Urban 1: Die Spielregeln (Comic)

Urban 1
Die Spielregeln
(Urban: Les régles du jeu)
Text: Luc Brunschwig
Zeichnungen & Farben: Roberto Ricci
Übersetzung: Tanja Krämling
Splitter, 2013, Hardcover, 48 Seiten, 13,80 EUR, ISBN 978-3-86869-652-3

Von Frank Drehmel

Zachary Buzz, seines Zeichens Erdenbewohner, gutmütiges Landei und muskelbepackter Hüne, tritt seine Ausbildung an der Polizei-Akademie Myjoys an, einem riesigen, 300.000 Hektar großen Vergnügungspark, einer Megapole, die täglich 18 Millionen Besuchern sämtliche (legalen) Freuden und Vergnügen bietet, die über das Jahr und die knochenharte Arbeit als Kolonisten und Siedler zu kurz kommen.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Rekruten, welche in der Schwerelosigkeit aufgewachsen sind, überzeugt Buzz nicht nur seinen Ausbilder und Mentor, Mister Membertu, durch seine bloße körperliche Präsenz und Kraft.

Noch bevor die Beiden an der Akademie eintreffen, erlebt der Neuling live mit, wie Verbrechen in Myjoy gehandelt werden: ganz pragmatisch! Für die leichteren Fälle – Bagatelldelikte wie Taschendiebstahl – existiert eine gleichermaßen unblutige wie unangenehme „Ad hoc“-Bestrafung, die vom allumfassenden Kontrollsystem der Megapole durchgeführt wird, sodass das Aufgabengebiet der Polizei auf schwerste Straftaten wie Mord begrenzt ist.

Während der Ausbildung muss Zachary schmerzlich lernen, dass seine Konstitution zugleich Segen und Fluch ist: einerseits ist er jedem anderen Rekruten im Zweikampf überlegen, anderseits entziehen sich die Mitschüler seinem Zugriff, indem sie ihre in der Schwerelosigkeit antrainierte Beweglichkeit ausnutzen. Daher verliert der Junge auch seinen finalen Kampf um die frei gewordene Position des „Superbullen von Myjoy“, die der arrogante, aggressive Isham El Ghellab ergattert.

Schon bald jedoch erweist sich die Niederlage für Zachary als Glücksfall, denn in der Stadt treibt ein gnadenloser Killer sein Unwesen, dem Ghellab nicht einmal im Ansatz gewachsen ist; nicht nur das: dank des umfassenden Überwachungs- und Informationssystems kann ganz Myjoy live miterleben, wie Ghellab ein unrühmliches Ende findet. Und auch im privaten Bereich muss der gutmütig-naive Buzz erfahren, dass sich hinter dem schönen Schein Myjoys tiefe Schatten verbergen.

Luc Brunschwigs Geschichte kommt trotz des generellen Hintergrundes eines kolossalen Vergnügungskomplexes als düsteres Crossover aus „Westworld“, „Blade Runner“, „Sieben“ und „Brazil“ daher, in dem hinter den glitzernden Fassaden emotionale Kälte, Voyeurismus, Bigotterie, Verfall und Ausbeutung herrschen, in welchem Menschen durch Kostüme und Kostümierungen die Würde genommen wird, indem man sie zu Teilen einer perfiden Inszenierung macht. Insofern ist „Urban“ eine dunkle satirische Dytopie, in der der leicht naive, einfältig wirkende Zachary Buzz geradezu als Fanal der Anständigkeit und Ehrlichkeit in einer hedonistischen Kälte strahlt. Einem Comichelden seiner Kindheit nacheifernd, welcher sich in Visionen beziehungsweise Wachträumen manifestiert, erinnert sich der junge Mann daran, dass es nicht nur darum gehen darf, Verbrecher zu strafen, sondern auch die Unschuldigen zu schützen und mit den Opfern zu fühlen.

In grafischer sowie kolorativer Hinsicht weiß „Urban“ vollends zu überzeugen, spiegelt das Artwork doch die Verdorbenheit und den Gigantismus der inszenierten Fröhlichkeit wider. Markante, hoch emotionale Figuren – insbesondere Zachary Buzz erscheint äußerlich wie eine Inkarnation des Lennie aus John Steinbecks „Von Mäusen und Menschen“ –, beeindruckende Stadtansichten und eine trübe, düstere Farbgebung, die selbst die bunten Farben durch einen deutlichen Gelb- und Grünanteil ins Kränkliche, Verfaulende abtönt, erzeugen eine Atmosphäre des Verfalls.

Fazit: Eine dystopische, düstere Satire, die grafisch wie erzählerisch mit intensiver, dunkler Atmosphäre und einem vielschichtigen, markanten Hauptprotagonisten aufwartet. Ein echtes Highlight.