Valerian Çaithoque: Aschamdon – Amizaras Chronik 1 (Buch)

Valerian Çaithoque
Aschamdon
Band 1 der Amizaras Chronik
Amizaras, 2011, Hardcover, 720 Seiten, 24,80 EUR, ISBN 978-3-9814-4210-6

Von Carsten Kuhr

Die Engel sind unter uns. Doch was, wenn die Engel, so wie wir sie aus der Bibel kennen, nur eine verharmlosende Version der Wahrheit darstellen, wenn die geflügelten Wesen, Ariach genannt, mit ihren besonderen Kräften beileibe nicht mit menschlichen Maßstäben zu messen sind, und ihre ganz eigenen Auseinandersetzungen ausfechten und Ziele verfolgen. Dies ist die Geschichten zweier Menschen, denen die Ariach ihre Aufmerksamkeit geschenkt haben.

Die eine, Raphaela, begleiten wir über einen Zeitraum von über 20 Jahren. Als Kind von ihrem despotischen, die Familie in Angst und Schrecken versetzenden Vater missbraucht und nach dem Mord an ihrem Erzeuger in die Irrenanstalt eingewiesen, scheint sie ihren gesunden Menschenverstand verloren zu haben. Als Aschamdon, ein Ariach, sie auserwählt und mit seinen lebensverlängernden Kräften badet, ahnt sie, dass dies, wie alles im Leben, seinen Preis hat. In Diensten des Ariachs wird sie bei einer der vielen im Geheimen die Erde beherrschenden Geheimlogen eingeschleust und soll für ihren Herren und Meister dort ein gut gesichertes Kleinod entwenden. Dass sie so nebenbei noch auf der Suche nach dem ewigen Leben für sich und ihre Mutter ist, macht die Aufgabe nicht einfacher. Die verjüngenden Kräfteduschen der Ariach führen unweigerlich nach einigen Jahrhunderten dazu, dass die so Beglückten verrückt werden.

In den Verliesen tief unterhalb der Ordensburg in Rom vegetieren diejenigen Uralten, die zuviel wissen oder ihr Wissen noch nicht preisgegeben haben, in ewiger Marter vor sich hin. Gemeinsam mit Cesare Borgia macht sie sich an die unmöglich erscheinende Aufgabe, das Sicherheitssystem Leonardo da Vincis auszuschalten und nicht nur die antike Maschine für ihren Auftraggeber zu sichern, sondern auch die Kadischim-Formel, mit der sie ihrem Ziel, Menschen zu heilen und Leben zu verlängern näher kommt, zu stehlen.

Jahrzehnte später, im Jahr 2002 lernen wir den zwielichtigen Antiquitätenhändler und Gauner Atila kennen. Auf der Suche nach Reichtum ist der mit allen Wassern gewaschene Gauner bereit, nahezu alles zu tun, um seine Hand auf wertvolle Artefakte legen zu können. Als ihm ein Schlüssel zugespielt wird, der auch für die Ariach Bedeutung hat, er sich zudem in eine ehemalige Agentin einer der Geheimlogen verliebt, wird sein Leben erst so richtig interessant; begegnet er doch in Azrahel der verheißenen Retterin der Menschheit – doch die Ariach hat ihr Gedächtnis und ihre Kräfte verloren…

Was ist das für ein Buch, das der just zum Zweck der Publikation der Saga gegründete Verlag hier vorlegt? Schauen wir uns zunächst das Äußere des Werkes an. Übergroßes Format, gut 700 Seiten dick, mit Halbledereinband, Lesebändchen und mit farbiger Deckelprägung versehen, erwartet uns ein Hammer von einem Buch. Mehr als 200 Illustrationen zieren den Text, dabei haben sich die Herausgeber nicht nur aktueller Illustratoren bedient, sondern auch die alten Meister, angefangen von Dürer bis hin zu Michelangelo, haben ihren Beitrag zur Ausgestaltung des Textes geleistet. Die Seiten selbst sind nicht nur mit dem Text bedruckt, sondern weisen selbst eine auf alte getrimmte, tagebuchähnliche Struktur auf, so dass allein hier schon der Eindruck eines alt-ehrwürdige Folianten in Händen zu halten entsteht.

