso wie eine Abordnung des Preußischen Militärs und dem Unternehmer Falk in der Herberge. Dass sowohl der Hauptmann Kirchbronn als auch Falk, der die örtliche Glashütte erwirbt, an der jungen Witwe interessiert sind, könnte für Aufsehen sorgen, gäbe es da nicht weit dramatischere Geschehnisse, die die Ortschaft in Atem halten.

Meerjungfrauen werden gemeuchelt, der Drache Eisenschwinge fällt auf dem Glasberg in einen Schlummer, in der Glashütte wird ein Erfinder ermordet aufgefunden und in den Wäldern regiert ein neuer Herrscher: der Erlkönig ist rechtzeitig vor dem von einer Hexe prophezeiten Krieg zurück…

Steampunk, eigentlich eher Steamdiesel gibt es in der Ætherwelt doch Verbrennungsmotoren, tut sich im deutschen Sprachraum schwer, während man in Frankreich, Großbritannien und den USA die Subgattung liebt. Die Kritiker lieben sie, allein das große Publikum macht lieber einen Bogen um die Werke. Dass eine bis dahin unbekannte Verfasserin ausgerechnet mit einer umfangreichen, eigenständigen Trilogie um eine junge Forscherin namens Annabelle Rosenherz punkten und die Herzen ihrer Leser mit ihrer Geschichte um Veränderte, um Æther und die Rückkehr von Mythen punkten konnte, spricht nur die die Fähigkeit der Autorin.

Vorliegend beginnt sie eine neue Geschichte, die sie wieder in ihrer bekannten Welt angesiedelt hat. Erneut stellt sie eine junge Frau – auch wenn man laut ihrer Mutter im Jahr 1912 mit 26 Jahren bereits eher zu der betagteren Generation zählt – in den Mittelpunkt der Geschichte. Wieder ist es ein Charakter, der uns schnell ans Herz wächst. Vom Schicksal schwer geprüft, ist Minerva intelligent, selbstbewusst und nicht unbedingt auf der Suche nach einem neuen Ehemann. Eher interessiert sie zunächst der Rolls Royce Green Ghost in dem Falk zu seiner Glashütte fährt, bevor sie die dramatischen Geschehnisse in ihren Bann ziehen.

Geschickt baut Bagus hier ihre Handlung auf. Über eingeschobene kurze Kapitel dokumentiert sie die von der Kirche geschürte Feindseligkeit der Bauern gegen die Veränderten und den Erwachten, die in Gewalt mündet. Demgegenüber stehen die aufgeklärte Ex-Rennfahrerin und ihre beiden Galane. Erst spät erfahren wir, dass eine Hexe prophezeit hat, dass Minerva im bevorstehenden Krieg eine wichtige, ja entscheidende Rolle spielen könnte.

Die drohende Auseinandersetzung des Deutschen Reiches mit dem von Rasputin okkupierten Russland und dem französischen Erzfeind wird dabei ebenso angedeutet, wie die drohenden Übergriffe der aufgehetzten Menschen gegen die Veränderten.

So thematisiert die Autorin in einer wunderbar stimmigen, mitreißenden Handlung Probleme wie Fremdenfeindlichkeit, die Ablehnung des Unbekannten mittels Vorurteilen und das zur Zeit der Handlung vorherrschende Rollenverhalten. Dass sie dabei sehr viel an Dramatik und Spannung aus den dem Roman beigegebenen Rätseln zieht ist zu erwähnen, wobei auch ein paar wenige, eingestreute romantische Szenen nicht stören.

Das Pfund mit dem Bagus auch vorliegend wuchert, sind neben dem stimmigen Setting die wunderbar klar gezeichneten Figuren. Hier geht sie nach dem Motto, weniger ist mehr vor, portraitiert ihre Handvoll Figuren lebensecht und nachvollziehbar. So erwartet den Leser erneut ein packender Lesegenuss mit viel Lokalkolorit, Phantasie und Æther. Fortsetzung folgt.