Jenny Jägerfeld & Mats Strandberg: Monster auf der Couch - Der rätselhafte Fall der verschwundenen Psychologin (Buch)
- Details
- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 19. März 2022 08:46

Jenny Jägerfeld & Mats Strandberg
Monster auf der Couch - Der rätselhafte Fall der verschwundenen Psychologin
(Monster i terapi, 2020)
Übersetzung: Leena Flegler
Titelbild: Elin Santröm
Penhaligon, 2022, Hardcover, 456 Seiten, 20,00 EUR
Rezension von Gunther Barnewald
Eine wahrlich pfiffige Idee, welche die beiden schwedischen Autoren Mats Strandberg und Jenny Jägersberg hier hatten: Berühmte literarische „Monster“ (sprich Figuren aus prominenten klassischen Gruselromanen) auf die Couch zu legen und so zu tun, als wären sie wahre Menschen, die auf irgendeine Art und Weise in unsere Welt und Zeit gelangt seien und nun die psychoanalytische Praxis einer jungen Therapeutin aufsuchen würden, um sich dort mehrere Sitzungen lang therapieren zu lassen.
Leider hakt dieses Konzept an einigen Stellen sehr und macht das Buch leider dadurch nicht wirklich lesbarer oder unterhaltsamer.
So wäre schon die erste Frage, warum diese Personen, die alle den vergangenen Jahrhunderten entstammen (genauer gesagt handelt es sich hierbei um Dr. Jekyll und seine dunkle psychische Gegenseite Mr. Hyde, die Vampirin Carmilla und ihre Geliebte Laura, um Dr. Frankenstein, das von ihm erschaffene Wesen und Dr. Frankensteins Ehefrau in spe Elizabeth Lavenza und schließlich noch um Dorian Gray), sich ausgerechnet einer Frau anvertrauen sollten, denn leider galten Frauen in deren Zeiten als emotional instabil, triebgesteuert und hysterisch (stammt doch sogar das Wort Hysterie ab vom medizinischen Fachbegriff für die Gebärmutter!).
Dies deuten die Autoren zwar auch kurz anhand der Einwände von Dr. Jekyll an, gehen dann aber schnell und einfach über dieses Thema hinweg.
Überhaupt werden viele aus heutiger Sicht verquere Sichtweisen der Vergangenheit einfach ausgespart, damit die Therapeutin möglichst viel und recht „widerstandsfrei“ (Vorsicht: naseweises Wortspiel!) mit ihren Patienten argumentieren kann. Dabei scheint es der Therapeutin oft nur darum zu gehen, ihre Patienten vom eigenen Standpunkt zu überzeugen, ohne jedoch Wert darauf zu legen, den Klienten deutlich zu machen, warum und was ihnen eine Verhaltensänderung und eine andere Denkensweise bringen könnte.
Selten versetzt sie sich wirklich in die Rollen und Lebensphilosophien ihrer Patienten hinein, meist folgt sie nur ihren eigenen Plänen (so erklärt sie Dr. Jekyll beispielsweise, dass er sich „Freunden“ anvertrauen solle, ohne dies allerdings zu begründen oder positive, belohnende Effekte dieses Verhaltens glaubhaft zu machen).
Auch das therapeutische Repertoire der Psychologin scheint eher eingeschränkt und sehr vorhersehbar zu sein. Dass auch ein Dr. Jekyll gleich Fan vom alten Siggi Freud ist, erscheint nur selbstverständlich und macht das Ganze noch einfacher, obwohl dessen Schriften den guten Doktor sicherlich eher verschreckt haben dürften, würde er sie kennen, ist er doch selbst extrem verklemmt und reaktionär. Gerade ein Dr. Jekyll würde jedwede freie „Triebbefriedigung oder –entfaltung“ (vor allem sexueller Natur, und sei es nur im stillen Kämmerlein) sicherlich fundamental von vornherein ablehnen.
Hier machen es sich die Autoren eindeutig zu leicht! Robert Louis Stevenson, Joseph Sheridan LeFanu, Mary Wollstonecraft Shelley und Oscar Wilde rotieren wahrscheinlich vor Entsetzen in ihren Gräbern!
