E. C. Tubb: Die Sterngeborenen (Buch)

E. C. Tubb
Die Sterngeborenen
(The Space-Born, 1956)
Übersetzung: Dirk van den Boom
Titelbild: Timo Kümmel
Atlantis, 2011, Paperback, 144 Seiten, 10,00 EUR, ISBN 978-3-86402-007-0 (auch als Hardcover (13,00 EUR) direkt beim Verlag und als eBook erhältlich)

Von Thomas Harbach

Mit „Die Sterngeborenen“ – im Original „The Space-Born“ – legt der Atlantis Verlag einen der populärsten und besten Roman des 2010 verstorbenen E.C. Tubb neu von Dirk van den Boom übersetzt auf Deutsch vor. E.C. Tubb ist in erster Linie durch seine immerhin 33 Bände umfassende Serie um den Weltraumvagabunden Earl Dumarest auf der Suche nach der in den Mythen entschwundenden Erde bekannt geworden. Der letzte Roman, „Child of Earth“, erschien in den Staaten im Jahre 2008.

Der 1919 in London geborene Tubb begann in den 50er Jahren mit dem Verfassen nicht nur von Science Fiction. Unter zahlreichen Pseudonymen erschienen unter anderem auch eine Handvoll Western, die von Kleinverlagen in liebevollen Taschenbuchausgaben neu aufgelegt worden sind. Höhepunkt seiner Produktivität war sicherlich eine Ausgabe von „Authentic Science Fiction“. Als Chefredakteur hat er nicht nur die Leserbriefe selbst verfasst und entsprechend kommentiert, sondern alle veröffentlichten Kurzgeschichten stammten unter diversen Pseudonymen aus seiner Feder.

E.C. Tubb ist überwiegend als solider literarischer Handwerker bekannt, der mehr Wert auf spannende, stringente Plots als Sozialkritik legte. Dabei ragt „Die Sterngeborenen“ durch eine interessante politisch brisante Auseinandersetzung mit der Interpretation von drakonischen, im Grunde unmenschlichen (aber angesichts des Ausgangsszenarios vertretbaren) Gesetzen aus der Masse seiner insbesondere in der Frühzeit seines Schaffens geschriebenen Arbeiten heraus. Tubb war in den 50er beziehungsweise 60er Jahren aber nicht der einzige Autor, der sich mit dem Thema Generationenraumschiffe auseinandersetzte. Brian W. Aldiss’ „Nonstop“, Robert A. Heinleins schon in den vierziger Jahren veröffentlichten, aber erst zwanzig Jahre später zu „Die lange Reise“ verbundene Novellen, Leigh Bracketts „Alpha Centauri sehen und sterben“ oder Harry Harrison mit „Welt im Fels“ boten unterschiedliche Variationen der Generationen übergreifenden Reise zu den Sternen an. Gemeinsam hatten alle Romane, das das Abenteuer Weltall über die lange Zeit an Faszination verloren hat und dass vor allem das Überleben in drangvoller Enge im Vordergrund gestanden ist. Hinzu kommen die Romane, in denen die Protagonisten in der Zwischenzeit vergessen haben, dass sie an Bord eines Raumschiffs leben und zu einem ihnen unbekannten Ziel fliegen.

E.C. Tubbs „Die Sterngeborenen“ setzt sich mit dem absolut kontrollierten Leben und darüberhinaus Überleben an Bord eines Generationenraumschiffes auseinander, wobei einige seiner Ideen insbesondere in Nolans/Johnsons verfilmten Buch „Logans Run“ wieder aufgegriffen worden sind. Der Roman selbst ist schon mehrfach in Deutsch erschienen, das letzte Mal in der „E.C. Tubb“-Reihe des Moewig-Verlags in den 80er Jahren, die immerhin rund dreißigTaschenbücher bestehend aus Einzelromanen beziehungsweise Earl-Dumarest-Abenteuern umfasste. Tubb ist der einzige nicht deutsche Autor gewesen, dem Moewig neben den beiden Scheer-Reihen sowie der Clark-Darlton-Reihe diese Ehre zuteil werden ließ.

5000 Menschen leben seit mindestens 300 Jahren an Bord des Generationenraumschiffes, deren Ziel eine ihnen unbekannte Welt ist. Frische Luft oder Tiere kennen sie nur aus Filmen, die ihnen als eine Art politische Bildung zwangsvorgeführt werden. Mit 40 wird bis auf den Kapitän des Schiffes jeder Mensch eliminiert. Fortpflanzung in Kurzzeitfamilien ist gentechnisch geplant und darf nur in einer sehr kurzen Zeit erfolgen. Aggressionen werden in Kampfringen abgebaut, wobei teilweise die Kämpfe bis zum Tod eines der Kontrahenten ausgefochten werden. Verschwendung wird mit dem Tod bestraft. Die Psycho-Polizei wacht über die Einhaltung der Gesetze. Jay West gehört zu ihnen. Gleich zu Beginn mussWest zusammen mit seinen Vorgesetzten einer Verleumdungsklage nachgehen, die zynischerweise mit dem Tod des unschuldig Angeklagten sowie der Hinrichtung des Verleumders endet. Die Gesetze sind hart. Im Laufe der nächsten Wochen muss West allerdings erkennen, das es mehr und mehr Unzufriedene an Bord des Schiffes gibt, die sich den drakonischen Gesetzen zu entziehen suchen, während die Männer der Schiffsführung sich hinsichtlich der Einhaltung der vor dem Abflug aufgestellten Regeln nicht nur uneins sind, sondern vor allem selbst opportunistisch nach der bröckelnden Macht des Raumschiffkapitäns zu greifen suchen. Als Jay West seinen eigenen Gefühlen einen kurzen Augenblick freien Lauf lässt, gerät er in eine lebensgefährliche Situation.

