Scott Westerfeld: Die Erwählten – Midnighters 1 (Buch)

Scott Westerfeld
Die Erwählten
Midnighters 1
(Midnighters – The Secret Hour, 2004)
Aus dem Amerikanischen von Friederike Levin
Titelgestaltung von Friedhelm Steinen-Vroo, eStudio Calamar, formlabor unter Verwendung eines Motivs von Kamil Vojnar
Carlsen, 2010, Taschenbuch, 310 Seiten, 7,95 EUR, ISBN 978-3-551-35786-1

Von Irene Salzmann

Jessica Day zieht mit ihrer Familie von Chicago nach Bixby, Oklahoma. An ihrer neuen Schule findet sie schnell Freunde, doch es sind ausgerechnet die skurrilen Außenseiter, mit denen sie immer häufiger zusammen ist, denn mit Rex, Jonathan, Dess und Melissa teilt Jessica ein großes Geheimnis.

Sie sind „Midnighters“, Menschen, die genau um Mitternacht geboren wurden und darum in der Lage sind, an besonderen Orten wie Bixby die blaue Stunde zu erleben. Bei dieser handelt es sich um eine zeitlich komprimierte fünfundzwanzigste Stunde, in der ‚normale‘ Menschen erstarren und nichts von dem mitbekommen, was um sie herum passiert. Die fünf Teenager genießen es, diese Welt zu erforschen, in der jeder von ihnen besondere Fähigkeiten hat. Allein Jessica zeigt zunächst kein Talent. Allerdings wird sie von den Gleitern und den Darklingen, den Urfeinden der Menschen, die sich in die blaue Stunde zurückgezogen haben, gefürchtet, gehasst und gejagt. Rex vermutet, dass eine besondere, für die Kreaturen gefährliche Gabe der Grund sein könnte.

Er überredet alle zu einem Treffen in der Schlangengrube, wo andere Midnighters Zeichen hinterließen und sich Jessica einem Test unterziehen soll. Doch alles läuft anders, als geplant: Wegen eines zudringlichen Verehrers verspätet sich Jessica und wird von zahlreichen Darklingen und Gleitern angegriffen. Jonathan kann seine Freundin in letzter Sekunde retten. Aber auch Rex, Dess und Melissa wurden aufgehalten und sehen sich nun außerstande, die Schlangengrube zu erreichen, da ihnen der Gegner den Weg abgeschnitten hat und sie einzukreisen beginnt. Seinen Attacken wird der Schutz, mit dem Dess den Treffpunkt versah, nicht mehr lange widerstehen können…

Es gibt noch andere Kreaturen der Nacht in der Phantastik außer den zuletzt arg strapazierten Vampiren, Werwesen, Elfen und Co. Mit seinen Darklingen und Gleitern schuf Scott Westerfeld („Leviathan“, „Ugly“ etc.) etwas Neues, das auf den Urängsten der Menschen beruht. Natürlich gab und gibt es auch in anderen Büchern Monsterspinnen, Giftschlangen, gefräßige Raubkatzen und so weiter, aber wie sie hier präsentiert werden und die Idee von der blauen Stunde (ob den Autor das Blau inspiriert hat, das man für einen Moment nach Sonnenuntergang sieht?) ist erfrischend unverbraucht.

Natürlich erfindet er das Rad nicht neu, wenn er eine kleine Gruppe Außenseiter zusammenwürfelt, zu der ein Neuling stößt, der etwas anders ist und durch sein Talent aus dem Rahmen fällt. Sehr schön ist jedoch die individuelle Gestaltung der Protagonisten: Jessica ist eigentlich ein ‚normales‘ Mädchen, um dessen Freundschaft sich viele bemühen. Rex (König) betrachtet sich als Anführer der Midnighters, da er die Zeichen lesen kann und mehr als die anderen über die Mysterien weiß. Aber teilt er wirklich all sein Wissen mit den Freunden? Die introvertierte Melissa kann Gedanken lesen und andere manipulieren. Sie kennt Rex seit vielen Jahren. Dess ist ein mathematisches Genie und hat einige interessante Zusammenhänge aufgedeckt. Sie sorgt auch dafür, dass Jessica Jonathan näher kennenlernt, der als Unruhestifter gilt und bislang eigene Wege ging. Er und Jessica verlieben sich ineinander.

Die Geschichte fasziniert aufgrund der Idee und der sympathischen, interessanten Hauptfiguren, die im Alltag gängige Probleme bewältigen und sich in der blauen Stunde unheimlichen Wesen stellen müssen. Einige Geheimnisse werden enthüllt, und der erste Teil findet nach einem Höhepunkt am Ende zu einem sehr befriedigenden Abschluss. Es bleiben genug offene Fragen, die neugierig machen, wie es weitergeht, welche Geheimnisse die Midnight noch hütet. Antworten geben zwei weitere Bücher: „Das Dunkle“ und „Der Riss“.

Leser und Leserinnen ab 14 Jahre, aber auch das reifere Publikum, werden von den „Midnighters“ und ihren faszinierenden Abenteuern bestens unterhalten. Darf es mal etwas anderes als Vampire sein? Dann sollte man sich die Trilogie nicht entgehen lassen!