Connie Willis: Die Jahre des Schwarzen Todes (Buch)

Connie Willis
Die Jahre des Schwarzen Todes
(Doomsday Book, 1992)
Deutsche Übersetzung von Walter Brumm
Heyne, 2011, Taschenbuch, 784 Seiten, 9,99 EUR, ISBN 978-3-453-52712-6

Von Gunther Barnewald

1982 erschien Connie Willis legendäre Kurzgeschichte „Fire Watch” (dt. „Brandwache“) in Asimovs SF-Magazin, in welchem sie die Bemühungen einer englischen Zeitreiseabteilung schildert, die unter Leitung des Historikers Mr. Dunworthy Menschen in die Vergangenheit schickt, um dort Geschichtsforschung zu betreiben. Geschildert werden die Erlebnisse eines jungen Mannes, der bei der Bombardierung Londons im Zweiten Weltkrieg eine Nacht auf der St. Pauls Kathedrale verbringt, um dort Brandwache zu stehen. Die Autorin erhielt für diese Geschichte sowohl den Hugo- als auch den Nebula-Award.

1992 erschien dann der voluminöse Roman „Doomsday Book“ (dt. „Die Jahre des Schwarzen Todes“), welcher wiederum die Abenteuer zeitreisender englischer Historiker schildert. Diesmal soll unter Leitung Mr. Dunworthys eine Mrs. Kivrin ins englische Mittelalter geschickt werden, genauer ins Jahr 1320. Leider geht die Reise, die im Jahre 2054 gestartet wird, schief. Kivrin landet nicht 1320, sondern einige Jahrzehnte später, inmitten der verheerenden Pestepidemie in England. Leider gelangt dabei offensichtlich auch ein gefährliches Virus in die Gegenwart, welches eine verheerende Erkrankungswelle mit vielen Opfern auslöst. Da in der Gegenwart alles drunter und drüber geht, kann sich erst einmal niemand um Kivrins Schicksal kümmern, weshalb die junge Frau in der Vergangenheit feststeckt, inmitten Siechender und einer grauenvollen Pestepidemie... Für dieses Werk erhielt die Autorin zu recht ebenfalls die beiden bedeutendsten amerikanischen SF-Preise, zudem noch den Locus-Award.

1998 erschien Connie Willis’ gleichermaßen voluminöser Roman „Die Farben der Zeit“ („To say nothing of the Dog“), der ebenfalls Mr. Dunworthy und seine Zeitreiseabteilung als Protagonisten aufweist, wobei allerdings außer diesem kaum noch andere Protagonisten der anderen Abenteuer vorkommen, wie überhaupt gesagt werden muss, dass sich Willis’ Abenteuer ständig weiterentwickeln und man nicht unbedingt davon ausgehen kann, dass alle drei Geschichten im selben Universum spielen.

So ist zum Beispiel die Zeitreisetheorie mittlerweile viel ausgeklügelter. Paradoxa können nicht mehr einfach so entstehen. Ein kompliziertes Geflecht von Wahrscheinlichkeiten, retro- und anterograder Veränderung der Geschehnisse und einfache Verweigerungen des Zeitreisenetzes, Passagiere zu befördern, damit diese sensible Zeiten nicht besuchen können, verhindern gravierende Paradoxa. Kein Reisender kann sich selbst begegnen, da jeder Mensch zu einer bestimmten Zeit nur einmal existieren kann (was die Ideen eines sexuellen Kontakts mit sich selbst, so wie dies zum Beispiel die SF-Autoren Robert A. Heinlein oder David Gerrold äußertst einfallsreich erdachten, ausschließt).

Der vorliegende Roman „Die Jahre des Schwarzen Todes“ ist einer der Meilensteine der Science Fiction. Brillant recherchiert in den historischen Fakten, erschreckend umgesetzt in den von den Pestjahren berichteten Details, atmosphärisch überbordend von „Gestank und Dreck” erspart die Autorin dem Leser wenig vom mittelalterlichen Leben. Wer hier die heile Welt vieler romantisierender Fantasy-Romane mit kühnen Helden, sauberen Prinzessinnen und ritterlichen Recken erwartet, wird von der Autorin mit brutaler Härte vor den Kopf geschlagen. Leser, die angesichts der düsteren Atmosphäre und des geschilderten Elends sich ihre Märchenwelt zurückwünschen, sollten besser schnell die Finger von diesem Breitwandgemälde lassen.

Einziges Manko an Willis’ Werk ist sicherlich die relativ hohe Seitenanzahl, die von einigen als Lesehemmer empfunden werden dürfte. Die hier erzählten Ereignisse hätten andere Autoren kürzer und kohärenter darstellen können, niemals aber prägnanter als Willis.

Deshalb ist es umso erfreulicher, dass man bei Heyne diesen Meilenstein wieder aufgelegt hat, denn antiquarisch war das Buch oft nur schwer und teuer zu beschaffen gewesen, nachdem es nicht mehr aufgelegt wurde nach der Erstausgabe 1993. Da alle drei oben erwähnten Werke keine direkten Bezüge zu einander haben, muss man diese auch nicht unbedingt kennen, um „Die Jahre des Schwarzen Todes“ goutieren zu können.

Wer die anderen beiden Abenteuer mit Mr. Dunworthy aber noch lesen möchte (es lohnt sich!), für den hier die Literaturtipps:

Connie Willis: „Die Farben der Zeit (oder ganz zu schweigen von dem Hunde und wie wir des Bischofs Vogeltränke schließlich doch noch fanden“) (Im Org.: „To say nothing of the Dog (or how we found the Bishop´s Bird Stump at last)”; Heyne TB 06/6379.

Connie Willis: „Brandwache” (Im Org.: „Fire Watch”) in:
1) Connie Willis: „Brandwache“; Luchterhand TB SL 660.
2) Friedel Wahren (Hrsg.): Isaac Asimov´s SF Magazin 18. Folge; Heyne TB 06/3998.
3) Terry Carr(Hrsg.): Die schönsten SF-Stories des Jahres Band 3; Heyne TB 06/4165.
4) Isaac Asimov(Hrsg.): „Die Wunder der Welt“; Heyne TB 06/4332.