Nina Blazon: Ascheherz (Buch)

Nina Balzon
Ascheherz
Titelillustration von shutterstock
cbt, 2011, Hardcover, 542 Seiten, 18,99 EUR, ISBN 978-3-570-16065-7

Von Carsten Kuhr

Vor mehr als einem Jahr wurde ein junges Mädchen aus den Trümmern eines Hauses geborgen. Summer, wie sie sich nennt, weiß nicht wo sie herkommt, wer sie ist. Dass sie von Albträumen heimgesucht wird, in denen ein behandschuhter Mann sie verfolgt, ist der einzige Hinweis auf ihr früheres Leben.

Haltlos, innerlich wie tot, lässt sie sich treiben. Als Schauspielerin mimt sie in „Maymara“ das Sommermädchen. Wie so oft aber möchten ihre Kollegen und Freunde mehr von ihr wissen, bedrängen sie, sich ihnen zu öffnen, ihnen zu vertrauen. Gerade, als sie das erste Mal ein wenig Freude in ihr Leben einziehen lassen will aber scheint ihr mysteriöser Verfolger sie eingeholt zu haben. Der Blutmann aus ihren Träumen stellt ihr nach, sie bricht, wieder einmal, alle Brücken hinter sich ab und flieht aus ihrem Leben.Auf der Flucht lernt sie einen jungen Mann, Anzej, kennen. Als entflohener Sklave scheint dessen Schicksal dem ihren zu ähneln. Zusammen schiffen sie sich zum Nordland ein, um dort, in einem grausamen Krieg, vielleicht vor ihren Häschern unterzutauchen.

Schon auf der Überfahrt kommen ihr Zweifel an der Zuverlässigkeit Anzejs. Erneut bricht sie alle Brücken hinter sich ab, flieht einmal mehr vor Nähe und Vertrauensbruch, nur um in den Weiten der Tundra auf ihre eigene Vergangenheit zu stoßen. Einst gehörte sie zu den Zorya, deren Kuss den Sterbenden den Tod und die Erlösung bringt. Doch einem der Sterbenden gelang es, sie ihre Aufgabe und ihr Dasein vergessen zu lassen. Durch ihn lernte sie nicht nur die Musik kennen und schätzen, sondern auch die menschliche Liebe. Nun aber verlangt ihre einstige Herrin, Lady Mars, von ihr die einst gescheiterte Aufgabe zu beenden. Auch wenn dies ihren eigenen Tot bedeutet. Wer aber war der Mann, der sie vor Generationen dazu verleitete, ihre Pflicht zu vergessen, und was nur geschah an dem Tag, als sie auf dem Richtblock ihrer Kräfte verlustig gingen? Nach und nach, zögerlich zunächst, hebt sich der Schleier des Vergessens und sie erkennt, dass sie nicht einem, sondern gleich zwei Menschen verfallen war. Beide gaben vor, sie zu lieben, und doch wollte der eine nur Macht und Unsterblichkeit – und der andere? Jetzt begegnet sie einem der Männer ohne Herz wieder – doch welcher der beiden ist er, kann sie ihm trauen...?

Nina Blazon hat als Autorin einen weiten Weg hinter sich gebracht. Seitdem sie bei Ueberreuter mit ihrem preisgekrönten Roman „Im Bann des Fluchträgers“ debütierte, hat sie sich als versierte Autorin historischer Stoffe aber auch phantastischer Geschichten einen Namen gemacht. Dabei hat sie tolkienesque Fantasy-Epen mittlerweile weit hinter sich gelassen. So verwundert es wenig, dass sie ihrem Leser vorliegend keine archaische Welt präsentiert, sondern eine Umgebung schildert, in der Dampflokomotiven Züge ziehen und motorisierte Schiffe die Meere überqueren. Allerdings muss der Leser nicht auf phantastische Gestalten verzichten. Tierläufer und Tandraj spielen ebenso wie die küssenden Todesbotinnen eine wichtige Rolle. Letztlich aber ist die Bühne der Handlung unmaßgebend, nimmt sie der Leser kaum wahr. Statt auf große Landschaftsgemälde konzentriert sich die Autorin ganz auf das, was ihr wichtig ist. Und das sind ihre Gestalten – allen voran Summer, wie sie sich zu Beginn des Buches nennt, und die Beschäftigung mit der Frage, inwieweit Veränderung, der Tod, nicht unabdingbar zum Leben gehört.

Starker Tobak, wird manch einer meinen, doch hat sie diese Überlegungen sehr geschickt und gelungen in eine ergreifende Liebesgeschichte und die Selbstfindung ihrer Protagonistin verpackt. Wer nun aber meint hier einfache, klar aufgegliederte Fronten vorzufinden, der sieht sich – glücklicherweise – getäuscht. Ist es nicht nachvollziehbar, dass ein jeder sucht, die eigene Sterblichkeit zu leugnen, jede Möglichkeit der Flucht vor dem großen Unbekannten in infinitum, so es möglich ist, hinauszuschieben? Und was wäre man nicht bereit dafür zu tun, um dem Schnipper, auch wenn er in Gestalt einer betörenden Frau daherkommt, ein sprichwörtliches Schnippchen zu schlagen? Ist das schlecht, ist das böse oder nur zu verständlich? Was macht den Menschen aus? Ist es nicht gerade seine Vergänglichkeit, die ihn zu dem macht, was er ist? Fragen die sich stellen, die die Motivation der Figuren gut nachvollziehbar gestalten. Hinzu kommt, dass Nina Blazon lange Zeit vieles offen lässt. Nach und nach lüftet sie den Schleier der Geheimnisse, einen um den anderen Jedes Mal ist der Leser gefordert, die Geschehnisse neu zu überdenken und zu bewerten.

Eine Bekannte hat einmal sehr richtig angemerkt, dass die Verfasserin dabei in der Tradition der alten Märchenerzähler steht. Hier bekommt der Rezipient nie einfache Schwarzweiß-Zeichnungen vorgesetzt, wird immer gefordert mit- und weiterzudenken und am Ball zu bleiben. So lesen sich die Blazon’schen Romane auch nicht einfach austauschbar, sondern bieten immer etwas Besonderes, auf dessen Auflösung man warten muss, die man herbeisehnt aber nie vorhersieht. Das sind Bücher, die sich an keine spezielle Leserschaft richten, All-Age-Titel, die jedem Leser anzusprechen vermögen.

Stilistisch sehr feinfühlig, fast schon poetisch, erwartet den Leser eine Geschichte voller Schuld aber auch Zuneigung, einer ungewöhnlich tiefen Charakterzeichnung und einer geheimnisvollen Handlung, die ihn bis zum Finale an die Seiten bannt.