Stefan T. Pinternagel: Fragmente (Buch)

Stefan T. Pinternagel
Fragmente
Titelbild: Mark Freier
Atlantis, 2003, Paperback, 200 Seiten, 12,90 EUR

Rezension von Irene Salzmann

„Fragmente“ von Stefan T. Pinternagel (1965-2009) ist keine leichte Lektüre.

Der Autor schildert aus der Sicht eines Serienkillers, wie dieser als Tourist ein Paar, das ebenfalls Urlaub macht, in sein Ferienhaus lockt, überwältigt, vergewaltigt, foltert, verstümmelt, tötet und Teile von ihnen isst.

Wenn Rezensenten schreiben, dass der Leserschaft ein Blick in die finstersten Abgründe einer Seele gewährt wird - hier trifft dieser gern verwendete Satz wahrlich zu: Der „Holiday-Killer“ entmenschlicht seine Opfer, indem er von ihnen als „Dinger“ und „Viecher“ redet, denen er jegliches Recht auf Leben abspricht, die er zu seinem persönlichen und sexuellen Vergnügen quält, über deren Todeszeitpunkt er wie ein Gott entscheidet und deren Leichen er später aufwändig entsorgt, um keine Spuren zu hinterlassen, die ihn überführen könnten.

Dass man damit allein trotz aller unappetitlichen, verstörenden Details schwerlich rund 200 eng beschriebene Seiten füllen kann, liegt auf der Hand, und hier kommt der Titel, „Fragmente“, ins Spiel, denn die Handlung wird nicht konsequent von Anfang bis Ende abgespult, sondern immer wieder unterbrochen durch Kurz-Biografien von überführten ‚Kollegen‘ und Rückblenden, in denen der Killer seine zerrüttete Kindheit, seine Begeisterung für Messer, seine ersten Opfer, die Lust und Befriedigung, die er bei den Taten empfindet, beschreibt.


Dass es Stefan T. Pinternagel nicht nur und auch nicht hauptsächlich darum geht, den Leser zu schockieren, verdeutlichen der Epilog, der auf fünf Seiten unzählige Serien-Mörder und die Zahl ihrer bekannten Opfer nennt, sowie Quellenangaben und der Brief eines Killers an die Hinterbliebenen. Vielmehr hat der Autor eine Dokumentation im ‚unterhaltsamen‘ Roman-Format geschaffen.

Er greift das Unwesen der Serienkiller auf, wobei er weder eine unglückliche Kindheit oder psychische Störung als Entschuldigung für ihre Taten gelten lässt noch auf andere Weise zu erklären versucht, wie jemand überhaupt zu solchen Verbrechen fähig sein kann. Obschon sein Protagonist in den Dialog mit dem Leser tritt und ihm seine Geschichte erzählt, ist der „Holiday-Killer“ nur einer von vielen. Es mag Parallelen zu anderen geben, den Werdegang, die Motivation und die Ausführung der Morde betreffend, aber letztendlich ist jeder ein Einzelfall, der oft nur per Zufall überführt und verurteilt werden konnte.

Nun, das Lesen von „Fragmente“ ist gewiss kein Vergnügen und schauriger als so mancher Splatter-Roman, schon aufgrund des Realitätsbezugs und dem Wissen, dass man Monster gar nicht erst erfinden muss, weil sie mitten unter uns sind.