Neil Gaiman: Der Ozean am Ende der Straße (Buch)

Neil Gaiman
Der Ozean am Ende der Straße
(The Ocean at the End of the Lane, 2013)
Übersetzung aus dem Englischen von Hannes Riffel
Mit Illustrationen von Jürgen Speh
Eichborn, 2014, Hardcover, 238 Seiten, 18,00 EUR, ISBN: 978-3-8479-0579-0 (auch als eBook erhältlich)

Von Gunther Barnewald

Ein Mann kehrt zu einer Beerdigung in seine alte Heimat zurück und erkundet dort die Plätze seiner Jugend. Plötzlich fallen ihm, beim Anblick eines wundersamen Ententeichs hinter einem Farmgebäude, Ereignisse aus der Vergangenheit ein, welche er wie durch ein Wunder fast völlig vergessen hatte.

Alles begann am traurigen siebten Geburtstag dieses Ich-Erzählers, als kein einziger eingeladener Gast zu seinem Kindergeburtstag kommt. Der Junge ist allerdings nicht wirklich überrascht, hat er doch in der Schule keine wirklichen Freunde und steckt seinen Kopf viel lieber in Kinderbücher. Zu allem Unglück tötet sich auch noch einer der Mieter seiner Eltern im Auto des Vaters, nachdem der Selbstmörder dieses vorher entwendet hatte.

Doch dann tritt urplötzlich das geballte Abenteuer in Form einer Nachbarsfamilie in das Leben des Siebenjährigen: Die Hempstocks sind drei Generationen Frauen, die auf einem benachbarten Hof leben. Diese drei Damen, von denen die jüngste scheinbar erst elf Jahre alt ist (aber der Protagonist ahnt, dass sie vielleicht schon für lange Jahre wenn nicht gar Jahrhunderte so alt erscheint), wissen gar Seltsames zu berichten, denn der Ententeich hinter ihrem Haus sei angeblich ein ganzer Ozean, an dessen Ende völlig fremdartige Gestade lägen. Von dort seien sie dereinst hierher gezogen. Und die älteste der Hempstock-Frauen habe wohl schon den Urknall miterlebt, wenn nicht gar schon mehrere.

Und ehe der Junge es sich versieht, ist er im größten Abenteuer seines Lebens, denn bei einer Expedition mit Lettie Hempstock, der Elfjährigen, fängt er sich einen ganz schrecklichen Parasiten aus einer anderen Welt ein, der bei ihm zu Hause die Gestalt einer allzu schönen Frau annimmt.

Diese bedroht das Leben des Jungen, wirbelt seine ganze Familie aufs Schlimmste durcheinander und lässt den Protagonisten alle Emotionen durchleben, die man nur haben kann, bis dieser sich entschließt, den Kampf gegen die Bedrohung aufzunehmen. Dazu braucht er jedoch die Hilfe der Hempstocks. Leider bewacht ihn der bedrohliche Parasit und verhindert seine Flucht...

Mit der vorliegenden überaus phantasievollen Geschichte ist Neil Gaiman erneut ein kleines Meisterwerk gelungen.

Wohltuend, was der Autor hier auf nur knapp 240 Seiten zusammen fabuliert. Kurz, knapp und knackig spielt Gaiman hier auf der Klaviatur der Gefühle des Lesers. Was andere in 500 oder 1000 Seiten nicht erzählt bekommen, der gebürtige Brite schüttelt es aus dem Ärmel. Von Leid über Trauer zu Ekel, über Freude zu Angst und Wut/Zorn/Ärger bis hin zur Überraschung, hier ist wirklich alles dabei, was man so fühlen kann und der Rezipient gerät in einen wahren „Ozean“ von auf und ab wogenden Emotionen.

Verwundert registriert man, dass hier eigentlich nichts Neues erzählt wird oder der Autor auch keine überragenden Geistesblitze hatte bezüglich neuer Schöpfungen. Trotzdem ist alles frisch wie am ersten Tag und nimmt einen mit auf eine fabelhafte Reise in ein Universum der Phantasie, welches nur Erstaunen und Bewunderung auslösen kann.

Gaimans beste Werke sind oftmals reine Poesie und auch die vorliegende Geschichte gehört wieder in diese den Leser erquickende Kategorie.

Ein ausdrückliches Lob auch für die zauberhaften comicartigen Innenillustrationen, die der ganzen Atmosphäre des Buchs ausgezeichnet gerecht werden.

Und wen es interessiert: Bei Trifle (Seite 18) handelt es sich um einen Biskuit-Auflauf (leider verschweigt uns dies der ansonsten so eloquente Übersetzer).