Der Inhalt lässt sich mit nichts vergleichen, das ich bislang gelesen habe. Zum Teil Verschwörungsthriller, dann wieder phantastisches Abenteuer, dann wieder ein Roman über Geheimlogen und zwielichtige Gestalten, dabei weit von Dan Brown entfernt, erwartet den Leser ein Erlebnis der besonderen Art.

Die beiden sich abwechselnden Handlungsstränge, die kaum Berührungspunkte aufweisen, machen den Leser über ihren jeweiligen Protagonisten mit den Geheimnissen um die Ariach bekannt. Lange vor der Menschheit entstanden sind diese den Menschen geistig weit überlegen. Dennoch nutzen sie ihre menschlichen Anhänger, um ihre Ziele zu erreichen, ja auch um miteinander zu kommunizieren. Wer nun aber erwartet, in einen der üblichen, aus gängigen Urban-Fantasy-Romanen leidlich bekannten Auseinandersetzungen Gut gegen Böse hineingezogen zu werden, der reibt sich verwundert die Augen.

Wertungen sucht man vergebens, auch schlichte Schwarz-Weiß-Zeichnungen gibt es nicht. Die Ariach werden als überlegene Wesen dargestellt, deren Handlungen nicht mit menschlichen Maßstäben gemessen, nicht nach menschlichen Wertevorstellungen beurteilt werden können. Über die ganze Länge des Textes bleibt letztlich offen, um was es wirklich geht.

Dennoch, und das ist das Erstaunliche, ist der Roman inhaltlich packend und spannend und zieht den Leser förmlich ins Buch. Es gibt Prophezeiungen – die von verschiedenen Fraktionen unterschiedlich ausgelegt werden –, es gibt die Jagd nach verschollenen antiken Schlüsseln und Maschinen, Kämpfe um Macht und Einfluss, um Jugend, Gesundheit und ewigem Leben.

Der Pfad zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert, dieses geflügelte Wort lässt sich insbesondere auf Rafaela anwenden. Von Aschamdon angeleitet, verleitet und korrumpiert sucht sie Heilung für ihre geistig umnachtete Mutter. Eine hehre Motivation, doch immer wieder auch wird sie durch das Versprechen ewiger Jugend in Versuchung geführt, wird sie geschickt manipuliert und motiviert gegen ihre inneren Überzeugungen zu handeln. Demgegenüber ist Atila als gieriger Filou ein ambivalenter Protagonist. Als gewiefter Schieber ist er ein wenig zwielichtig, hat immer einzig seinen eigenen Vorteil im Auge und legt eine gehörige Portion krimineller Energie an den Tag. Dass er aber zu tiefen, ehrlichen Gefühlen befähigt ist, dass er sich, letztlich zwar widerstrebend, einbringt, macht ihn uns wiederum sympathisch.

Der Text selbst, das sich nach und nach abzeichnende Bild der Ariach und ihrer Anhänger, bietet dem Autor jede Menge Ansätze, seine Handlung mit historischen Fakten, Personen und Ereignissen zu verbinden. Immer wieder ist es erstaunlich, auf welche Weise er so Bekanntes mit seiner Schöpfung in eine in sich logische Verbindung bringt, wie er mittels Andeutungen den Leser zum Nach- und Weiterdenken anregt. Dass bewusst und beabsichtigt Vieles offenbleibt, dass er ein profundes geschichtliches Wissen oder zumindest Interesse und entsprechende Recherchearbeit voraussetzt sei angemerkt. Lässt man sich darauf nicht ein, wird man Vieles nicht einordnen können und geht viel der Faszination des Textes verloren. Gerade die Verweise seiner geheimen Welt auf die bekannten Weltreligionen und Logen machen den Text zu einem packenden Werk.

Der Autor, Valerian Çaithoque scheint ein Pseudonym zu sein, bleibt bewusst mysteriös. Auf der Internetseite ist ein kurzes Interview mit dem dort eher wortkargen, ja arrogant wirkenden Autor nachlesbar, der sein Werk – der zweite Band sei bereits fertig und würde gerade redigiert – als Experiment bezeichnet, und angibt, dass er finanziell auf einen Erfolg nicht angewiesen sei.

Dass er ein besonderes Werk vorgelegt hat, das sich dem Mainstream verschließt, das seine Leser emotional wie intellektuell fordert, das kein einfachen Antworten für sie bereithält, das aber trotzdem oder gerade deswegen fasziniert, spricht für seine erzählerischen Fähigkeiten.