Cassandra Clare: Clockwerk Angel - Die Chroniken der Schattenjäger 1 (Buch)

Cassandra Clare
Clockwerk Angel
Die Chroniken der Schattenjäger 1
(The Infernal Devices, Book One: Clockwork Angel, 2010)
Übersetzung: Franka Fritz und Heinrich Koop
Titelbild: Cliff Nielsen
Goldmann, 2022, Paperback, 548 Seiten, 12,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Wir schreiben das Jahr 1878, als die junge Tessa nach dem Tod ihrer Tante, die sie und ihren Bruder aufzog, von New York kommend in England anlegt, und von Bord des Dampfers geht. Verarmt und ohne weitere Verwandtschaft ist sie froh, dass ihr Bruder Nathaniel ihr eine Passage nach London gebucht hat, doch statt des blauen Himmels erwartet sie ein nebeliger Regentag und auch Nathaniel ist am Kai nicht in Sicht. Stattdessen wird sie von zwei älteren Schwestern in Empfang genommen, die sie vorgeblich im Auftrag ihres Bruders bei sich unterbringen. Doch auf Mitgefühl und Herzensgüte hofft Tessa dort vergebens.

Die Dunklen Schwestern, wie man die Damen in gewissen Kreisen nennt, machen sich im Auftrag eines mysteriösen Meisters daran, die besonderen Fähigkeiten Tessas, von denen sie selbst bis dato nichts ahnte, zu schulen.

Tessa kann sich, wenn man ihr nur einen Gestand eines anderen Wesens in die Hand gibt, äußerlich in dieses verwandeln und dessen Erinnerungen in sich aufnehmen. Zwar bereitet ihr die Verwandlung große Schmerzen, will sie auch nicht immer wieder in fremde Menschen, Vampir- und Dämonenhaut schlüpfen, doch die Drohung, dass ihr Bruder es sonst büßen muss sorgt dafür, dass sie sich, zunächst zumindest, den Schwestern unterwirft.

Erst als Dämonenjäger das Haus der Schwestern angreifen und Tessa aus deren Krallen befreien, scheint sich alles zum Besseren zu wenden. Im Institut der Schattenjäger findet sie Aufnahme. Hier lernt sie nicht nur die zwei jungen Schattenjäger Will und Jem kennen, sondern erfährt auch, dass sie selbst als Hexe, als ein Abkömmling eines Dämonen und eines Menschen, ihre ungeliebte Gabe dem bislang unbekannten Elternteil verdankt. Während sich die Schattenjäger aufmachen, die den Pakt brechenden Vampire von London zu jagen und zu vernichten, kommt Tessa zunächst ein wenig zur Ruhe.

Nur zu bald aber wird diese dringend benötigte Auszeit gestört. Um ihren Bruder aus der Hand der Vampire zu befreien, muss Tessa sich in einen der Blutsauger verwandeln. Doch auch nach der Rettung ihres Anverwandten reißt die Hektik nicht ab. Der Meister will auf die Dienste seiner zukünftige Braut nicht verzichten und startet eine Invasion des Instituts bei dem er erstmals seine Maschinenmenschen als Kämpfer ins Feld schickt - mit tödlichem Ausgang für die Verteidiger.


Cassandra Clare hat mit ihrer Trilogie um die „Chroniken der Unterwelt“ die internationalen Bestsellerlisten im Sturm erobert. Goldmann präsentiert uns den Auftakt dieses Zyklus, der bei uns zunächst als Hardcover im Arena Verlag erschien, als Neuauflage im preisgünstigen Paperback.

Vor demselben Hintergrund angesiedelt wie ihre Erfolgsserien entführt uns die Autorin dabei in die Vergangenheit der Schattenjäger. Und auch der Big Apple steht vorliegend nicht als Handlungsort im Zentrum. Stattdessen darf das viktorianische London als Bühne für die Handlung punkten.

Zunächst fällt auf, dass sich die Autorin weidlich bei sich selbst bedient. Wie schon in ihrer Erfolgsserie, stehen junge Kämpfer wider die Schattenwesen im Zentrum der Handlung.

Als Erzählerin dient erneut ein Mädchen, das sich ihrer eigenen Kräfte aufgrund einer mysteriösen Abstammung nicht bewusst ist. Dazu gesellen sich mehrere Schattenkämpfer, die mit sich selbst im Unreinen sind, die ihre - dunklen - Geheimnisse wahren, dabei aber auch mutig dem Bösen in Gestalt der Schattenwesen entgegentreten. Erste emotionale Annäherungen werden thematisiert, wobei den Beiden, die zueinander noch nicht kommen dürfen, hier Geheimnisse und Verletzungen im Weg stehen.

Das erinnert sowohl vom Grundaufbau der Handlung als auch von den Gestalten an die Erfolgsserie - dennoch vermochte das Buch mich in seinen Bann zu ziehen. Bei allen Ähnlichkeiten bietet Clare ihren Lesern doch genügend neue Verwicklungen und Ideen, um diesen die Lektüre schmackhaft zu machen. Zu nennen sind hier in erster Linie die mechanischen Wesen, die sogenannten Klockwerk-Männer, die an entsprechende Vorbilder gängiger Steampunk-Titel erinnern, dabei in ihrer Verknüpfung mit der Magie aber wiederum ganz eigene Wege gehen.

Das Beziehungsgeflecht der Helden zueinander, die Art und Weise wie eine junge Dame sich zu dieser Zeit zu verhalten hat wird deutlich porträtiert, gleichzeitig aber auch inhaltlich in Frage gestellt. Die zarte Pflanze der Gleichberechtigung sprießt, wenn auch zögerlich, bei den Schattenjägern, gleichzeitig bekommt man durch Außenstehende einen guten Eindruck vermittelt, was sich für eine junge Dame damals schickte beziehungsweise sich eben verbat.

Die überraschende Wende zum Schluss ist so nicht vorhersehbar, kommt daher für den Rezipienten unerwartet und bringt weiteres Tempo und Drama in den Plot. Weniger gelungen dann aber die Info-Dumps die diese Entwicklung erklären und aufzeigen soll. Hier wirkt der Text statisch, ohne innere Spannung oder Esprit.

Natürlich bleibt am Ende Vieles offen, Geheimnisse ungelöst und Bösewichter auf der Flucht; immerhin soll der Leser ja die Fortsetzung mit Spannung erwarten.

Insgesamt gesehen legt Clare einen routiniert verfassten Text vor, der die bekannte Geschichte in die Vergangenheit transferiert, dort ein glaubwürdiges Bild der damaligen - gehobenen - Gesellschaft porträtiert, dabei aber noch Vieles offen lässt. Allerdings kommt der Roman, bislang zumindest, noch nicht an die Titel der „Chroniken der Unterwelt“ heran, setzt so Manches an Wissen über die Schattenwesen voraus, so dass die vorherige Lektüre der bisher erschienenen Romane angeraten scheint.