Maddrax 606: Tod aus den Wassern, Kolja van Horn (Buch)

Maddrax 606
Tod aus den Wassern
Kolja van Horn
Titelbild: Néstor Taylor
Bastei, 2023, Romanheft, 68 Seiten, 2,40 EUR

Rezension von Matthias Hesse

„Wir müssen hier raus! Der Turm stürzt ein!“ Das ruft nicht nur der Titelheld Drax auf Seite 56, das sind auch gleich zwei Songtitel von Ton Steine Scherben. Wohl kaum ein Zufall. Und damit hat der Autor beim Rezensenten natürlich einen Stein im Brett. Nachdem ich das erste Drittel des Romans so gar nicht mochte, bin ich am Ende - natürlich nicht nur wegen Rio Reiser - etwas versöhnlicher gestimmt. Stein des Anstoßes ist eine sowohl überflüssige als auch ärgerliche Passage, die unterm Strich kostbaren Platz in dem auf 64 Seiten begrenzten Heft blockiert, weshalb Kolja van Horns Autorendebüt in der Serie zum Ende hin ziemlich kurzatmig wird. 

Das ist schade, denn van Horn legt einen stilsicher verfassten Roman vor, der mit einem ungewöhnlichen Monster der Woche und einer interessanten Wendung punkten kann. Warum also jene Reise-Episode, in der Matthew Drax, im Amphibienpanzer PROTO auf sich allein gestellt, ausgerechnet Drachen begegnet? Er ignoriert die deutlichen Warnhinweise auf einem stabilen Palisadenzaun mitten im Dschungel von Ecuador und überrollt diesen schlicht - damit gefährdet er nicht nur sich, sondern auch die gesamte Umgebung, sollten die flügellosen Riesenechsen ihr Reservat verlassen. Als sei eine Warnung, nur weil sie „primitiv” aussieht, nicht ernstzunehmen.

Zwar steht der sonst moralisch integre Strahlemann unter Zeitdruck, aber zumindest ein paar Skrupel wären der fahrlässigen Entscheidung angemessen und der Leserschaft zuzumuten gewesen. Doch damit nicht genug: Wie sich herausstellt, gelten die Tiere der lokalen Bevölkerung offenbar als heilig, Matt muss vor ihrem Zorn fliehen. Die Darstellung der Verfolger irritiert: Die Gesichter zu Recht zorniger Menschen werden als „Fratzen” beschrieben, die „wütend ihre Macheten schwangen”. Entschuldigung, liebes „Maddrax“-Team, aber das liest sich wie Kolportage-Literatur aus dunkelsten Kolonialzeiten und ist auch für solche Leser ärgerlich unzeitgemäß, die nicht bei jeder Gelegenheit die Wokeness-Keule schwingen. Zumal die Hypothese dieser Begegnung ja nicht unspannend ist. Als Einzelroman hätte diese Story eher den Raum gehabt, den eine differenzierte und damit auch interessante Erzählung braucht.

Doch wo Schatten ist, da ist oftmals auch Licht. Neben dem schon erwähnten routinierten und sicheren Stil des Autors, sind auch Haupthandlung und Atmosphäre einen Blick wert. Van Horn, bürgerlich Thorsten Wilkens, ist als Autor für die Western-Serie „Lassiter“ sehr präsent, und seine Orts- und Landschaftsbeschreibungen profitieren davon. Die (real existierende) Stadt Loja, eine nahe gelegene Hacienda und der Regenwald sind mit sparsamen, aber gut gesetzten Worten so anschaulich, dass man die Luftfeuchtigkeit im Haar, die Sonne auf der Haut und den Staub der Wege im Mund zu spüren glaubt. Und als Matt schließlich in die verwaiste Stadt einfährt, sitzt er zwar im Panzer - das Lesegefühl suggeriert eher einen Pferderücken. Loja ist noch bis vor wenigen Jahren eine florierende Gemeinde gewesen. Doch eine fehlgelaufene Forschung zur Optimierung der landwirtschaftlichen Erträge hat ein Monster geschaffen, das äußerst bizarr ist. Ohne zuviel zu verraten: Beim Lesen und Spekulieren stellte sich nicht selten der Vergleich zu Schätzings „Der Schwarm“ her, so faszinierend und rätselhaft ist die Erscheinung namens Agua Mala. Doch der beherzte Versuch der Wissenschaftlerin Donna Quixota (die Namensähnlichkeit zu dem legendären Ritter von der traurigen Gestalt ist wohl Absicht), ihre retrologischen Forschungen zur Rettung der Region einzusetzen, hat tragische Folgen. Hier wird die Geschichte bitter und sehr bewegend. Gerne hätte man mehr erfahren, die Aufzeichnungen des toten Forschers Estaban nicht nur angeteasert bekommen, sondern auch gelesen - doch dazu war aus den genannten Gründen kein Platz mehr. Dennoch ein Roman, der neugierig auf den Autor macht.

Mit Blick auf die Gesamthandlung kommt die Frage auf, warum es trotz der Abschottung vom Rest der Welt, seit der Komet einschlug, so viele Parallelen gibt. So zum Beispiel die gleiche Götterwelt wie im bronzezeitlichen Europa, oder keine größeren Verständigungsschwierigkeiten. Warum hat sich hier nicht eine völlig unabhängige Kultur entwickelt? Mal sehen, was noch kommt.