Amory, Jay: Die Welt in den Wolken (Buch)

Jay Amory
Die Welt in den Wolken
(The Fledging of Az Gabrielson, 2006)
Aus dem Englischen von Joannis Stefanidis
Blanvalet, 2009, Taschenbuch, 448 Seiten, 8,95 EUR, ISBN 978-3-442-24473-7

Von Gunther Barnewald

Auch wenn man es wohl in Zeiten der Verkaufs- und Beliebtheitsdominanz der Fantasyliteratur kaum noch registrieren mag: Das vorliegende Buch ist ein »lupenreiner« SF-Roman (und dies ist nicht im Sinne des Missbrauchs dieses Wortes durch Gerhard Schröder gemeint). Allerdings leider kein guter!

Der 16jährige Azrael Gabrielson, kurz Az genannt, lebt nach einer verheerenden Katastrophe auf der Erdoberfläche wie viele andere Menschen in einer Stadt über den Wolken.
Seit vielen Generationen leben hier schon Menschen und haben sich diesem Leben in der dünnen Luft angepasst. Jeder hat flugfähige Flügel und die menschlichen Körper wiegen nicht mehr allzu viel. Nur Az ist in einer Hinsicht eine fatale Ausnahme: Denn er hat als fast einziger Mensch in den Städten über den Wolken keine Flügel.
Aber genau dies macht ihn geeignet für ein riskantes Unternehmen, denn die Rohstofflieferungen von der Erdoberfläche werden immer weniger und drohen zu versiegen. Deshalb wird Az von der Präsidentin des Luftvolks darum gebeten, mit einem der schnellen, gigantischen Aufzüge nach unten zu reisen und zu erforschen, was dort vor sich geht.
Az beschließt das Wagnis einzugehen und reist zur Erdoberfläche, welche dauerhaft in graue Wolken gehüllt ist. Dort entdeckt er schnell, dass noch viele Erdenmenschen leben und sich eine Art Religion etabliert hat, deren Priester nicht nur selbst gut leben, sondern auch dafür sorgen, dass die Himmelsstädte weiterhin beliefert werden.
Mittlerweile regt sich jedoch Widerstand gegen die Priester, und immer mehr der ausgebeuteten Arbeiter solidarisieren sich und begehren gegen die Herrschaft der Priester auf.
Als Az von den Erdlingen entdeckt und enttarnt wird, wird er gefangengenommen und das alte, etablierte System droht zu zerbrechen …

Was spannend klingt, ist leider nur in der ersten Hälfte der Geschichte wirklich überzeugend. Leider gehen dem Autor nach ca. 150 Seiten definitiv die Ideen aus.
Danach wirkt fast alles nur noch klischeehaft, vor allem die Protagonisten sind unglaubwürdig, allen voran der intrigante Politiker mit dem entlarvenden Namen Alan Dampfsager, der allzu eindeutig als Bösewicht herhalten muss.

Noch viel ärgerlicher ist jedoch, dass der Autor sich keine Gedanken gemacht zu haben scheint, woher die Nahrung auf einer Erde ohne Sonnenschein kommt. So gibt es auch nur einen Einseitigen Austausch von Waren und Rohstoffen, welcher nur von unten nach oben stattfindet. Betrachtet man sich dies genauer, erscheinen die Menschen der Lüfte als Volk von Schmarotzern und Ausbeutern, die auf Kosten der Erdlinge ein üppiges Dasein führen, ohne etwas im Gegenzug dafür zu leisten.
Dass der Autor sich dann auch noch eindeutig auf die Seite dieser Ausbeuter stellt, alle, die gegen das System kämpfen, diffamiert und Az zum unreflektierten und gleichgültigen Dummerjan macht, dem nur die Erhaltung des alten Systems am Herzen liegt und der keinerlei Mitleid mit den geschundenen Erdbewohnern hat, wäre wohl früher als erzreaktionär bezeichnet worden, als man solche Worte noch in den Mund nahm.
Ähnlich wie in »Metropolis« frisst die Revolution jedoch ihre Kinder und »Die Welt in den Wolken« wartet mit fast identischem Plot auf, was einen mehr als faden Beigeschmack bei mitfühlenden, sozial engagierten Lesern hinterlassen dürfte.

Aber auch über diesen ethischen Mangel hinaus ist das vorliegende Buch eine Enttäuschung, da der Autor dem eigenen Niveau des ersten Drittels zum Opfer fällt, denn der Rest der Geschichte ertrinkt in ideenlosen Oberflächlichkeiten, fader Action und Klischees. Schade, denn zumindest der Beginn des Romans ist gut lesbar und verheißt ein interessantes Sujet mit exotischer Atmosphäre. Doch Jay Amory erstickt alle guten Ansätze im Keim durch triviale Charaktere und Plattitüden, nur die enorme Schriftgröße transportiert den Leser schlussendlich ans Ende der Geschichte (hätte man solche Erzählungen früher doch auf maximal 250 Seiten abgedruckt!).

Eine leider verschenkte Idee, aus der viel mehr hätte werden können und sollen.