Andreas Gößling: Der Ruf der Schlange (Buch)

Andreas Gößling
Der Ruf der Schlange
Titelillustration von Max Meinzold
Klett-Cotta, 2010, Hardcover, 528 Seiten, 22,95 EUR, ISBN 978-3-608-93875-3

Von Carsten Kuhr

Samu A. Rabov, seines Zeichens Königlicher Spezialermittler für magisch bedingte Kapitalverbrechen, geht in Phora, der Hauptstadt Dunibiens, seiner Tätigkeit nach. Immer dann, wenn die königlichen Zollermittler nicht mehr weiterkommen, wenn Zauber als Tatwaffe in Betracht kommt, wird der Agent der Mysto gerufen.

In den letzten Monaten hat er eine beunruhigende Zunahme der Aktivitäten der Schlangenkulte feststellen müssen. Nachdem der König das Gesetz, das mechanische Erfindungen verbietet, nach und nach gelockter hat, beherrschen Dampfkarossen das moderne Stadtbild, entsprechende Grammophone versorgen die Vergnügungssüchtigen wie auch die Tempelbesucher mit eingängigen Takten. Kann das gut gehen? Droht doch gemäß den religiösen Schriften eine zweite, dieses Mal alles verheerende Flut, wenn dem Technikverbot zuwider gehandelt wird? Als Hinweis für das bevorstehende Armageddon soll das Auftauchen der Schlangen dienen.

Als Samu zusammen mit seinem ihm neu zugewiesenen, zwielichtigen Gehilfen zu einem Mordfall gerufen wird, ahnt er noch nicht, dass er tief in die Intrigen der Königstadt verwickelt werden wird. Eine junge Frau wurde ermordet. Als Samu an den Tatort kommt, überkommt ihn eine Vision – er sieht, wie die Tote von einem lebendigen Seil oder einer Schlange angegriffen wird, die ihren Körper durch den Mund besetzt und diesen am Rücken wieder verlässt. Der Körper der Verblichenen verholzt seitdem zusehends – das Fleisch wandelt sich zu Holz, das Gesicht ist von beispiellosem Grauen gezeichnet. Was nur hat die Metamorphose veranlasst?

Die weiteren Ermittlungen werden vom Hauptermittler Ralla zum Zolltor, dem obersten Ordnungshüter der Stadt, torpediert. Vertuschen scheint das Gebot der Stunde, anscheinend will nur Samu den Vorgängen wirklich auf den Grund gehen. Den Opfern fehlt entweder das Rückgrat, während ein komisch weißer Wurm, der an eine Schlange erinnert, den Tatort verlässt, oder ihre Gliedmaßen werden bei lebendigem Leib abgenagt. Als immer mehr mysteriös ums Leben gekommene Tote auftauchen wird deutlich, dass Phora von einem uralten Übel heimgesucht wird – die Schlangen sind los, und sie kommen aus den Körpern der Menschen ...

Was ist das für ein Buch, das Andreas Gößling hier im Rahmen der Hobbit Presse vorlegt? Ganz bestimmt erwartet den Leser vorliegend einmal keine mehr oder minder gelungene Hommage an den Herrn der Ringe, sondern eine Mischung aus Kriminalelementen mit Steampunk-Einsprengseln in einer archaisch eigenständigen Welt. Mystisch geht es zu, ein wenig umständlich aber auch eigenständig und innovativ, was die Beschreibung seiner Welt – die sich weitestgehend auf die Metropole Phora beschränkt – die Religionen und die Magie anbelangt. Der Roman bietet sich seinem Leser nicht eben stromlinienförmig an. Man hat seine liebe Mühe, die Details und Aspekte, die Gößling, schildert in einen Kontext zu setzen, sich langsam aber sicher ein eigenes Bild der Welt zu machen. Hier wird nichts vorgebetet und vorgekaut, Vieles angedeutet und dann der Phantasie des Rezipienten überlassen. Man muss sich sein Bild der Stadt und ihrer Gesellschaft erarbeiten. Umso überzeugender aber wirkt dann das aus viele kleines Details zusammengesetzte Bild, das der Leser selbst dann mit seiner eigenen Phantasie noch anreichert und ausmalt.

Die Darstellung der Magie bleibt ein wenig rudimentär, dafür aber geht auch diese ganz eigene Wege mit der Balance des Magiebegabten zwischen ihrem – guten – Lichtich und dem – bösen, für die Magie verantwortlichen – Dunkeldu, das sie, wenn sie das Gleichgewicht nicht wahren, in den Abgrund reißen wird. Hier arbeitet der Autor viel mit archaischen Ängsten und Überlieferungen, spricht Instinkte und Urängste an. Im Verlauf der Lektüre lässt man sich auf einen sympathischen Protagonisten ein, einem manches Mal skurrilem Einzelgänger, der das Herz auf dem rechten Fleck hat, der aber auch nicht loslassen kann oder will, bis er dem Geheimnis auf die Spur kommt. Das relativ offene Ende, ohne das Genre-typische Happy-End, ohne die leicht verdauliche Auflösung der Rätsel, passt hier ins Bild.

Sicherlich ein Buch das schon von der Anlage her – einer archaischen Welt, die vor der Entscheidung steht, ob man die religiös verordnete Technikfeindlichkeit beibehält, oder auf der Entwicklung voranschreitet – anders ist als viele der üblichen Bücher des Genres, das sich dem Leser nicht immer ganz einfach erschließt, ihn zum Mitdenken und Ausfüllen der Lücken auffordert, das aber gerade, weil es der eigenen Kreativität und Phantasie Möglichkeiten der Entfaltung bietet, ja diese sogar anfordert, interessant und spannend bis zum Schluss bleibt.