Joan Weng: Das Fräulein von Berlin (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Montag, 08. Februar 2021 01:20

Joan Weng
Das Fräulein von Berlin
dp Verlag, 2020, eBook, 2,99 EUR
Rezension von Elmar Huber
„Wenn Bernhard und Fräulein Schienagels Dienstmädchen sich auf der Straße begegneten, senkte das Dienstmädchen immer sittsam den Blick, nur um ihn dann auf Bernhards Höhe erneut zu heben. „Guten Morgen, Herr Greiff.“ Da Bernhard ihren Namen nicht kannte und auch nicht wusste, wie er ihn herausfinden sollte, beließ er es stets bei einem knappen Nicken. Das war auch von daher sicherer, als dass man sich beim Nicken nicht verhaspeln konnte. Und Nicken war auch ganz offensichtlich nicht wahnsinnig. Nicken war also eine sehr gute Lösung.“
Berlin, Dezember 1926: Der traumatisierte Kriegsheimkehrer Bernhard „Bambi“ Greiff hat nach einem Aufenthalt in der Nervenheilanstalt endlich wieder eine gewisse Stabilität erlangt. Er arbeitet im Buchladen seiner Schwester Vicky und freut sich, auf seinen täglichen Spaziergängen mit Hund Brutus stets die hübsche Ruth, das Dienstmädchen der Schauspielerin Schienagel, zu sehen, auch wenn er noch nicht den Mut aufgebracht hat, sie anzusprechen.
Die Entscheidung wird Bernhard irgendwann abgenommen, der Kontakt ist hergestellt, und das „Milchkaffeemädchen“ (wegen ihrer Hautfarbe) verabredet sich mit ihm. Dann geschieht ein Einbruch bei Fräulein Schienagel, und Bernhard fällt der Mann ein, den er kürzlich vor dem Haus beobachtet hat und der kurz danach tot auf der Straße liegt. Die Polizei verhaftet für den Einbruch Bernhards Freund, den Leierkastenmann Düsenrein, in dessen Zimmer ein Teil von Fräulein Schienagels Schmuck gefunden wurde. Doch Bernhard ist überzeugt, dass sein Freund nicht der Täter ist. Da die Polizei mit einer Mordserie an Prostituierten ausgelastet ist, beginnt er selbst, Nachforschungen anzustellen.
„Der Hurenmörder und seine drei schönen Opfer stellten durchgängig die Schlagzeile, wobei die Redakteure die Gelegenheit erkannt hatten, endlich einmal die Gesetze der Schicklichkeit zu umgehen, und spärlich bekleidete Frauen auf die Titelseiten setzten. Bedachte man die lamentable Bildqualität, die das Fünf-Uhr-Abendblatt seinen Lesern sonst zumutete, war es durchaus überraschend, wie deutlich man unter dünnem Stoff durchschimmernde Brustwarzen hinbekam.“
In „Das Fräulein von Berlin“ trifft man auf einige Personen, die man aus anderen Berlin-Romanen von Joan Weng kennt, „Die Frauen vom Savignyplatz“, „Feine Leute“ und „Noble Gesellschaft“, sodass der Kurzroman auch von der Länge her, ca. 100 Seiten, eher als eine Ergänzung dieses Reigens gesehen werden kann. Vorkenntnis ist nicht unbedingt notwendig.
Autorin Joan Weng hat einen wunderbar lockeren und lebendigen Schreibstil, der den Leser mit Elan, liebenswerter Ironie und dank des etwas schnodderigen Berliner Humors schnell in die Geschichte hineinzieht.
Gleichzeitig gelingt es ihr, auch den Leser etwas von der Tragik der Figur Bambi Greiff spüren zu lassen. Unsicherheit und Angst prägen den vom Krieg traumatisierten Mann, der sich krampfhaft nervös bemüht, ‚normal‘ zu wirken, und plötzlich, angesichts der irrtümlichen Verhaftung seines Freundes, über sich hinauswachsen muss. Ein wenig, wie man es aus Geschichten mit autistischen Protagonisten kennt. „Er war wahnsinnig, das musste doch auch mal für etwas gut sein.“
Gemeinsam mit Ruth und einer gehörigen Portion Zufall schafft er es, die Wahrheit über den Schmuckdiebstahl und den geheimnisvollen Toten aufzudecken.
Auch wenn „Das Fräulein von Berlin“ eher eine Rand-Episode innerhalb von Joan Wengs „Berlin-Geschichten“ darstellt, macht die Story doch Lust, auch die zugehörigen Romane der Autorin zu entdecken.