Sonja Rüther (Hrsg.): Aus dunklen Federn (Buch)

Sonja Rüther (Hrsg.)
Aus dunklen Federn
Titelillustration von Alex Malikov
Briefgestöber, 2014, Taschenbuch, 352 Seiten, 12,95 EUR, ISBN 978-3-981-55746-6 (auch als eBook erhältlich)

Von Carsten Kuhr

Ist die Zeit, in der die Überzeugung regierte, dass Anthologien, noch dazu Horror-Kollektionen unverkäuflich seien, wirklich vorbei? Schaut man sich die Produktionen der vielen agilen Kleinverlage an, so könnte man zu dieser Auffassung gelangen. Selbst Lübbe hat kürzlich eine neue Original-Horror-Anthologie auf den Markt gebracht! Und das ist gut so, brauchen doch Autoren wie Leser die Kurzgeschichte, um sich an den pointierten Texten zu erfreuen und zu erproben.

Dass es ausgerechnet die Spielart der unheimlichen Literatur ist, die die Renaissance der Kurzgeschichten-Sammlungen einläutet, kommt nicht ganz überraschend, sind die Horror-Leser doch oftmals aufgeschlossener gegenüber neuen Stimmen und kurzen Texten, als ihre Freunde der eher eingefahrenen Fantasy oder Science Fiction.

Vorliegend hat die Autorin und Herausgeberin Sonja Rüther gerufen, und eine überraschend große Anzahl bekannter Kollegen haben ihr geantwortet. So tauchen große Namen auf dem Cover auf, die gebotene Qualität ist entsprechend, und dabei abwechslungsreich und stimmungsvoll. Dabei hat die Herausgeberin keine inhaltlichen Vorgaben gemacht, hat ihren Kollegen ganz freie Hand gelassen, was sich in einer Vielzahl hervorragender Beiträge niederschlägt.

Was erwartet den Käufer nun im Einzelnen?

Boris Koch stellt uns in „keine sieben Tage“ ein kleines, pittoreskes Dorf vor. Hier ist die Welt noch in Ordnung, passt jeder auf seinen Nachbarn auf und kümmert sich um die Kranken und Bedürftigen. Doch wehe, wenn das Lied ertönt, der Gesang einer Fee – denn dann muss ein Dorfbewohner sterben.

Sonja Rüther berichtet uns in „O Tannenbaum“ von den Auswirkungen, die der Kauf eines Billig-Tannenbaums zum Fest auf eine Familie und ihre Umgebung hat. Als wäre der Stress um das Fest der Liebe, den ungeliebten Besuch der Verwandten und die Geschenke nicht schon genug, hat sich die vierköpfige Familie mit dem Christbaum auch noch weitere Besucher ins Haus geholt – Besucher der kleinen, weißen Madenart, die nach einem sicheren Nistplatz suchen.

Markus Heitz entführt uns in „Exemplum“ einmal mehr auf den Spuren von Oneiros nach Leipzig. Ein Konditormeister wird in das Altersheim, in dem sein demenzkranker Vater untergebracht ist, gerufen. Der alte Mann versteckt sich im dunklen Schrank und fürchtet sich panisch vor einer Bedrohung. Als sein Sohn den irren Phantasien seines Vaters nachgeht, macht er eine alarmierende Feststellung – die Bedrohung aus den Reflektionen und Spiegeln ist beileibe kein Hirngespinst, sonder bedrohliche Realität.

Lena Falkenhagen lässt uns in „Alles ganz normal“ an dem Wunder der Schwangerschaft teilnehmen; bis die Mutter eine Schwangerschaftsdepression entwickelt – oder sind ihre Phantasien vielleicht doch wahr?

Thomas Finn stellt uns in „Bittere Wahrheit“ einen Studenten der Ägyptologie vor, der Zeit seines Lebens aufgrund seiner äußeren Unzulänglichkeiten gehänselt und ausgegrenzt wurde. Nun endlich meint er, ist die Zeit für Rache gekommen, stößt er doch auf eine Mumie, die ihn so Einiges lehren kann – oder auch nicht.

Hanka Jobke gibt in „Menschliches Versagen“ eine verblüffende Erklärung für die plötzlichen und scheinbar unmotivierten Suizide, die überall auf der Welt um sich greifen.

Vincent Voss lässt einen erwachsenen Mann den Ort seiner Kindheit besuchen. In „Farben des Frühlings“ kehrt dieser zu den gelben Rapsfeldern seiner Jugend zurück – auf der Suche nach der Jugendliebe und der Zeit der Ernte.

Gleich darauf entführt Voss uns in „Destruenten“ in die Berliner U-Bahn. Seit Jahrzehnten wird dort in dem maroden Gleissystemen immer wieder ein Geisterjunge gesichtet – meist kurz bevor es zu einem Unfall kommt.

Markus Heitz besucht in „Fräulein Angstfrei“ einmal mehr Leipzig. Er stellt uns eine junge Frau vor, die vor nichts und niemandem Angst hat. Und das ist auch bitter nötig, gilt es doch, einen dereinst von Faust und Mephisto über die Stadt gebrachten Fluch zu lösen; doch wird dadurch ein noch größeres Übel freigesetzt – eine wahrlich vertrackte Situation.

Sonja Rüther schließt mit „Walpurgia“ den Reigen mit einer Story, in der sie uns von einem Weihnachten erzählt, das eine Frau mit ihrer besten Freundin, einer Spinne verbringt.

Abwechslungsreich, überraschend, faszinierend und gruselnd kommen die Geschichten daher, die einmal mehr zeigen, dass deutsche Autoren sehr wohl ansprechend zu unterhalten wissen.