Jessica Shirvington: Erwacht (Buch)

Jessica Shirvington
Erwacht
Violet Eden 1
(The Violet Eden Chapters 1 – Embrace, 2010)
Aus dem Australischen von Sonja Häußler
Titelgestaltung von Marion Hirsch/HildenDesign unter Verwendung eines Motivs von Kiselev Andrey Valerevich/Shutterstock
dark moon/cbt, 2011, Taschenbuch, 480 Seiten, 8,99 EUR, ISBN 978-3-570-38011-6 (auch als eBook erhältlich)

Von Irene Salzmann

Die Schülerin Violet Eden ist süße 17 und bis über beide Ohren verliebt in ihren fünf Jahre älteren Trainingspartner Lincoln, der ihr jedoch nur ein guter Freund sein will und darüberhinaus keine romantischen Gefühle hegt.

An ihrem Geburtstag, der damit beginnt, dass ihr Vater ihr eine Schatulle überreicht, in der sich ein kryptischer Brief ihrer verstorbenen Mutter und ein Amulett befinden, der mit einer ausgedehnten Shopping-Tour zusammen mit Vis bester Freundin Steph weitergeht und der mit einem Abendessen enden soll, an dem die drei Menschen, die ihr am nächsten stehen teilnehmen, will Vi es wissen. Sie zeigt Linc ihre Gefühle, doch er geht nur umso mehr auf Distanz. Plötzlich steht Vi allein auf der Tanzfläche – wie peinlich! Als sie die Flucht ergreifen will, läuft sie in die Arme eines anderen attraktiven Mannes, den sie kurz darauf im Bistro und in der Sportanlage wiedersieht, wo er sie vor einem Sturz bewahrt. Ihr rettender Engel stellt sich als Phoenix vor. Einerseits fühlt sich Vi zu ihm hingezogen, andererseits rät der Instinkt ihr zur Flucht. Linc ist alles andere als erfreut über diese Entwicklung.

Trotz Vis Verunsicherung werden die beiden ein Paar, teils weil Linc sie zurückgewiesen und wichtige Dinge vor ihr verborgen hatte, teils weil … Sie kann sich ihre Faszination selbst nicht ganz erklären und hofft, dass Phoenix ihre Gefühle nicht manipuliert, dass sie nicht schon wieder betrogen wird. Denn Vi hat etwas erfahren, was ihr Leben völlig auf den Kopf stellt, was nur schwer zu akzeptieren ist und eine Entscheidung von ihr verlangt.

Tatsächlich ist sie eine Grigori, ein Mensch, dem ein Engel einen Teil seiner Kraft verlieh, und der nun über die ahnungslose Menschheit wachen soll, die von den Gefallenen Engeln, sowohl jenen, die einst dem Licht angehörten, als auch den anderen, die sich zur dunklen Seite bekannten, bedroht werden. Auch Linc ist ein Grigori und Vis Partner, weshalb sie kein gemeinsames Glück finden dürfen. Phoenix gibt sich als Gefallener zu erkennen, behauptet jedoch, ‚anders‘ zu sein und Vi ehrliche Gefühle entgegenzubringen.

Es wird von ihr erwartet, dieses mächtige Erbe und ihre Aufgabe anzunehmen, aber das junge Mädchen möchte viel lieber ein normales Leben führen. Als sie jedoch Zeuge wird, wie ein Gefallener einen Mord an jemandem begeht, denn sie kannte, und andere seiner Art die Jagd auf sie eröffnen, schließlich eine Person, die Vi liebt, so schwer verletzt wird, dass der Betreffende mit dem Tode ringt, kann sie sich aus den Geschehnissen nicht länger heraushalten…

„Erwacht“, der erste Band der „Violet Eden“-Serie (es liegen in Australien drei Romane vor; der vierte erscheint demnächst), ist auf den ersten Blick hin ein ‚Ziegelstein‘ von fast 500 Seiten Umfang. Beim zweiten Hinsehen entpuppt sich das Buch jedoch als Mogelpackung, denn das Layout ist sehr großzügig. Zumindest hat dies keine Auswirkung auf den Preis, denn auch dünnere Bücher von cbt sind für knapp neun EUR zu haben.

Die Lektüre folgt inhaltlich und stilistisch den Schemata, die beispielsweise Lisa J. Smith („Vampire Diaries“), Cate Tiernan („Das Buch der Schatten“) und ihre Kolleginnen vorgegeben haben. In Folge ist es an jugendliche Leser, insbesondere an Leserinnen ab 13 Jahre adressiert, an young adults. Im Mittelpunkt steht stets ein Mädchen im Alter von 13 bis 17 Jahre, das als Identifikationsfigur fungiert. Sie ist ein Außenseiter und auf eine spezielle Art ‚besonders‘ (was sich die Leserin auch für sich selber wünscht). Um die Protagonistin schart sich ein kleiner Kreis vertrauenswürdiger Freunde, darunter ein oder mehrere love interests, die nicht immer das sind, was sie vorgeben zu sein, dazu mehr oder minder offensichtliche Feinde. In Hinblick auf diese Konstellation beginnt dann ein phantastisch-romantisches Abenteuer.

Diese Romane sind alle nach demselben Muster gestrickt, wie es die Schreibschulen lehren. Darum wundert es nicht, dass sie einander ähneln und der erfahrene Leser vorhersehen kann, was passiert. Dennoch – oder gerade weil das Erfolgsrezept funktioniert –, kommen die Bücher bei ihren Zielgruppen gut an. Weder der 15jährige Teenie, noch die stressgeplagte Hausfrau oder die Oma, die nette Unterhaltung sucht, hinterfragen das Konzept und achten auf die augenscheinlichen Parallelen. Sie werden auf jeden Fall zufriedengestellt, denn die Handlung, das Charakter-Design und die Auflösung entsprechen exakt dem, was sie lesen wollen. Abweichungen davon sind gar nicht erwünscht.

Von daher wird auch „Erwacht“ sein Publikum finden. Zwar schwafelt die Autorin sehr viel, während sie die Geschehnisse aus Vis Perspektive beleuchtet, die Romanze nimmt mehr Raum ein als die spannenderen Ereignisse, viele Fragen werden gar nicht beantwortet – es folgen ja auch noch mindestens drei Bücher –, und der Roman endet mit einem halbwegs runden Finale, das zugleich einen neuen Anfang bedeutet.

Schätzt man Geschichten dieser Art, kommt man ganz auf seine Kosten und harrt ungeduldig der Fortsetzung. Hat man schon einige vergleichbare Titel gelesen, zieht man das Fazit, dass man durchaus auch einmal verzichten kann. Es liegt am Thema: Mag man Engel und bekommt nicht genug von ihnen, wird man zugreifen; andernfalls blättert man ein wenig in „Erwacht“ und überlegt, ob die bereits gesammelten „Engel“-Serien genug sind oder diese Reihe auch noch unbedingt ins Regal gehört.