Stephen Hunt: Das Königreich der Lüfte (Buch)

Stephen Hunt
Das Königreich der Lüfte
(The Court of the Air)
Aus dem Englischen übersetzt von Kirsten Borchardt,
Titelillustration von Nele Schütz
Heyne, 2011, Taschenbuch, 780 Seiten, 9,99 EUR EUR, ISBN 978-3-453-53376-9

Von Carsten Kuhr

Der aufgeweckte Rotschopf Molly Templar kehrt wieder einmal reumütig ins Waisenhaus zurück. Wie so oft konnte sie ihr vorlauten Mundwerk nicht zügeln, musste mit ihrem Wissen und ihrer Intelligenz prahlen und wurde in der Wäscherei, in die sie der habgierige Hausvater vermittelt hatte, rausgeschmissen. Statt nun aber, wie sonst immer, gescholten zu werden, wartet eine feine Dame auf sie, die ihr eine Stelle in ihrem Haus, einem Edelbordell anbietet.

Eine Wahl, „Nein“ zu sagen, hat sie nicht, und nach kurzer Lehrzeit soll sie ihren ersten Kunden zu Willen sein. Dieser aber entpuppt sich als Assassine, der auf Molly angesetzt wurde. Es gelingt ihr zwar zu fliehen, doch zurück im Waisenhaus findet sie statt Hilfe nur Blut und Leichen. Verfolgt von dem Auftragsmörder entkommt sie mit Hilfe der Dampfmänner zunächst in den Untergrund. Hier, tief unter der Erdoberfläche, hat sich eine eigene Gemeinschaft zusammengefunden, die den Maximen Gleichheit, Brüderlichkeit und Freiheit eine ganz eigene Auslegung zuordnet. Doch selbst hier, in einer Welt in der sich Menschen selbst verstümmeln, nur um ihren Leidensgenossen ähnlich zu werden, findet sie ihr Verfolger. Wieder wird sie in letzter Sekunde gerettet, doch wer nur hat einen solch immensen Preis auf ihren unschuldigen Kopf ausgesetzt, dass sie von allen und jedem gejagt wird – und warum?

Im zweiten Handlungsstrang lernen wir eine weitere Waise, den sechzehnjährigen Oliver, kennen. Nachdem seine Eltern bei einem Absturz eines Aerostaten umgekommen sind und er selbst nach mehr als vier Jahren, die er hinter der Irrnebelwand, einer Region außerhalb des normales Raumes in der die latenten PSI-Kräfte eines Menschen geweckt werden können, verbracht hat, hat ihn sein Onkel, ein erfolgreicher Händler, aufgenommen. Seit dem mysteriösen Überleben des Absturzes beobachtet ihn die Obrigkeit mit Argusaugen. Nachdem er einmal mehr seiner Verpflichtung, sich in der örtlichen Polizeistation zu melden und auf seine Gaben testen zu lassen, nachgekommen ist, kommt er in ein Haus zurück, in dem ihn die Leichen seines Onkels und der Haushälterin erwarten. Nur dem zwielichtigen Hausgast Harry ist es zu verdanken, dass er nicht auch zu den Opfern des Anschlags gehört und die gemeinsame Flucht in die Randgebiete gelingt.

Observiert werden beide Waisen vom Himmel. Auf einer schwebenden Stadt residiert der allmächtige Geheimdienst, der Staat im Staate. Was aber verbindet die beiden Waisenkinder, und wer nur trachtet ihnen nach ihrem Leben und jagt sie unbarmherzig? Die Antwort liegt in ihren Genen...

Bereits zum zweiten Mal bietet uns der Verlag, im Boom der momentan so angesagten Steampunk-Bücher, vorliegenden Roman an. In Kürze soll gar eine Fortsetzung folgen.

Was sich zu Beginn wie eine zunächst geglückte Hommage an Dickens anmutet, das nimmt bald ganz eigene Züge an. Was aber ist das nun für ein umfangreicher Roman, wo kann man den Text unterordnen? Steampunk, dazu Agententhriller, Fantasy, ein wenig Cyberpunk – wenn auch dampfbetrieben –, dazu intelligente Roboter, Magie und Verschwörungen – das Buch brodelt förmlich über vor Ideen und unerwarteten Wendungen. Und genau das ist letztlich auch die Crux. So faszinierend sich die Häufung an Einfällen auch präsentiert, so schnell verliert der Leser das, was wichtig ist – die Personen und ihre Schicksale –, aus den Augen. Die Handlung selbst bleibt zu lange diffus, die Charaktere unglaubwürdig und lebensfremd.
Natürlich wuchert der Autor neben seinen zeppelinähnlichen Fluggeräten, der über der Metropole schwebenden Stadt, den dampfbetriebenen Robotern und dem faszinierend anderem Empire mit dem Mitleid, das seine Leser mit den beiden Waisen unwillkürlich überkommt. Doch damit ist es einfach nicht getan, Statt seine Figuren mit Leben zu erfüllen, führt er ständig weitere Gestalten ein, baut sein Ensemble permanent aus, ohne dass wir hier genügend Hintergrundinformationen bekommen würde, um ihre jeweilige Rolle wirklich bewerten zu können. Dazu kommt, dass es bei der Handlung selbst ein wenig arg drunter und drüber geht. Ein wirklicher verbindender roter Faden fehlt zunächst, zu lange bleibt offen, um was es wirklich geht, was hinter den Abenteuer steckt.

Wenn der Autor sich, was seine Ideen anbelangt, ein wenig gezügelt und sich dafür mehr seinen Protagonisten gewidmet hätte, dann hätte dies ein vorzüglicher Roman werden können. So aber erschlägt er uns mit faszinierenden Ideen und verliert dabei aber leider seinen Plot und die Figuren aus dem Auge.