Cixin Liu: Trisolaris - Die Trilogie (Buch)

Cixin Liu
Trisolaris - Die Trilogie
(San Ti (2006) / Heian Senlin (2008) /Sishen Yongsheng (2010))
Übersetzung: Karin Betz & Martina Hasse
Heyne, 2022, Hardcover, 1740 Seiten, 40,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Es ist die Zeit der Kulturrevolution. In China wird eine ganze Generation von Wissenschaftlern in Umerziehungslager gesteckt, das Proletariat erhebt sich über seine Unterdrücker. Wer verdächtig ist, der wird vor Volkstribunale gestellt und abgeurteilt.

So ergeht es 1967 auch Ye Wenjies Vater, der als Dozent für Physik an der örtlichen Universität lehrt. Hilflos muss sie mitansehen, wie ihr Vater von Altersgenossinnen mit deren Gürtelschnallen zu Tode geprügelt wird. Sie selbst kommt in ein mongolisches Umerziehungslager aus dem sie später zwangsrekrutiert wird. Die nächsten Jahrzehnte verbringt sie im Auftrag der Partei in einer streng abgeschotteten astronomischen Forschungsstationen tief in der Tundra.

Ihre Aufgabe ist denkbar einfach und gleichzeitig kompliziert: Sie soll Verbindung zu Außerirdischen herstellen. Als der Erstkontakt gelingt, erweisen sich die Aliens als nicht sonderlich entgegenkommend. Die Antwort auf ihre Signale besteht aus einer Warnung, dass sie keinen weiteren Kontakt suchen soll, ansonsten würde eine Invasion in Gang gesetzt.

Ye Wenjie antwortet trotzdem und bittet um eine Invasion, da sie selbst von der Menschheit und ihrem Umgang untereinander und mit dem Planeten zutiefst enttäuscht ist. Gesagt, getan die außerirdische Zivilisation entsendet eine Invasionsflotte, die allerdings aufgrund der großen Entfernung erst in gut 400 Jahren die Erde erreichen wird.

In der Jetztzeit begegnen wir dem Wissenschaftler Wang Miao, dessen Forschungen auf dem Gebiet der Nano-Technologie bahnbrechend sind.

Seit Kurzem setzen immer mehr arrivierte Forscher ihrem Leben selbst ein Ende. Als der leidenschaftliche Hobbyfotograf auf seinen Schwarzweiß-Bildern einen Countdown entdeckt, muss er schmerzhaft erfahren, was hinter den Suiziden steckt. Sofern er selbst sein eigenes Forschungsprojekt nicht stoppt und zum Scheitern bringt, so die Drohung, wird ihm und seiner Familie Schlimmes widerfahren.

Die Gesetze der Physik scheinen plötzlich außer Kraft zu sein, selbst die drei Teilchenbeschleuniger in der Schweiz, den USA und China bringen bei identischer Versuchsanordnung unterschiedliche Ergebnisse.

Über die gealterten Ye Wenjie, deren hochbegabte Tochter sich umgebracht hat, kommt Wang Miao unter Mithilfe des kettenrauchenden Polizisten Da Shi einer Verschwörung auf die Spur, bei der das Virtual Reality Game um die drei Sonnen eine wichtige Rolle zu spielen scheint…


Im zweiten Teil weiß die Menschheit, dass ihr 400 Jahre bleiben, bis die Expeditionsschiffe der Aliens, die ihre unter drei Sonnen befindliche Welt komplett verlassen haben, die Erde erreichen. Von den Aliens, die als Telepathen das Konzept der Lüge nicht kennen, wurde der Menschheit klar kommuniziert, dass dieser bei Ankunft eine Genozid droht.

Die Menschheit sucht vier weise Menschen, Wandschauer genannt, an denen es ist, einen Plan zu ersinnen, die Invasion abzuwehren. Ihnen stehen alle Ressourcen des Planeten zur Verfügung, um die drohende Vernichtung der gesamten Menschheit doch noch abzuwehren.

Ausgerechnet den Unscheinbarsten der Vier, den chinesischen Astronom und Soziologen Luo Ji scheinen die Aliens am meisten zu fürchten. Kann dieser einen Plan zum Überleben ersinnen, oder lässt er es sich dank der ihm zur Verfügung gestellten Mitteln nur gut gehen? Als Luo Ji sich einfrieren und zweihundert Jahre in der Zukunft wieder zum Leben erwecken lässt, hat er einen - riskanten - Plan.


Der ebenso riskante, wie wackelige Frieden zwischen den Menschen und den Trisolariern zeigt wie fruchtbar eine solche Kooperation sein kann. Die Rassen befruchten sich intellektuell gegenseitig.