Größte Enttäuschung ist aber die hier geschilderte Therapie, die leider einen recht armseligen, kargen und einfallslosen Eindruck macht, vielleicht auch weil die Klienten allzu schnell nachgeben und einschwenken. Häufigste Intervention der Therapeutin scheint schon die Verbalisierung von emotionalen Zuständen zu sein („Was haben Sie dabei gefühlt?“), als würde dies alleine große therapeutische Fortschritte erbringen. Weitere Interventionstechniken bleiben eher Mangelware. Schon nach meist drei Sitzungen hat die Therapeutin alles im Griff und den Patienten geholfen.
In der realen Therapie finden in den ersten Sitzungen die sogenannte probatorische oder „Kennenlernsitzung“ statt, in der eine ausführliche Diagnostik und auch eine Erfassung der Anamnese des Patienten, mit Biographie, Erlebnissen, Herkunft und so weiter, durchgeführt werden sollte, aus der sich dann erst eine fachliche und sinnvolle Therapie-Planung ergibt. Doch die hier geschilderte Analytikerin legt auch in der ersten Sitzung gleich voll los, ohne die Hintergründe zu kennen, denn interessanterweise geben Strandberg und Jägerfeld vor, dass die Therapeutin kaum etwas von der „literarischen“ Geschichte ihrer Klienten weiß.
Daraus ergeben sich dann auch peinliche Missverständnisse (etwa bei Dr. Frankenstein, welcher der sexuellen Untreue verdächtigt wird, obwohl er die ganze Zeit nur von seiner Verfehlung sprechen will, ein menschenähnliches Lebewesen erschaffen zu haben).
Hervorzuheben ist allerdings die stilistische Stärke des Buchs, denn trotz der enttäuschenden und unausgegorenen Handlung, kann man den Roman tatsächlich bis zum Schluss gut lesen.
Ein weiterer Schwachpunkt ist nicht nur das von den Autoren gewählte Geschlecht der Therapeutin (der sich ausgerechnet Männer aus viktorianischer oder sogar vorviktorianischer Zeit anvertrauen sollen), sondern auch deren homosexuelle Ausrichtung, denn gerade psychoanalytische Ausbildungsinstitute verlangen von ihren Auszubildenden, eine jahrelange eigene sogenannte „Lehranalyse“ auf der Couch durchführen zu lassen, bevor sie selbst praktizieren dürfen. Dabei gelten homosexuelle Menschen als „unreif“ und vor allem schwule Männer als in der „analen Phase“ stecken geblieben, weshalb diese Kandidaten auch früher relegiert worden sind, man ihnen die Ausbildung verweigerte in psychoanalytischen Instituten. Lange galt Homosexualität hier als Krankheit, die man „heilen“ sollte (seit letztem Jahr sind diese schädlichen Ansätze zum Glück in Deutschland gesetzlich verboten!).
Dass dann ausgerechnet eine lesbische Schwangere hier die Therapeutin gibt, ist dann doch extrem weit hergeholt.
Aber, so deuten die beiden Schöpfer es dann gegen Ende an, vielleicht ist das Ganze schlussendlich aber auch nur das Ergebnis einer Schwangerschaftspsychose der Therapeutin, was der an sich tollen phantastischen Idee leider wieder jedwede Erhabenheit nimmt, das Ganze nur noch armseliger werden lässt. Sehr schade um die innovative Grundidee und die liebevolle Ausstattung mit Bildern, Zeichnungen und ganz vielen verschiedenen Schriftarten!
Auch die gute fachliche Erklärung der sechs Stufen der Moralentwicklung nach L. Kohlberg (ein wirklich fundierter und ausgezeichneter wissenschaftlicher Ansatz, der viel zu selten gewürdigt und leider in Schulen gar nicht gelehrt wird, obwohl man Schüler damit sehr gut beeinflussen könnte, sich selbst moralisch weiter zu entwickeln), eine Entwicklungsstufenskala, die auch knallharten naturwissenschaftlichen Überprüfungen stand hält (im Gegensatz zur Psychoanalyse), rettet die Geschichte leider nicht mehr!
Trotz aller Schwächen ein zwar lesbares Buch, aber leider weder ein sehr gutes, noch ein gutes, noch ein mäßiges Buch, sondern eher eine herbe Enttäuschung!