Michael Marrak: De Profundis (Buch)

Michael Marrak
De Profundis
Titelbild: Holger Much
Memoranda, 2023 Paperback, 376 Seiten, 26,90 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

„Nach Hunderttausenden von Jahren der Evolution sind das heute eure einzigen Bestrebungen: Schänden, Ausbeuten, Erniedrigen und Töten, um eure Altäre zu bauen, auf denen ihr die Schöpfung ficken könnt, während ihr hofft, dass euch der Mammon dabei aus dem Arsch herausquillt.“ (Seite 222)

Man nannte ihn einen kognitiven Rekonstrutor, kurz einen Korektor oder Rekon. Als Berater des Morddezernats konnte er manches Mal, allein durch die Berührung eines Triggers, geistig in die Zeit des Verbrechens zurückreisen und das Mysterium um den Fall ein wenig aufhellen.

Doch seitdem Alexander „Lex“ Crohn den Splitter einer Kugel im Kopf hat und zu einem neuen, mehr als mysteriösen Fall gerufen wurde, hat sich sein so schon nicht unbedingt langweiliges Leben dramatisch verändert. Es geht um einen eigentlich unmöglichen Mord mittels unbekannter blauer Schmetterlinge. Die Trigger und Ermittlungen führen Lex in die unschöne Vergangenheit der Grenzregion. Das Bergwerk direkt jenseits der Tschechischen Grenze, in dem nach dem Krieg Uran abgebaut wurde, beherbergte Kriegsflüchtlinge und unliebige Roma.

Damals, das weiß ein Tagebuch des Aufsehers des Lagers zu berichten, wurde ein Ritual durchgeführt, das ein Tor öffnete - ein Tor, durch das etwas die Erde betrat, das seit Äonen verbannt war…


Es gibt einen neuen Roman von Michael Marrak. Das ist per se schon einmal eine gute Nachricht, weiß man als Leser doch, dass mit der Lektüre ein Erlebnis der besonderen Art auf einen wartet. Der zweite, die Handlung nahtlos fortsetzende und abschließende Band ist noch einmal umfangreicher geworden, als der erste Teil („Lex Talionis“). Der Verlag hat bekanntgegeben, dass es in Kürze eine nur über die Webseite des Verlags erhältliche limitierte Hardcover-Ausgabe des Gesamtromans geben wird.

Dies vorausgeschickt zu vorliegendem Teilroman, der, wie bereits erwähnt, ohne jegliche Zäsur den Plot fortsetzt. Die meisten handlungsrelevanten Figuren sind uns bekannt, jetzt richtet sich das Augenmerk des Verfassers und des Lesers auf das Rätsel. Was hat Lex’ Empfindlichkeit für die triggerbedingten Reisen in die Vergangenheit gesteigert, was geschah damals im Bergwerk, wie hängt dies mit dem Mordopfer und dessen Familie zusammen? Fragen, die uns tief in die Mystik uralter Überlieferungen und Religionen führen.

Dabei liest sich das vorliegende Buch in seiner ersten Hälfte wie ein veritabler Pageturner. Mehr phantastischer Thriller als Weird Fiction, verfolgen wir die Suche nach der Auflösung der Rätsel, nach Erkenntnissen und Erklärungen, mit. Dabei hält Michael Marrak so Einiges an sorgfältig recherchierten Offenbarungen, die für mich zumindest alle neu waren, für uns bereit. Mehr will ich, der Spannung halber, hier nicht verraten.

Dann droht der Plot ein wenig zu zerfasern. Die übernatürlichen Erscheinungen und Heimsuchungen werden für meinen Geschmack fast ein wenig zu dominant; ich wurde angesichts der gigantischen Wesen beinahe schon an Altmeister Lovecraft erinnert. Glücklicherweise gelingt es dem Autor in der Folgezeit dann aber, seinen Handlungsbogen wieder einzufangen und ins Hier und Jetzt der Ermittlungen zu verlagern. Im Finale wartet dann die in sich schlüssige Auflösung der Rätsel auf uns.

Stilistisch, wie nicht anders zu erwarten, ein wunderbar unauffällig, gleichzeitig aber elegant verfasster Text, in dem der Autor jedes Wort bewusst setzt.

Mich persönlich hat der Ausflug aus den Phantasiewelten des Kanons in die um phantastische Einflüsse angereicherte Kriminalwelt bestens unterhalten. Der Text hat mich spannend an die Seiten gefesselt und verwöhnt uns mit einem klug konstruierten Plot sowie gebrochenen, heimgesuchten Figuren - ein eindrucksvolles, ein reifes, ein spannendes Werk.