Jeff VanderMeer: Auslöschung – Southern-Reach-Trilogie 1 (Buch)

Jeff VanderMeer
Auslöschung
Southern-Reach-Trilogie 1
(Annihilation)
Aus dem Englischen übersetzt von Michael Kellner
Titelillustration von Marion Blomeyer
Kunstmann, 2014, Paperback, 234 Seiten, 16,95 EUR, ISBN 978-3-88897-968-2 (auch als eBook erhältlich)

Von Carsten Kuhr

Mehr als 30 Jahre ist es her, dass in einer abgelegenen Gegend etwas Ungewöhnliches passierte. Seitdem ist ein ganzer Küstenbereich, schlicht und doch mysteriös als Area X bezeichnet, hermetisch durch eine nicht näher definierte Grenze umschlossen und abgeschottet. Die Regierungsorganisation Southern Reach hat die Aufgabe, den menschenleeren Landstrich zu erforschen.

Über die Jahre wurden diverse Expeditionen ausgesandt, deren Teilnehmer alle auf die unterschiedlichsten Arten ums Leben kamen. In „Auslöschung“ begleiten wir die 12. Expedition, deren vier Teilnehmerinnen – eine Psychologin, eine Anthropologin eine Landvermesserin und eine Biologin – uns nur über ihre jeweilige Funktion vorgestellt werden. Aus der Sicht der über den ganzen Roman hinweg unbenannt bleibenden Biologin folgen wir der Expedition über die Tagebuch-Einträge, die jeder der Teilnehmer seit dem ersten Versuch, den Rätseln der Region beizukommen, anzulegen verpflichtet ist. Auf welche Art sie die nicht näher benannte Grenze überschreiten, bleibt, wie so Vieles im Roman, unklar.

Ganz wissenschaftlich-nüchtern, zu Beginn fast unterkühlt, beschreibt die Biologin die Umwelt, auf die die Expedition stößt, ihre Wirkung auf die Forscherinnen und die Absonderlichkeiten, auf die sie stoßen.

Schnell wird deutlich, dass in der Area X etwas Unheimliches vorgeht, das sich dem Gewohnten, dem Erforschten, dem Rationalen entzieht. Und die Biologin stößt auf deutliche Hinweise, dass sowohl Southern Reach als auch die sie begleitende Psychologin den Forscherinnen so Einiges verheimlicht haben. Was hat es mit dem Leuchtturm und dessen Wächter auf sich, und was mit dem Turm/Tunnel, der nahe ihres Basislagers in die Tiefe der Erde führt?

An den Wänden des Tunnels hat etwas Unbekanntes Botschaften aus lebender Flora hinterlassen, deren Worte, obzwar verständlich, keinen Sinn ergeben. Dann beginnt das Sterben…

Was ist das für ein Buch, das nach Erscheinen in den USA zu wahrem Kult-Status gelangt ist? Es geht um die Erforschung einer Region, in der etwas passiert ist – was, das erfahren wir über die gesamte Dauer des Romans nicht. Und das ist gewollt und bleibt auch so.

Wir erfahren zwar ein wenig aus dem Leben der Biologin, doch mit ihr warm werden wir nicht – auch wenn wir ihre Einstellung, ihre Ängste und Überzeugungen über das, was rund um sie vorgeht, nach und nach übernehmen. Ganz bewusst verzichtet Vandenmeer darauf, uns seine Gestalten vorzustellen, sie als Persönlichkeiten begreifbar zu machen – um auf diese Weise das Interesse ganz auf die Area X zu richten.

Auch hier erfahren wir aus den Tagebuch-Aufzeichnungen nur das, was unsere Biologin selbst ermittelt und vermutet. Sehr schön hat der Verlag sich hier überlegt, uns das Buch, äußerlich passend nach dem Entfernen des Schutzumschlags, als Notizbuch zu präsentieren, um dieser Tatsache auch gestalterisch gerecht zu werden.

Vieles im Roman bleibt ganz bewusst offen, wird nur zaghaft angedeutet, um dann wieder unterzutauchen; der Leser ist gezwungen, seine ganze Phantasie einzusetzen, um aus den Andeutungen Bilder in seinem Kopf entstehen zu lassen.

So ist dies beileibe kein einfaches Buch, sondern ein Werk, das den Rezipienten fordert, das zumindest mich aber auch an die Seiten fesselte. Anfänglich erinnerte es mich ein wenig an Ballards „Kristallwelt“, dann an wieder an Lovecraft’sche Texte und doch ist es ein ganz anders, ein eigenes Buch.

Gerade weil wir nur das erfahren, was der Biologin sich erschließt – und wahrscheinlich sogar nicht einmal alles – wirkt der Text ebenso mysteriös wie verstörend, aber auch faszinierend, füllen wir doch die bewusst gelassenen Lücken mit unserer eigenen Phantasie. Da braucht es keine grellen Schock-Effekte, um Angst zu wecken, das Gebotene richtet sich auch an unser Unterbewusstsein – und dies überaus gekonnt.

Vieles, nein eigentlich alles bleibt zum Finale hin offen, die Zeit bis zum zweiten Teil, der für Januar 2015 in Vorbereitung ist, wird lang werden.