Wie schon angesprochen entwirft E. C. Tubb ein Szenario, das auf einer Stufe mit George Orwells „1984“ beziehungsweise Aldous Huxleys „Schöne neuer Welt“ steht. Dieser Vergleich ist nicht übertrieben. Recht haben und Recht sprechen sind zwei gänzlich verschiedene Dinge. Da ein Populationsanstieg außer Frage steht, müssen neben den eingeplanten Toten aus den Ringkämpfen Menschen eliminiert werden. Das erfolgt nicht nur dank der Giftspritze im Alter von vierzig Jahren, sondern vor allem durch eine recht freie Interpretation der Gesetze. Dabei wird den Psycho-Polizisten freie Hand gelassen. Während Jay West eher der aufrichtige, friedliebende Ordnungshüter ist, etabliert die Handlung mit seinem indirekten Vorgesetzten Merrill einen klassischen Psychopathen. Die Konfrontation zwischen den beiden sehr unterschiedlichen Männern ist handlungstechnisch unvermeidlich. Viel interessanter – wie schockierender – ist nicht nur die Auftaktsequenz, in welcher nicht Recht gesprochen, sondern ein Problem von oberster Stelle beseitigt wird, sondern im Verlaufe der Handlung die politischen Manipulationen von höchster Ebene ausgehend. Nachdem Generationen von Menschen genetisch optimal gezüchtet worden sind, erkennen die Führer des Schiffes, dass sie im Grunde den falschen Menschentypus erschaffen haben. Aggressiv, überdurchschnittlich gesund und schließlich auch die Drangsal der Enge des Schiffes zumindest intellektuell ablegend. Es ist sicherlich keine Überraschung, dass sich im Verlaufe der stringent erzählten, dialogtechnisch sehr soliden Handlung die Probleme plötzlich expotentiell steigern und das bisherige System ins Wanken gerät.

E.C. Tubbs größte literarische Schwäche war das Erschaffen von wirklich dreidimensionalen, zugänglichen Charakteren. Diese Schwäche kommt ihm angesichts der geplanten Gesellschaft im vorliegenden Roman entgegen. Während Wests Freundin als einzige mit einer Mischung aus Kleinmädchennaivität und gutem Herzen an die Gefühle des Mannes appelliert, den sie nach den Schiffsgesetzen sowieso nicht heiraten darf und vor allem sexuell die aktivere Komponente der Beziehung ist, wirken insbesondere Jay West und seine Vorgesetzten eher ein wenig zu eindimensional beschrieben, zu wenig nachhaltig emotional und in ihren plötzlich die bisherige Lebensart negierenden Handlungen zu sprunghaft. Insbesondere Nebenfiguren werden von Tubb handlungstechnisch funktionell und nicht immer bis zur letzten Nuance überzeugend eingesetzt. Einige der Männer wirken zu irdisch und zu sehr in den Nachkriegsjahren verankert, wobei sich insbesondere die Sprechweise zu wenig von der damaligen Zeit unterscheidet.

In der zweiten Hälfte des Romans konzentriert sich Tubb sehr viel stärker auf einen über die Reise hinausgehenden Plot, während insbesondere auf den ersten Seiten das düstere Szenario anhand zahlreicher zum Teil tragischer Einzelbeispiele sehr visuell entwickelt worden ist. Sehr geschickt manövriert Tubb seinen Protagonisten West dank einer „guten“ Tat mit der nächsten Anweisung in eine lebensbedrohliche Situation, welche das letzte Handlungsdrittel bestimmt und den Plot auf eine sehr emotionale Auseinandersetzung verdichtet. Der soziale wie technische Hintergrund mit den Berufskasten – wobei insbesondere die Gärtner zusammen mit den Elektrikern hoch in den Rängen stehen – ist insbesondere für einen mehr als fünfzig Jahre alten Roman überzeugend extrapoliert. Tubb etabliert sein Konzept als zwar unmenschlich erscheinende, aber angesichts der Flugdauer realistische Möglichkeit, einen anderen Planeten in den Tiefen des Alls zu erreichen. Es sind die Menschen, die gegen die Regeln rebellieren, die sie von der ersten Generation aufgezwungen bekommen haben. In dieser Hinsicht ist „Die Sterngeborenen“ ein ausgesprochen politisches Buch, wobei der Autor keine realistischen Alternativen präsentiert.

Am Ende fasst der Autor ausgesprochen geschickt die immer stärker werdenden Veränderungen – alle außerhalb der Kontrolle der Menschen – geschickt zusammen. Wie durchdacht „The Space-Born“ ist, zeigt die Tatsache, dass Tubb im Grunde die zwei gängigen Wege zu den Sternen – Generationenraumschiffe und Menschen/Tiere im künstlichen Tiefschlag – miteinander kombiniert hat und sich über den für eine Planetenbesiedelung notwendigen Genpool sehr viele Gedanken gemacht hat. Zwar wird die im Kern aussichtslose Situation Wests und des Vaters seiner wahren Liebe nicht aus dem Kontext heraus, sondern durch das schlichte Ende der Reise passend aufgelöst, aber trotzdem wirkt der Roman plottechnisch zufrieden stellend abgerundet. Er endet zwar nicht auf einem klassischen Happy end, aber im Gegensatz zum ausgesprochen dunklen Auftakt mit einer positiven, für die 50er Jahre Zeit gemäßeren Note.

Zusammengefasst ist die Neuauflage dieses Klassikers nicht zuletzt auch dank des schönen Titelbilds Timo Kümmels und der zeitgemäßeren Übersetzung Dirk van den Booms eine empfehlenswerte Anschaffung. Weitere Romane von E.C. Tubb sind in Vorbereitung.