Robert Jackson Bennett: The Tainted Cup (Buch)

Robert Jackson Bennett
The Tainted Cup
(The Tainted Cup, 2024)
Übersetzung: Jakob Schmidt und Karla Schmidt
Adrian, 2025, Paperback, 416 Seiten, 16,95 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Alles beginnt mit einer Leiche. In einem luxuriösen Anwesen der Hazas - einer, nein, der Adelsfamilie des Reiches - wird Taqtasa Blas, ein hoher Offizier des Ingenieur-Iyalets, tot aufgefunden. Ein Baum ist offensichtlich aus seiner Lunge herausgesprossen und hat ihn beim ungestümen Wachstum getötet.

Die erst seit Kurzem dem Distrikt zugewiesene Iudex-Ermittlerin und ihr Gehilfe werden gerufen und sollen den Fall - ein Mord, wenn es denn einer war - aufklären.

Die Hinweise führen sie in eine der umkämpften Küstenstädte und mitten hinein in ein Konglomerat aus Intrigen, Geheimnissen, Korruption und Verrat, das bis in die höchsten Kreise des Adels reicht.


Soweit das Grundthema des Buches - dem der Verfasser im Original bereits einen zweiten Teil mit dem Titel „A Drop of Corruption“ nachgereicht hat.

Das Besondere an diesem Who done it ist natürlich die Welt, in der Bennett seine Handlung platziert hat.

Wir befinden uns in einem riesigen Reich, das entfernt an das alte China erinnert, mit Reminiszenzen ans antike Rom. Dinius Kol, unser Erzähler, ist ein junger Mann, der es im Militärdienst nicht leicht gehabt hat. Seine Rechtschreibschwäche und seine zurückhaltende Art haben ihn zur Zielscheibe seines Ausbilders gemacht. Als er dann - ausgerechnet, als die Stelle des Assistenten zu vergeben war - Prüfungen mit Bestnoten bestand, erregte das Verdacht und Neid.

Dazu kommt, dass Menschen durch Beizen, Plantate und Anpassungen auf natürlich-biologische Weise aufgewertet werden. Kol etwa kann als sogenannter Gravierer mittels seiner Plantate nichts mehr vergessen. Sein eidetisches Gedächtnis speichert alle, wirklich alle Fakten (Gesehenes, Gerochenes, Gefühltes, Geschmecktes) und er kann diese nach Monaten oder Jahren exakt wieder abrufen.

Zusammen mit Ana, seiner Vorgesetzten, die - um sich ganz auf die Indizien konzentrieren zu können - zumeist ihre Augen mit einem Schleier abdeckt, macht er sich auf in die Küstenstadt Talagray. Hier, direkt an der mit Bombarden gespickten Mauer, die allein die desaströse Invasion der Leviathane aus dem Meer verhindert, begeben sie sich auf die Suche nach Motiv und Täter - nur, dass sie von beidem mehr als einen Schuldigen finden. Und wie so oft scheint es auch hier zu sein: Die wahrhaft Schuldigen sind der Gerechtigkeit aufgrund ihres Standes entrückt.

Bennett präsentiert uns einen spannungsgeladenen, rasant angelegten Krimi, der in einer faszinierenden Phantasie-Welt spielt. Auch wenn unsere Ermittlerin einiges mit dem Herrn aus der Baker Street 221B verbindet, ist sie sowohl vom Wesen als auch von ihrem Vorgehen her ganz anders angelegt als Holmes. Die phantastisch anmutenden Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten fügen dem Plot eine weitere Spannungsebene hinzu, die bei der letztlichen Auflösung der Rätsel erst so richtig zum Tragen kommt.

Die Welt, die uns der Verfasser beschreibt, ist ein riesiges Imperium, regiert von einem unsterblichen Imperator, der mit Korruption, Intrigen und einer ultimativen Bedrohung von außen zu kämpfen hat.

In diese Spannungssituation setzt Bennett einen jungen Außenseiter. Begabt ist dieser, befähigt auch, doch - noch - fehlt ihm Vieles: Selbstvertrauen, Erfahrung und Wissen. Durch dessen neugierigen, manches Mal naiven Augen lernen wir die handelnden Figuren und über sie die wunderbar vielfältige Welt und deren Bewohner kennen. Dass seine Meisterin sich wenig um Höflichkeit, Manieren oder Rang schert, macht die Situation für ihre „laufenden Augen“ - alias Kol - nicht einfacher. Die Bedrohung durch die jährlich die Mauern bestürmenden Leviathane setzt die Ermittlungen zusätzlich unter Zeitdruck.

Ana ist seltsam, witzig und brillant, während Kol neugierig, aber zurückhaltend ist. Es war eine wahre Freude, ihr Zusammenwirken zu beobachten. Die Menschen um sie herum sind ebenso interessant - ich denke da etwa an den Schwertkämpfer und vulgären Offizier Miljin, der nur bei oberflächlicher Betrachtung ein simpler Schläger ist, in Wahrheit jedoch eine ungewöhnliche Tiefe aufweist und mit Reflektionen aufwartet, die den Zustand des Imperiums beleuchten.

Nicht umsonst wurde der vorliegende Roman gerade mit dem World Fantasy Award als Bester Roman ausgezeichnet. Auf uns wartet ein mitreißendes Abenteuer aus einer Alternativ-Welt, dem man am liebsten gleich den zweiten Band folgen lassen würde.

Lob an den Adrian Verlag, der die Lücke, die die Großverlage mit ihrer Konzentration auf Romantasy hinterlassen haben, mit James Islington und Robert Jackson Bennett wunderbar schließt.