Akram El-Bahay: Ein Weg aus Tinte und Magie - Die Buchreisenden 1 (Buch)

Akram El-Bahay
Ein Weg aus Tinte und Magie
Die Buchreisenden 1
Lübbe, 2025, Paperback, 384 Seiten, 18,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Wäre es nicht toll, wenn man leibhaftig in sein Lieblingsbuch eintauchen könnte? Quasi vor Ort miterleben, wie die Handlung ihren Lauf nimmt? Natürlich dürfte man beileibe nie einschreiten oder etwas verändern - das versteht sich ja von selbst. Aber allein die Tatsache, dass man Long John Silver, Harry Potter oder Huck Finn bei ihren Abenteuern begleiten könnte - das hat doch was, oder?

Nun, ein kleiner Buchladen in einem Gässchen in London bietet genau dies seiner zahlungsfähigen Kundschaft an. Seit Jahrzehnten lesen die dort lebenden Buchhändler ihre Kundschaft in das jeweilige Lieblingsbuch. Notwendig dafür ist die Erstauflage des Werkes und, dass selbiges von sehr vielen Menschen goutiert wurde. Das nötige Kleingeld braucht man selbstredend auch - umsonst ist der Tod, und der kostet bekanntermaßen das Leben.

Adam gehört zu denen, die im Libronautic leben und arbeiten. Zwar ist er noch jung an Jahren, doch konnte er schon ein paar Mal Kunden in Bücher lesen. Allerdings hatte er bislang immer einen Kollegen an seiner Seite - so auch das letzte Mal, als ein Kunde unbedingt in Polidoris „Der Vampyr“ wollte und sich dann nicht an die Regeln hielt. Die Hand eines echten Vampirs am Hals zu spüren, ist etwas, das niemand wirklich braucht. Komisch nur, dass sie den abenteuerlichen Kunden vor einer merkwürdigen Tür inmitten der bekannten Umgebung des Romans finden.

Kurze Zeit später begleitet Adam eine Kundin das erste Mal allein in ein Buch. Es geht zum Schatz der Nibelungen, Siegfried und dem Drachen - und wieder büxt die Auftraggeberin aus und wird an einer nicht in die Umgebung passenden Tür wiedergefunden.

Das ist nicht länger nur merkwürdig - das ist verstörend, besorgniserregend, gefährlich.

Als unser junger Libronaut dann nachts seine Kollegen überrascht, wie sie einen Zwerg aus der Saga in den Keller führen wollen, ahnt er, dass er in den letzten Jahren belogen und in die Irre geführt wurde. Was verbirgt sich hinter der besonderen Buchhandlung und ihren Bibliothekaren - und sind diese wirklich die Guten?

Er flieht aus der besonderen Buchhandlung, lernt einen der Gründer kennen und schließt sich der Tochter einer weiteren Gründerin an. Mit dieser und ihrer Entourage aus Elfen und Zwergen machen sie sich auf die Suche nach der seit Jahren verschollenen Gründerin. Dass sie dabei von einem dunklen Schatten verfolgt werden und dass sie der Sultan aus 1001 Nacht jagt, macht ihr Leben weder einfacher noch geruhsamer…


Akram El-Bahay gehört zu den ganz wenigen Autoren, die Lübbe - nachdem sie ihre Phantastik-Schiene eingestellt hatten - weiterhin veröffentlichten. So sind in den letzten Jahren einige Zweiteiler im Allgemeinen Programm erschienen, die unschwer der Urban Fantasy zuzuordnen sind. Allerdings erwarten uns bei El-Bahay weder laszive Vampire noch hormongetriebene Werwölfe; auch Enemies to Lovers, Bad Boys oder Slow Burn - allesamt momentan angesagt - suchen wir glücklicherweise vergebens.

Seine Schöpfungen bestechen mit einer eigenen Phantasie, mit Ideen und nicht zuletzt mit faszinierenden Charakteren.

All seinen Büchern merkt man seine Liebe zum Medium Buch an - sei es, dass Bibliotheken eine bedeutende Rolle spielen oder dass uns Bibliothekare und Buchhändler begegnen. Das erinnert in der Anlage an die phantastischen Romane eines Kai Meyer, geht aber immer ganz eigene, andere Wege.

So auch vorliegend: El-Bahay entführt uns zunächst nach London - von dort aus geht es dann in die Erzählungen vom Vampyr, in die Nibelungensage, zu Alice und schließlich in den Orient. Dabei entfaltet sich vor unseren Augen eine faszinierende Geschichte. Nicht nur das leibliche Eintauchen in Bücher - das gab es bei anderen Verfassern auch schon -, der Prozess des Vertrauensverlusts unseres Erzählers gegenüber allem, was ihm wichtig war, was unverrückbar und zuverlässig schien, wird sehr gut nachvollziehbar aufbereitet. Dabei darf die Spannung natürlich nicht zu kurz kommen - Einbrüche in Museen, Besuche bei Sultanen oder Begegnungen mit Fafnir, dem Drachen, halten hier Spannung und Faszination hoch.

Wie wir dies vom ersten Band eines Zweiteilers gewohnt sind, werden viele Fragen gestellt, wenige davon bislang beantwortet. Zwar wird deutlich, dass die unterschiedlichen Gruppen verschiedene Herangehensweisen und wohl auch Motivationen haben - Genaueres aber werden wir wohl erst im zweiten Teil erfahren.

Zu erwähnen bleibt mir noch, dass die Entwicklung, die unser Erzähler Adam nimmt, glaubwürdig ausgeführt wird. Zu Beginn ist er ein verschüchterter Junge, der nach Unterstützung und Halt sucht. Im Verlauf des Abenteuers löst er sich von den Libronauten - de facto seiner Familie -, trifft eigene Entscheidungen, mit deren Folgen er sich dann auseinandersetzen muss. Dabei stellt er fest, dass Verantwortung auch manches Mal schwer auf den Schultern liegt, dass er nicht immer alles richtig macht, aber an seinen Fehlern lernt.

So ist dies eine spannende, kurzweilige und einnehmende Lektüre eines Autors, der seine Stimme und seine Fans gefunden hat.