Christian Gailus: Roch (Hörspiel)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Mittwoch, 16. März 2022 21:27

Christian Gailus
Roch
Regie: Christiane Marx, Marc Schülert
Musik: Michael Donner, Marc Schülert
Titelbild: Wolfram Damerius
Sprecher: Christiane Marx, Robert Frank, Marc Schülert u.a.
Ohrenkneifer, 2018, 3 CDs, ca. 170 Minuten, ca. 16,00 EUR
Rezension von Elmar Huber
„Und dann begannen die Morde: Kommunalpolitiker. Und immer aus dem linken Umfeld. Sie wurden entführt, blieben einige Tag lang verschwunden und wurden dann tot aufgefunden. Mit zertrümmertem Schädel. Der Täter hatte ihre Köpfe brutal geknackt und ihre linke Gehirnhälfte zerstört.“
Nach einer Wahlkampfveranstaltung in Görlitz wird der rechtspopulistische NKD-Politiker Hannes Schwenger entführt und ermordet. Bereits der dritte Mordfall an Politikern aus dem rechten Lager innerhalb weniger Wochen. Die Soko ‚Hirn‘, unter der Leitung von Judith Frigge steht unter massivem Druck. Der Staatsanwalt vertritt die Meinung, dass vier Wochen Ermittlungsarbeit ohne greifbares Ergebnis aussehen könnte, als würde der Fall (aufgrund der politischen Ausrichtung der Opfer) nicht mit gebotener Priorität verfolgt.
Durch einen Zufall wird der Ex-Polizist, VIP-Fahrer und Personenschützer Martin Bohm in den Fall hineingezogen, der zehn Jahre zuvor, bei den Ermittlungen in einer ganz ähnlichen Mordserie, seine Familie verloren hat.
Ich war dem Täter damals wirklich dicht auf den Fersen. Ich habe Tag und Nacht nichts anderes getan als seine Spuren zu verfolgen. Ich konnte förmlich spüren, wie ich ihm immer näherkam. […] Es war keine logische Schlussfolgerung, sondern eher ein Gefühl. Ich hatte damals natürlich alle für den Fall relevanten Informationen aufgesogen, total verinnerlicht, und vielleicht hatte ich ja intuitiv etwas entdeckt, was rein rational nicht zu erkennen gewesen war.“
Mit „Roch“ hat Christian Gailus einen aktuellen Thriller verfasst, der mit seinen authentischen Figuren überzeugt und sich nicht scheut, Standards zu bedienen. Das Ganze in einem (regional-) politischen Umfeld, das aktueller nicht sein könnte.
Eine brutale Mordserie hält die Gegend um Görlitz und die ins Leben gerufene Soko in Atem. Und als wäre der öffentliche Druck nicht hoch genug, knirscht es auch zwischen der toughen Ermittlungsleiterin Judith Frigge und ihrem Partner, dem empfindlich Schönling Heiko Sass.
Parallel dazu wird der Hörer Zeuge, wie Ex-Polizist Martin Bohm privat immer weiter abstürzt. In der von ihm gegründeten Chauffeur- und Security-Firma ‚Bohn-Drive‘ ist er nur noch ein Angestellter, seine Ehe steht vor dem Aus. Bohns Jagdtrieb erwacht wieder, als er durch einen Zufall zu dem aktuellen Fall hinzugezogen wird und gemeinsam mit Frigge dem Täter immer näherkommt. Wie sehr der Fall und der Täter mit seiner eigenen Vergangenheit in Verbindung stehen, kann er noch nicht ahnen.
Der Thriller erlaubt sich keine Schwächen, das Wechselspiel aus Recherchen, Rückschlägen und Ermittlungen an der Front ist, wie auch insgesamt das Tempo, mustergültig dosiert, das ‚gezeigte‘ Privatleben der Figuren verleiht der Handlung weiteres Gewicht. Zusätzliche Würze bietet natürlich das politische Spannungsfeld des Falls, das auch zu einigen Dialogen und Statements Gelegenheit gibt und beiden politischen Lagern Raum bietet, ohne den Zeigefinger zu heben. Das Finale und die gut vorbereitete Auflösung der Geschichte bilden den dramatischen Höhepunkt der Ereignisse, an dem Bohn auf unvorhersehbare Weise brutal von seiner Vergangenheit eingeholt wird.
Auch wenn das Grundgerüst und viele Elemente der Story nicht gerade neu sind, ist man bald so sehr ‚drin“‘ dass das gar nicht mehr stört. Man muss Christian Gailus neidlos zugestehen, dass er in Sachen schneller und eingängiger Personenzeichnung und -entwicklung ein sehr glückliches Händchen hat. Die Charaktere wirken echt, mit Ecken und Kanten, und werden auch in Situationen gedrängt, in denen sie (faule) Kompromisse eingehen müssen.
Erheblichen Anteil an dieser Authentizität haben natürlich auch die souveränen und phantastisch ausgewählten Sprecherinnen und Sprecher, die die Figuren glaubhaft zum Leben erwecken. Kaum zu glauben, dass Julia Thurnau, die die Vizepräsidentin der NKD spricht, keine Hörspielerfahrung hatte. Wie sie zwischen dem sanft-nachdrücklichen Überzeugungston der Politikerin und dem lasziven Timbre gegenüber Bohn wechselt, ist einfach phänomenal. Eine kleine, aber feine Rolle hat auch der großartige Uve Teschner, der zuerst jovial von der Rednerbühne sprechen muss und kurz darauf, im Angesicht des Killers, den ängstlichen Wendehals gibt.
Im Bonusmaterial, das nur auf der CD-Version enthalten ist, gibt „Ohrenkneifer“ Marc Schülert noch einige Einblicke in verschiedene Aspekte des Hörspiels, wie die Musik als Stilmittel (zum Beispiel der bewusst als Kontrast eingesetzten orientalischen Musik, mit der auf die anfängliche rechte Kundgebung hingeleitet wurde) und einige technische Feinheiten, die die Arbeit und den Aufwand verdeutlichen, den eine solche Produktion bedeutet.
Mein Tipp: Danach „Roch“ einfach nochmal hören und auf die vielen perfekten Kleinigkeiten achten, die hier angesprochen werden und die die Besonderheit der Ohrenkneifer-Produktionen deutlich machen.
Zum Abschluss gibt es noch ein lockeres Interview mit dem Autor Christian Gailus, der mit Marc Schülert augenzwinkernd über die Idee und Entstehung des Hörspiels plaudert.
„Roch“ ist ein dichtes und perfekt produziertes Thriller-Hörspiel, das mit seinen lebensechten Charakteren überzeugt und mit Tempo und überraschenden Wendungen bei der Stange hält.