Alison Goodman: Drachentochter – Eona 1 (Buch)

Alison Goodman
Drachentochter
Eona 1
Aus dem Australischen von Andreas Heckmann
Titelgestaltung von HildenDesign unter Verwendung einer Illustration von Iacopo Bruno
cbj, 2010, Hardcover, 510 Seiten, 18,95 EUR, ISBN 978-3-570-13565-5

Von Britta van den Boom

Für den verkrüppelten Jungen Eon und seinen ebenso verarmten wie verzweifelten Meister ist es die letzte Chance: Nur wenn der Rattendrache, eine der zwölf mächtigen Energiewesen, die durch ihre Vertreter, die Drachenaugen, das Land schützen und bewahren, ihn als Lehrling erwählt, können sie einem Leben in Elend entkommen. Obschon körperlich schwächer als die anderen Anwärter ist es Eons Gabe, alle Drachen und die Energien der Menschen sehen zu können, die ihnen – allen Widerständen zum Trotz – Hoffnung gibt.

Doch als der Rattendrache sich für einen anderen Jungen entscheidet, erscheint unverhofft der seit einem halben Jahrtausend verschollene Spiegeldrache, erwählt Eon und will mit ihm verschmelzen. Ein unvermuteter Glücksfall, ein Wunder, das die stark angeschlagene Position des todkranken Kaisers und seiner Familie in einer Welt der politischen Intrigen stärken soll und Eon als Hoffnungsträger und Symbol der Macht in den Mittelpunkt gefährlicher Ränkespiele stellt. Was kaum jemand weiß ist, dass die Verschmelzung mit dem Spiegeldrachen nie statt gefunden hat, da Eon während der Zeremonie vor allen seinen wahren Namen hätte preisgeben müssen: Eona. Denn der junge Lord, in den nun so viele ihr ganzes Vertrauen setzen, ist in Wirklichkeit ein Mädchen, eingesponnen in ein Netzwerk aus Lügen, denn in der Welt der Drachenaugen gibt es keinen Platz für Frauen, und für ihren Frevel würde sie der sofortige Tod erwarten. Für Eona beginnt eine gefährliche Zeit: Wie weit kann sie ihren Verbündeten im Kaiserpalast trauen? Was plant das über alle Maßen ehrgeizige Drachenauge Lord Ido? Und wird es ihr rechtzeitig gelingen, mit dem Spiegeldrachen eins zu werden, ehe es zu einer Revolution kommt, die das Kaiserreich zerreißen kann?

Der Grundgedanke von „Drachentochter“, dass ein Mädchen sich als Junge ausgibt und so Zugang zu einer Welt bekommt, in der Frauen streng verboten sind, ist keineswegs ungewöhnlich, doch man muss das Rad auch nicht stets neu erfinden, um eine gute Geschichte zu erzählen. Das Buch von Alison Goodman spielt in einem fiktiven China oder Japan, mit genug Elementen aus Fantasy und Mythologie, um eine ungewöhnliche neue Welt zu schaffen, aber auch zahlreichen historisch anmutenden Details, die eine dichte, überzeugende Atmosphäre erschaffen. Dabei legt die Autorin viel Wert auf das Beschreiben von Einzelheiten, von Kleidung und Stimmung, von Architektur und Zeremonien – eine Genauigkeit, die sich auch in der Charakterisierung ihrer Hauptfiguren widerspiegelt. Das Erzähltempo wird dadurch, bis auf das kämpferische Finale des Buches, eher langsam, und der Leser hat ausreichend Zeit, sich mit Eona zusammen in die verwirrende Welt des Kaiserpalastes einzuleben.

Wie Perlen reihen sich die Ereignisse aneinander, es gibt keine Perspektivwechsel oder Brüche, kaum waghalsige Aktionen und abenteuerliche Wandlungen; der größte Teil der Geschichte spielt sich am Kaiserhof selber ab und wird durch Gespräche und die Gedanken der Protagonistin voran getrieben – was keineswegs ein Nachteil ist. Durch diese große Nähe zu der weiblichen Hauptfigur und ihren Gefühlen wird „Eona“ jedoch vermutlich eher junge Leserinnen ansprechen.

Es ist dem sehr angenehmen Schreibstil Goodmans und ihrer Liebe zu Einzelheiten zu verdanken, dass der Roman fast durchgehend spannend bleibt, auch wenn große ‚Überraschungen‘, wie zum Beispiel anfangs die Erwählung Eonas durch den Spiegeldrachen, vorhersehbar erscheinen – dieser Effekt tritt auch später im Buch an einigen entscheidenden Stellen auf.

Das schön gemachte Hardcover von cbj wirkt im ersten Moment etwas großzügig gesetzt, sonst wäre man vermutlich nicht auf die beeindruckenden 509 Seiten gekommen. Ein wenig schade ist dabei, dass trotz dieser Länge die Geschichte nicht in sich abgeschlossen ist, sondern mittendrin abbricht und man demnach auf den nächsten Band warten muss, um zu erfahren, wie die Geschicke Eonas und ihrer Verbündeten sich weiter entwickeln.

Insgesamt ist „Drachentochter“ eine schön geschriebene, dichte, gefühlvolle Erzählung und somit durchweg empfehlenswert für ein winterliches Lesevergnügen.