Lucinda MacShannon: Der reiche Onkel aus Jakarta (Buch)

Lucinda MacShannon
Der reiche Onkel aus Jakarta
Blue Panther Books, 2020, Taschenbuch, 190 Seiten, 12,90 EUR, ISBN 978-3-96477-993-9 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Irene Salzmann

Nach „Die verbotene Ehefrau“ wartet Lucinda MacShannon in „Der reiche Onkel aus Jakarta“ erneut mit dem Thema Inzest auf.


Die Kinder von Jackson Merriwell, der sich nach dem Tod seiner Frau und glücklosen Geschäften ins Altenheim zurückgezogen hat, sind erwachsen und leben ihr eigenes Leben. Dominica, die Älteste, hat einen Bankier geheiratet, der eine politische Kariere anstrebt, die keinesfalls von Skandalen befleckt werden darf. Goodwin, von allen nur Merry genannt, pausiert gerade von seinem Sinologie-Studium, liefert Pizzas aus, befriedigt nebenbei die einsamen Kundinnen und überlegt, wie es für ihn weitergehen soll. Nesthäkchen Luna tritt in Bars als Go-Go-Tänzerin und Stripperin auf.

Unverhofft erhält Merry einen Brief von seinem Onkel Melville, dem schwarzen Schaf der Familie, der eine Mitschuld an deren Ruin tragen soll. Der junge Mann ist klug genug, sich selbst ein Bild machen zu wollen, und geht auf Lunas Rat hin auf das ungewöhnliche Angebot ein, das ihm unterbreitet wird: Merry soll nach Jakarta kommen und dort mehr über die Dinge erfahren, über die in der Familie geschwiegen wird. Für die Reise darf er sich Zeit nehmen, um die notwendigen Ausgaben und Hilfestellungen will sich Melville kümmern. Allerdings soll Merry eine Ehefrau mitbringen und, bei beiderseitigem Gefallen, die Tochter eines Geschäftspartners zur Zweitfrau nehmen sowie später die Unternehmungen des Onkels verantwortungsbewusst weiterführen.

Natürlich ist Merry neugierig, und Nein sagen kann er immer noch. Doch ein großes Problem ist, dass keine der ihm bekannten Frauen seinen Heiratsantrag, nicht mal zum Schein, annehmen will, erst recht nicht, wenn eine weitere Gemahlin hinzukommt. Welch Glück, dass er die gewitzte Luna an seiner Seite hat.


Das Buch wartet tatsächlich mit einer Handlung auf, die freilich regelmäßig mit erotischen Szenen garniert wird, und in deren Verlauf sich alle Protagonisten weiterentwickeln. Überdies werden ein leicht zu erratendes Familiengeheimnis aufgedeckt und alte Feindschaften begraben, da jeder schließlich bekommt, was er will.

Die Hauptfiguren sind ganz klar Merry und Luna, die schon immer ein besonderes Verhältnis zueinander hatten und - wie die Charaktere in „Die verbotene Ehefrau“ - Intimitäten austauschen, die über das hinausgehen, was unter Geschwistern üblich ist. Beide wissen um die Gefühle des anderen, halten sich aber immer noch zurück, damit es nicht zum Äußersten kommt. Doch dann ändert sich so Vieles, die Lage spitzt sich zu, und schließlich gibt es kein Halten mehr - ‚legitimiert’ dadurch, dass in manch anderen Ländern Inzest kein Tabu oder zumindest keine Straftat darstellt und sich die beiden mittlerweile nicht mehr in den USA aufhalten.

Bis es soweit ist, erlebt Merry jede Menge erotischer Abenteuer, ohne in eine der Frauen verliebt zu sein oder mehr als Kameradschaft zu empfinden. Luna ist immer präsent und löst als Einzige in ihm tiefe Emotionen aus, wenn sie für ihn in der Wäsche tanzt, die sie vor Publikum tragen will, und ihm beim Masturbieren zuschaut. Das Spiel wird langsam immer weitergetrieben, von Luna durchaus hintertrieben, denn sie weiß besser als ihr Bruder, wonach sie beide sich sehnen.

Dem Happy End stehen zunächst jedoch Dominica und ihr Gatte Floyd im Weg, deren Agitationen nicht wirklich etwas Wesentliches zur Handlung beitragen und auch nicht zu dem Stolperstein werden, den man vielleicht erwartet hätte.

Während Merry und Luna für süßen Blümchensex und Freundlichkeit gegenüber jedermann stehen, liefern Dominica und Floyd einige BDSM-Szenen, geben sich eiskalt und karrieresüchtig, doch letztendlich machen sie weder Melville noch dem trauten Paar einen Strich durch die Rechnung. Da wäre mehr möglich gewesen, aber die Autorin hat diese Chance verpasst beziehungsweise für das Happy End aufgegeben.

Aalglatt kommt somit das glückliche Ende daher, das Melville alias deus ex machina eingefädelt hat - doch wollte das Publikum etwas anderes?

Immerhin weiß Lucinda MacShannonen, kurzweilig zu unterhalten, ihre Protagonisten sind sympathisch und gehen nett miteinander um, man folgt einer Handlung, die zwar nicht gerade Tiefgang aufweist, aber doch für einen kontinuierlichen Verlauf sorgt, die erotischen Momente der Schwerpunkt - passend eingebaut. Der Stil ist mitreißend, die Schilderungen sind nicht allzu deftig, wodurch das Buch in der Summe ein echter Tipp für ein Publikum ist, das es nicht übermäßig deftig mag.

Hingegen dürfte das Thema Inzest sicher nicht jedermanns Ding sein, zumal hier die damit verbundenen Probleme verharmlost, ja, nicht einmal angesprochen werden. Dass Verbindungen zwischen nahen Familienangehörigen zu Gendefekten und Erbkrankheiten führen, ist bekannt, unter anderem durch die europäischen Adelshäuser, in denen häufig die Bluterkrankheit auftritt; in kleinen, abgelegenen Orten, in denen vom sogenannten ‚Dorfdepp‘ die Rede ist; und in Kulturen, die traditionsgemäß Verwandten-Ehen seit Generationen praktizieren. Darüber hinaus war und ist die Legalisierung von inzestuösen Beziehungen immer wieder ein beliebtes Wahlkampfthema).

Natürlich handelt es sich in dem Roman lediglich um Phantasien und nicht um einen Aufruf, diese in die Tat umzusetzen. Dennoch bleibt die Frage, ob positiv besetzte Fiktionen soweit - bis zur Straftat - gehen dürfen, doch dies zu erörtern, würde den Rahmen einer Rezension sprengen.