Aphrodite IX 1: Das Aphrodite-Protokoll (Comic)

Matt Hawkins
Aphrodite IX 1
Das Aphrodite-Protokoll
(Aphrodite IX 1-5, 2013)
Aus dem Amerikanischen von Bernd Kronsbein
Titelillustration und Zeichnungen von Stjepan Sejic
Panini, 2014, Paperback mit Klappenbroschur, 124 Seiten, 14,99 EUR

Von Irene Salzmann

„Aphrodite IX“ erschien von 1996 bis 2001 und war auf sechs Episoden angelegt (0, ½, 1 bis 4), die 2003 zum TPB zusammengefasst wurden. Danach hatte die Titelfigur, teils unter einer anderen Nummer (IV), einige Gastauftritte in anderen Top-Cow-Serien („Witchblade“, „Cyberforce“). Erst 2013 erfolgte ein Relaunch, der die Story in einer noch ferneren Zukunft ansiedelte.

Ursprünglich wurde die Serie von David Wohl („Darkness“, „Witchblade“) geschrieben und von David Finch („Ascension“, „Cyberforce“), später Clarence Lansang („Tales of the Darkness“, „Tales of the Witchlade“) gezeichnet, bevor sie nun an Matt Hawkins („Tomb Taider“, „Lady Pendragon“) und Stjepan Sejic („Witchblade“, Artifacts“) übergeben wurde.

Das Konzept ist im Prinzip dasselbe geblieben: Aphrodite IX ist eine Killer-Androidin mit übermenschlichen Kräften. Man setzt sie ein, um bestimmte Personen effizient auszuschalten. Anschließend wird die Erinnerung an die Mission gelöscht. Im Laufe der Zeit wird sich Aphrodite der Manipulationen bewusst, und das Gewissen, das sie entwickelt, gerät in Konflikt mit den Tötungsbefehlen.

Generationen später haben Kriege und Katastrophen die Erde völlig verändert. In der Stadt Genesis leben die Gen, regiert von einem theokratischen Monarchen. Durch Mutation haben sie sich den veränderten Begebenheiten angepasst und kämpfen um die wenigen Ressourcen und damit um ihr Überleben gegen die Bewohner der von einer Einheitspartei totalitär beherrschten Stadt Speros, deren Bewohner durch Implantate zu nahezu unsterblichen Cyborgs wurden.

Während einer Schlacht entdeckt der Gen Marcus eine uralte, unterirdische Anlage, in der eine schöne Frau mit grünem Haar einer Stasiskapsel entsteigt. Sie beschützt ihn vor seinen Verfolgern und flieht mit ihm nach Genesis, wo man sie als Retterin des Thronerben willkommen heißt. Doch so Mancher misstraut der Fremden, insbesondere Lina, Marcus’ Verlobte. Bald darauf ereignen sich die ersten Morde und treffen die Herrscherfamilie.

Niemand, am wenigsten Aphrodite, ahnt, dass die Cyborgs in der Anlage ebenfalls auf einen Schläfer stießen, den sie zu einem der ihren machten: Robert J. Burch. Nach wie vor ist er dazu in der Lage, die Androidin über den grünen Fleck auf ihrer linken Wange – ein selbstreparierendes Implantat – zu kontrollieren und sie zum Töten zu zwingen. Aphrodite selbst erkennt als Erste, was mit ihr geschieht, ist aber machtlos, bis sie sich Marcus, der ihretwegen alle Menschen, die ihm etwas bedeutet haben, verloren hat, anvertraut und zu drastischen Mitteln greift.

„Aphrodite IX“ bleibt sich auch siebzehn Jahre nach ihrem ersten Auftritt (die 0-Nummer lag dem Magazin „Wizard“ bei) treu. In erster Linie besticht sie durch ihre Attraktivität, in zweiter durch das tödliche Mysterium, das sie umgibt. Marcus steht stellvertretend für das männliche Publikum, das ihr, ohne es zu wollen, verfällt, der (gezielt ausgeschütteten) Pheromone sei Dank.

Was er für seine Retterin empfindet, bringt ihn in einen Gewissenskonflikt mit seiner Pflicht als Nachfolger des ermordeten Monarchen, seines Vaters, denn das Gesetz verlangt die Eliminierung von Verrätern. Aphrodite, die selbst nicht genau weiß, was sie ist, und gern unter den Menschen leben würde, erkennt, dass sogar ihr Interesse an Marcus gesteuert ist und nicht wirklich von ihr ausgeht.

Was bleibt, ist eine verwirrte, aber starke Frau, die Entscheidungen treffen und Opfer bringen kann, weil sie das Richtige tun und frei sein möchte. Die Konsequenzen werden angedeutet und vermutlich in einem zweiten (ff) Paperback thematisiert, denn auch Freiheit ist relativ und temporär, wenn man die Ursache des Problems nicht hat ausmerzen können.

Kennt man die jüngeren Episoden von „Witchblade“ und „Artifacts“, ist man mit dem Digital Artwork von Stjepan Sejic vertraut. Seine Aphrodite trägt dieselbe Leidensmiene wie Sara Pezzini, Dani Baptiste, Finch (!) etc. sowie die männlichen Charaktere. Freilich kann man sagen, dass nahezu jeder Penciler ‚seine‘ Gesichter hat, die einander ähneln und sie zugleich unterscheidbar machen von denen der Kollegen, aber bei Stjepan Sejic ist es besonders auffällig. Seine fotorealistischen Hintergründe und der Detailreichtum sind großartig, aber bei den ähnlichen Gesichtern, Körpern und Posen, den deutlich sichtbaren Nachbearbeitungen (per Hand) erkennt man die Grenzen der Zeichenprogramme.

Man darf daher geteilter Meinung sein, ob man Stjepan Sejics Illustrationen für das gegenwärtige Nonplusultra halten will – oder ob man den etwas weniger aufwändigen, comichafteren und mit der Hand gezeichneten, am PC bloß geringfügig bearbeiteten Zeichnungen den Vorzug gibt.

Unabhängig von dieser Frage bietet „Aphrodite IX“ eine spannende Endzeit-SF-Story, die das Rad gewiss nicht neu erfindet, doch Abwechslung in die Comic-Landschaft bringt, da das Genre vergleichsweise unterrepräsentiert ist und der Band insgesamt mit ansehnlichen Zeichnungen aufwartet.