Ruby Jean Jensen: Annabelle (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 04. Oktober 2025 10:02

Ruby Jean Jensen
Annabelle
(Annabelle, 1987)
Übersetzung: Heiner Eden
Festa, 2025, Hardcover, 366 Seiten, 36,99 EUR
Rezension von Carsten Kuhr
Jessica ist fünf Jahre alt, als ihre Mutter das Haus, den Vater, den älteren Bruder und sie verlässt. New Orleans, die große Stadt, eine eigene Zukunft, Abwechslung und Erfüllung locken - da muss das Heim im Nirgendwo Louisianas und die lästige Tochter, vom Ehemann ganz zu schweigen, zurückbleiben.
Gewollt hat die Mutter das Balg ohnehin nie wirklich; die Ehe mit dem deutlich älteren Mann war nur als Sprungbrett zu Wohlstand und Glamour gedacht.
Jessica bleibt einsam und allein zurück. Als sie beginnt, das seit Jahren verlassene Nachbar-Anwesen zu erkunden, stößt sie dort auf ein altes Puppenhaus - komplett mit Porzellanbewohnern.
Obwohl das Herrenhaus teilweise verfallen ist, glaubt sie auf den leeren Fluren Stimmen zu hören, ein Schaukelstuhl bewegt sich. Dann beginnen die Puppen zu leben - Puppen, die sich alle Annabelle nennen, Puppen, die über sie wachen, Puppen, die sie nicht mehr hergeben wollen…
Der Festa Verlag hat diesem Buch den Untertitel „Der Klassiker der Böse-Puppen-Geschichten“ gegeben - und damit den Nagel auf den Kopf getroffen.
Zunächst begegnen wir im Prolog der ursprünglichen Besitzerin des Puppenhauses und deren Bewohnern - einem Kind, das unter der gewalttätigen Mutter leidet und dem ein nur angedeutetes, böses Schicksal droht. Dann lernen wir unsere Protagonistin kennen. Jessica ist endlich einmal keine Erwachsene in einem kindlichen Körper, sondern tatsächlich ein Kind - mit all ihrer unbändigen Neugier, ihrer Phantasie und auch ihren Ängsten.
Der Verlust der Mutter, so lieblos diese sie auch behandelt hat, ist eine Zäsur, die Spuren hinterlässt. Als Jessica die Puppen kennenlernt, treibt sie so nicht nur Neugier an. Sie findet dort zunächst Halt, Trost, ja sogar Geborgenheit. Der Horror, der sich aus dieser Grundsituation entwickelt, hält sehr subtil Einzug. Gebannt verfolgen wir, wie die Puppen nach und nach aktiv in das Geschehen eingreifen, wie die Handlung vom Psychologischen ins Grauenhafte kippt - bis es erste Tote gibt.
Den Schwerpunkt legt die Autorin dabei auf die atmosphärisch dichte Darstellung des alten, halb verfallenen Herrenhauses und seiner Puppen. Schon beim ersten Betreten des Gemäuers durch Jessica lief mir ein Frösteln über den Rücken; der Plot zog mich immer tiefer in seinen Bann.
Wer also einen Klassiker über böse Puppen sucht, wird hier fündig - aber Vorsicht: Die Lektüre könnte zu Alpträumen führen.