Gwendolyn Kiste: Die Rostjungfern (Buch)

Gwendolyn Kiste
Die Rostjungfern
(The Rost Maidens, 2018)
Übersetzung: Claudia Rapp
Titelbild: Arndt Drechsler-Zakrzewski
Festa, Hardcover, 398 Seiten, 22,99 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Wir schreiben das Jahr 1980. Es ist, erneut, kein gutes Jahr für die Kleinstadt Cleveland in Ohio. Die Arbeiter in der Fabrik stehen einmal mehr vor einem Arbeitskampf, Streik liegt in der Luft. Nach jedem bisherigen Ausstand wurden Arbeiter in der Fabrik gekündigt, beschlagnahmten die Banken daraufhin die Häuser der Geschassten, nur um sie leerstehend verfallen zu lassen. Die betroffenen Familien zogen weiter - immer auf der Suche nach einer Zukunft, ein klein wenig Glück.

Phoebe wächst in dieser trostlosen Umgebung auf. Ihr einziger Wunsch, ihr Traum ist es, nach dem bevorstehenden Highschool-Abschluss zusammen mit ihrer Cousine dieser tristen Welt zu entfliehen, sich eine glücklichere Zukunft zu suchen und aufzubauen.

Am Tag, an dem die jungen Menschen ihren Abschluss ausgehändigt bekommen, beginnt es. Eine Mitschülerin offenbart stark nässende Wunden an ihren Armen. Auch andere Mitschüler trifft es - allesamt junge Frauen, alle hinterlassen Fußspuren aus schwarzem Wasser.

Ihre Körper verwandeln sich - das Fleisch wird zu Glas und ihre Knochen zu Metall. Metall, das beginnt zu rosten. Die Presse bekommt Wind von den Vorgängen, schnell werden das Städtchen und dessen Bewohner zu einem Medien-Ereignis. Auch die Agenten der Staatsmacht mit den drei Buchstaben fallen ein - doch weiß niemand, was Grund der Erkrankung ist, wie man den Betroffenen helfen könnte. Sie alle zieht es zu einer Fabrik, doch sie brauchen, um ihre Bestimmung zu erreichen, Hilfe.

Jahre später kommt Phoebe zurück in die weitgehend dem Verfall preisgegebene Stadt. Ein junges Mädchen könnte von der damals spurlos verschwundenen Erkrankung infiziert sein - auf den Spuren der eigenen, traumatischen Vergangenheit versucht Phoebe nicht nur ihren Frieden mit ihren Eltern zu machen, sondern auch ein neues Aufflackern der Rostjungfern-Epidemie zu verhindern.


Gewndolyn Kiste hat ein beeindruckendes Werk vorgelegt. Es ist über weite Teile eine sehr gelungene Darstellung des Niedergangs des Amerikanischen Traums, die die Rezession mit all ihren Auswirkungen auf die Betroffenen gnadenlos ehrlich und in der Darstellung brutal deutlich zeigt. Die Perspektivlosigkeit, aber auch die Hilflosigkeit der betroffenen Familien wird geradezu dokumentarisch dargestellt; die Träume für eine glückliche Zukunft scheinen ausgeträumt, bevor sie überhaupt begonnen haben.

Mit Phoebe haben wir eine faszinierende Erzählerin, über die wir die Geschehnisse quasi aus der Innensicht sehr direkt mitbekommen.

Zunächst ist sie eine junge Frau, die rebelliert. Sie ahnt, nein sie weiß, dass sie, wenn sie dem engen Korsett ihres Elternhauses nicht entflieht, in kürzester Zeit so enden wird, wie ihre Familie: perspektivlos, verarmt, verzweifelt. So versucht sie, zunächst recht erfolgreich, später gehandikapt, ihren eigenen Weg zu gehen. Sie war und ist immer mehr ein „Daddy’s Girl“; mit ihrer Mutter versteht sie sich nicht so gut, ihre Altersgenossen hat sie entwicklungstechnisch weit hinter sich gelassen. Die ungewollte Schwangerschaft einer Klassenkameradin, verantwortet ausgerechnet durch ihren damaligen Freund, zeigt ihr überdeutlich, dass das Leben sie nicht gern hat. Das ist fast schon eine Persiflage, berührt den Leser dann aber doch, weil die Verfasserin ihm die innere Verletztheit Phoebes sehr unauffällig aber ergreifend nahe bringt.

Durch ihre erschreckten Augen betrachten wir die Heimsuchung der jungen Frauen, sind hilflos ob der Entwicklungen. Immer tiefer wird Phoebe in die Geschehnisse verwickelt, muss hilflos mitansehen, wie ihre beste Freundin, ihr gefühlter Zwilling, erkrankt, wie der Niedergang der Ortschaft und ihrer Bewohner seine Widerspiegelung in den innerlich rostenden Jugendlichen findet.

Das ist eine packende Coming-of-Age-Geschichte, die die Stimmung aus Bruce Springsteens „The River“ aufgreift, uns von einer für alle Betroffenen schwierigen, traumatischen Zeit berichtet und uns mit so noch nicht gelesenen, phantastischen Elementen verwöhnt.