Laura Purcell: Das Korsett (Buch)

Laura Purcell
Das Korsett
(The Corset, 2018)
Übersetzung: Eva Brunner
Festa, 2021, Hardcover, 522 Seiten, 22,99 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Sie könnten unterschiedlicher kaum sein. Die Rede ist von der relativ behütet und in einer angesehenen Familie aufgewachsenen Dorothea Trelove und der Näherin und verurteilten Mörderin Ruth Butterham, die im viktorianischen London aufeinandertreffen.

Beide junge Frauen haben einschneidende Erlebnisse hinter sich. Die 25jährige Dorothea verlor ihre zum katholischen Glauben konvertierte und der Phrenologie anhängenden Mutter früh, ihr protestantischer Vater beabsichtigt wieder neu zu ehelichen, will vorher aber seine Tochter in einer angemessenen Heirat unter die Haube bringen. Dass diese sich längst einen einfachen Polizisten angelacht hat, dass sie auf den Spuren ihrer Mutter der Wissenschaft um die Form des Schädels und was diese über den Menschen und seine Charakterzüge aussagt nacheifert, ahnt er nicht.

Wirtschaftlich dank ihres Erbes auf eigenen Beinen stehend, engagiert sich Dorothea in der Begleitung verurteilter Straftäterinnen im Oakgate-Gefängnis. Gerade Mörderinnen haben es ihr angetan - und so lauscht sie gebannt den Berichten der Näherin Ruth aus ihrer Kindheit, von der Not, den Anfeindungen und der Wut, die letztlich dazu führten, dass diese in ihre Stickereien für die hochwohlgeborenen Kundinnen etwas Böses, etwas Tödliches hat einfließen lassen…


Der Festa Verlag, eigentlich für seine Extrem-Horror-Bände bekannt, etabliert sich langsam aber sicher als bibliophiles Verlagshaus. Laura Purcells erste deutschsprachige Veröffentlichung wies den Weg, vorliegender Roman führt dieses Konzept folgerichtig weiter.

Man nehme einen sowohl stilistisch wie inhaltlich durchaus ansprechenden Gruselroman aus der viktorianischen Ära, gestalte die Hardcover-Ausgabe bibliophil und biete das Ergebnis dem Leser an. Herausgekommen ist dieses Mal wieder ein Buch, das das Herz eines jeden Buchliebhabers höher schlagen lässt. Hardcover-Einband, wunderbares Vorsatzpapier mit Pfauenmuster, Lesebändchen, Rundum-Goldschnitt (der zweite Teil der Auflage erscheint mit Farbschnitt statt des Goldes - ein gewisser Run auf den ersten Teil der Auflage ist daher gewollt und einkalkuliert) - und die Rückmeldungen überschlagen sich.

Dazu ist zu erwähnen, dass Festa einen Großteil seiner Bücher über die eigene Webseite vertreibt, demgemäß den großen Buchhandelsketten keinen großen Rabatt einräumen muss. Der so erwirtschaftete Überschuss lässt sich naturgemäß gut in werthaltige Buchausgaben investieren - Verleger wie Käufer haben beide etwas davon. Welch andere Verlage kümmern sich noch derart liebevoll um ihre Novitäten, bieten entsprechende Ausstattungsmerkmale an?

Inhaltlich wartet erneut eine Geschichte auf uns, die den Leser innerlich berührt. Zwei junge Frauen begegnen uns, zwei Schicksale, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Über die Berichte erhalten wir ein sehr intensives, fundiertes Bild über das Leben zur damaligen Zeit. Hier, die gesicherte Existenz, der monetäre Reichtum, der aber auch dazu führt, dass das Leben, das Schicksal vorgezeichnet zu sein scheint, dort die Armut, die Ausgrenzungen, die Heimsuchungen, die zu Verzweiflung, Trotz und letztlich zu Hass führen. Es sind diese Schicksale, die uns anrühren, die uns die Figuren erlebbar machen. Dazu kommt die in dem Roman unterschwellig, die ganze Zeit über mitschwingende Frage: Ist es möglich, Rache mittels Nadel und Faden zu üben, Menschen mit Stickereien zu ermorden?

So ist dies auch mehr ein phantastischer Thriller in historischem Gewand als eine wirkliche Gruselgeschichte. Allerdings kann einem ob der beschrieben Zustände und der Taten der Näherin schon immer wieder ein kalter Schauer den Rücken hinunterrinnen.

„Das Korsett“ ist erneut ein Buch, das aus der Produktion, die uns die Verlage offerieren, herausragt. Handwerklich wunderbar gestaltet, inhaltlich ergreifend und überzeugend, wartet ein wahres Erlebnis auf den Leser.