Sunny Davis: Melissa - Devot erzogen (Buch)

Sunny Davis
Melissa - Devot erzogen
Blue Panther Books, 2022, Taschenbuch, 200 Seiten, 12,90 EUR

Rezension von Irene Salzmann

Unter dem Namen Sunny Davis schreibt eine Autorin, die von sich verrät, dass sie 1981 in Boston geboren wurde, mit ihrer großen Liebe, einem Deutschen, in dessen Heimatland auswanderte und eine Familie gründete. Sie erlernte nicht nur das Schreiben in den USA, sondern studierte in Deutschland Journalistik und Fotografie, sammelte berufliche Erfahrung im Verlagswesen und als Ghostwriter.

In ihre erotischen Erzählungen lässt sie gern persönliche Erlebnisse und Phantasien einfließen. Bei Blue Panther Books sind derzeit „Im Rausch der Nadel“ und das vorliegende „Melissa - Devot erzogen“ verfügbar.

 

Der Kneipenbesitzer Daniel und seine Frau, die Bankangestellte Sunny, führen eine offene Ehe. Allerdings hat sich jeder strikt an die Regel zu halten, dass alles, was sie außerhalb ihres Zuhauses treiben, draußen bleiben muss, um das Familienleben nicht zu gefährden.

Als Daniel mit der selbstbewussten Melissa, die kaum älter ist als seine beiden bald erwachsenen Kinder, eine Affäre beginnt, fällt es ihm immer schwerer, daheim die Gedanken an seine Gespielin aus dem Kopf zu verbannen und ihre Anrufe zu ignorieren.

Das bleibt Sunny nicht verborgen, die ihrem Mann entgegenkommt, indem sie die Regel aufweicht. Im Gegenzug zu seinem Bekenntnis gewährt sie ihm einen Einblick in ihre Welt, von der er nicht einmal eine Ahnung hatte.

Schließlich erfüllt Daniel den Wunsch beider Frauen, einander kennenzulernen, was bei dem Ehepaar zu der überraschenden Erkenntnis führt, dass Melissa alias Sophie für Madam keine Unbekannte ist. Es dauert nicht lange, und die junge Frau zieht in das Gästezimmer der Familie, sehr zur Verwunderung der Kinder, die bereits ihre eigenen Wege gehen (Kumpels, Pferde) und daher die Ménage à trois nicht stören.

Das scheinbare Glück wird jedoch überschattet von Melissas Vergangenheit, an die sie sich bloß bruchstückhaft erinnern kann und in der etwas vorgefallen sein muss, was ursächlich für ihre sexuellen Neigungen und das mitunter fast selbstzerstörerische Handeln ist.

Dadurch, dass sie von Daniel die Aufgabe bekommt, in einem Tagebuch alles festzuhalten, was ihr - nicht nur an erotischen Wünschen - durch den Kopf geht, und sie mit ihrer „Ersatzfamilie“ das mittlerweile verwaiste Kinderheim aufsucht, in dem sie einige Jahre verbracht hat, beginnt sie zwar, ihre Erlebnisse aufzuarbeiten, doch dann verschwindet sie genauso plötzlich aus dem Leben von Daniel und Sunny, wie sie in dieses eingedrungen ist.


Die Handlung des Romans kreist um den gemeinsamen Lebensabschnitt der drei Hauptpersonen. Die auf den ersten Blick hin traditionelle Rollenverteilung - Daniel riskiert seine funktionierende Ehe aufgrund einer Bekanntschaft, die ihm mehr als die üblichen Affären bedeutet; Melissa drängt sich, Halt suchend, in die langjährige Beziehung zweier Menschen, welche die Bedürfnisse der jungen Frau besser verstehen als sie selbst; Sunny wirkt unterkühlt, distanziert und unberechenbar - entwickelt sich sehr schnell in eine Richtung, die man nicht hat kommen sehen.

Daniel verliert genauso bald die aus der Verführung geborene Position eines Mannes zwischen zwei reizvollen Frauen, der für Veränderungen im familiären Alltag sorgt, wie Melissa die ihre als treibende Kraft hinter Daniel, da letztendlich Sunny zum über den Dingen stehenden Muttertier von allen mutiert und durch ihre Impulse die anderen lenkt, dabei wahlweise als Madam oder Sunny jedem gibt, was er gerade braucht.

Dieser Rollenwandel und dass sich Autorin Sunny Davis mit der Roman-Sunny (sogar gleiche Familien-Konstellationen) identifiziert, verdeutlichen auch die Erzählperspektiven und wie das Handeln der Akteure im Verlauf der Geschichte neu gewichtet wird. Lediglich Daniel und Melissa treten als Ich-Erzähler auf, während Sunny einerseits den Roman immer mehr - nicht nur als, sondern zudem wie eine Madam - dominiert, jedoch all ihr Tun nur aus der Sicht der anderen beschrieben wird, wodurch sie geheimnisvoll, schwer durchschaubar und eher wie ein allwissender Erzähler (Lenker) im Hintergrund erscheint, obschon sie selbst nicht erzählt und sogar geringere Anteile an den Dialogen hat.

Wie die Autorin Sunny einsetzt, hat viel Aussagekraft. Es findet eine Verschiebung statt: Fort von Daniel, der eigentlich bloß wegen der neuen Aufgaben, die er Melissa stellt, als Nebenfigur im Spiel bleibt. Dann zu Melissa, deren Motivation durch ihre Vergangenheit erklärt wird und die als Intermezzo die Bindung des Paares intensiviert. Letztendlich und subtil richtet sich der Fokus auf Sunny als stärksten Charakter mit Durchblick und Weitsicht.

Die dramatische Geschichte liefert den Rahmen für die erotischen Szenen, in denen es teils um zärtlichen Trost, teils um Vergessen, Büßen, Verständnis und Lust durch BDSM und Strafe geht.

Bedeutungslos für das Geschehen bleiben die heranwachsenden Kinder (als „Kinder“ werden sie von den Eltern bezeichnet), die über das Getue um den Gast vernachlässigt werden. Ihre wenigen Statisten¬-Auftritte wirken wie nachträglich hineingeschrieben, vor allem wenn sie wie Grundschul-Kiddies verständnislos und stumm am Esstisch mit großen Augen starren, sofern man sie mal nicht zu Pferden und Kumpels abgeschoben hat - und die vom Flirten der Beteiligten, dem flotten Dreier genau vor ihrer Nase, Madams Koffer und so weiter echt nichts mitbekommen? Allzu diskret verhalten sich die Erwachsenen wahrlich nicht. Da hätte man die Jugendlichen und die unglaubwürdigen Pflichtszenen besser ganz weggelassen.

Trotz der Kritikpunkte ragt „Melissa - Devot erzogen“ aus der Masse vergleichbarer Romane heraus, da Sunny Davis unterhaltsam zu schreiben weiß und es eine richtige Handlung mit Überraschungen sowie sich weiterentwickelnden Charakteren gibt.