Ryan, Carrie: The Forest – Wald der tausend Augen (Buch)

Carrie Ryan
The Forest – Wald der tausend Augen
(The Forest of Hands and Teeth)
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Catrin Frischer
Titelillustration von Emilie Leger
cbt, 2009, Hardcover, 398 Seiten, 16,95 EUR, ISBN 3978-3-570-16049-7

Von Carsten Kuhr

Der Roman beginnt damit, dass unsere Erzählerin Mary tagträumend die Zeit und damit auch ihre Aufgabe vergisst. Eigentlich sollte sie auf ihre gramgebeugte Mutter aufpassen, die den Verlust ihres Mannes noch nicht verarbeitet hat. Zwar ist die dörfliche Gemeinschaft, durch hohe Zäune vom Wald der tausend Augen geschützt, und vor den Rückkehrern – Zombies, die außen lauern – gut geschützt. Doch nachdem ihr Mann von den Toten zurück kam, befürchten ihre Kinder, dass auch sie, um ihrem Geliebten wieder nahe zu sein, sich infizieren lässt.

Und wirklich, ihre Mutter nähert sich dem Zaun, wird angefallen und entscheidet sich dafür, statt den endgültigen Tod und die Erlösung zu wählen in den Wald zu gehen.
Eine Entscheidung, die Mary nicht nur von ihrem Bruder angelastet wird, sondern auch von dem Mann, der um ihre Hand anhalten wollte. Vom Bruder verstoßen, vom Jugendfreund fallengelassen, dessen Bruder, ihre große Liebe hat für ihre beste Freundin gesprochen und wird mit dieser eine Familie gründen, bleibt ihr in der Gesellschaft nur eine Option – sie muss sich der Schwesternschaft anschließen. Als Hüter des Wissens, als Kleriker und Entscheidungsträger sorgen die Frauen dafür, dass der Status Quo gewahrt bleibt, dass die abgeschottete Gesellschaft sicher hinter ihren Zäunen gedeiht.
Doch dann kommen Mary Zweifel an der Allmacht und der Weisheit der Schwesternschaft. Sie findet Hinweise darauf, dass die Schwestern selbst weit mehr wissen, als landläufig bekannt. Mehr noch, sie bekommt mit, dass eine gesunde Besucherin von außerhalb den Rückkehrern ausgeliefert wird. Kurz danach kommt es zum GAU – die Zäune werden niedergerissen, die Zombies erobern das Refugium, es bleibt nur die Flucht in den Wald …

Zombies und Jugendbuch – geht das überhaupt? Kann man, so man denn verantwortlich mit seiner heranwachsenden Leserschicht umgehen will, überhaupt über wandelnde Leichen schreiben? Nun, Carrie Ryan tut genau dies. Zwar ist die Ausgangssituation, die sie beschreibt, in sich nicht ganz logisch – wo nur sollen die Menschen umgeben von unzähligen Zombies die Mittel für den Bau ihrer Enklave bekommen haben, wie diese dann noch ausgeweitet haben – doch der Inhalt ist so ohne nicht.
Man kann das prägnant zusammenfassen unter der Überschrift ein Gruppe Menschen wird von unzähligen wandelnden Leichen belagert. Dass sich unter dieser Prämisse eine soziale Struktur herausbildet, in der der Klerus als dominante Macht seine Schäfchen im Unklaren lässt, in dem Intrigen um Machterhalt eine Rolle spielen, ist aus der Geschichte belegt und glaubwürdig.
In diese beklemmende Welt nun setzt die Autorin ihre Ich-Erzählerin. Deren Drang, sich der konditionieren Masse anzuschließen, steht in direktem Konflikt mit ihrem wissbegierigen Freigeist. Sie sucht nach Erkenntnissen, sie will frei über ihr Leben entscheiden und lehnt sich damit naturgemäß gegen die herrschende Doktrin auf. Die Folgen, Repressalien und Ausgrenzung, sind nachvollziehbar und folgerichtig ausgearbeitet. Trotz allem Drangs nach Freiheit aber wird sie mehr von der Handlung bestimmt, als dass sie selbst aktiv werden würde. Erst der Fall des Zauns, die Eroberung der Ortschaft, führt dazu, dass sie beginnt, ihren Traum von der Erkundung des Waldes, vom Suchen nach dem Meer wahr werden zu lassen. Hier liegt denn auch die große Stärke des Romans. Die innere Zerrissenheit Marys, ihre Schuldgefühle und ihr Drang nach Erkenntnissen sind überzeugend ausgestaltet.

In eindringlichen Bildern hat die Autorin dann die Flucht und das überraschende Finale festgehalten. Dabei bleiben einige Fragen offen, eine Fortsetzung somit im Bereich des Möglichen. Dass auch Hollywood bereits angeklopft hat sei abschließend angemerkt.