Luo Ji, der Retter der Menschheit, ist alt geworden und soll abgelöst werden. So einige aber fürchten, dass der auserkorene Nachfolger, der Chinese Cheng Xin, die Abschreckung, die allein den wackeligen Frieden hält, nicht aufrecht halten kann. Als die Katastrophe eintritt, könnte dies für beide Rassen das endgültige Aus bedeuten…

 

Heyne legt uns die komplette Trilogie in einem großen, dicken und sehr schweren Wälzer zu Weihnachten zusammengefasst vor. Ein Buch, das sich, so die Macher, hoffentlich unter vielen Weihnachtsbäumen wiederfinden sollte. Weit über 1700 Seiten Text, Lesebändchen für 40,00 EUR, da kann man wahrlich nicht meckern. Dünnes Papier - sonst wäre der Band unhandlich geworden - Lesebändchen und jede Menge Anmerkungen, die der Verlag den Romanen beigegeben hat, erhöhen die Lesefreude. Und auch inhaltlich wartet so Einiges auf uns. Als erster chinesischer Roman überhaupt wurde der erste Teil mit dem Hugo Award, dem Galaxy Award sowie der Kurd Laßwitz Preis ausgezeichnet.

Hard Science, so nannte man früher entsprechende Romane, in denen nicht wild im All umhergeflogen und geballert wird, was der Lauf der Waffe hergibt. Stattdessen geht es um die interessante Frage, wie sich die Menschheit in dem Bewusstsein, dass in 400 Jahren eine fremde Rasse auf der Suche nach einer neuen Heimat die Erde ansteuern wird, verhalten wird.

Dass es vom Wesen der Menschen enttäuschte Unterstützer der Invasion gibt, die der Überzeugung sind, dass die Spezies Mensch ihre Chance vertan und als Relikt auf den Friedhof der Evolution gehört, ist ebenso nachvollziehbar wie deren Gegner, die auf eine wie auch immer geartete Kooperation hoffen. Auch der Versuch der Regierungen, gemeinsam eine Abwehrstrategie zu finden wird überzeugend in den Plot eingearbeitet.

Im Grunde genommen geht es dem Autor aber weniger um eine Alien-Invasion sondern darum, den Zustand seiner Gesellschaft in China, aber auch der Welt, zu porträtieren. Dabei verfällt er in den beiden Folgeromanen allerdings zunehmend in eine gewisse Lobhudelei der chinesischen „Rasse“, die als Einzige dafür prädestiniert sei, die Menschheit zu retten.

Mit wachem Auge auch für Details ermöglicht er uns aber auch - besonders im ersten Roman -, einen Blick tief hinein in die chinesische Seele.

Die Kulturrevolution hat ihre Kinder gefressen, hat dafür Sorge getragen, dass eine ganze Generation an Wissenschaftlern ausgelöscht wurde. Nur mühsam erholte sich das Reich der Mitte von diesem Aderlass, hat die Gewaltherrschaft unverheilte Wunden geschlagen.

In diese Nabelschau hat der Autor dann seine Figuren platziert. Intellektuelle Extremisten gesellen sich zu Forschern und Polizisten die allesamt durch ihre jeweils ganz andere, eigene Verbindung zur Kulturrevolution geprägt sind. Später nimmt er dann den Hochmut, der der menschlichen Rasse zu Eigen ist, gekonnt ins Visier.

Mit hineingepackt werden immer auch philosophische Fragen um unsere Kultur, die die Ausrottung der Ressourcen, die Jagd nach Macht und Reichtum und die Zerstörung der Umwelt auf ihre Fahnen gemalt zu haben scheint.

Und es geht natürlich um Wissenschaft. Wir erfahren viel - aber nicht zu viel - über wissenschaftliche Forschung, um Erkenntnisse und Denkweisen. Hier wandelt der Autor ein wenig auf den Spuren eines Arthur C. Clarke. Doch anders als bei Clarke beschränkt sich Liu nicht auf die Extrapolation. Ihn interessieren die gesellschaftlichen Entwicklungen, wie diese seine Figuren berühren, sich in deren Handlungen widerspiegeln und diese erst motivieren.

Neben der überaus spannenden Jagd nach Erkenntnissen, dem Drang die Rätsel aufzulösen, besticht die Trilogie durch wunderbar beschriebene Charaktere. Die Gestalten bleiben in sich glaubwürdig, ihre Handlungen nachvollziehbar und ihre Motivation interessant.

Auch die Übersetzung liest sich angenehm, stilistisch ansprechend, so dass sich die Lektüre angenehm gestaltet.