Philip Pullman: Ans andere Ende der Welt (Buch)

Philip Pullman
Ans andere Ende der Welt
(The Secret Commonwealth, 2019)
Übersetzung: Antoinette Gittinger
Titelbild: Bruno Gentile
Carlsen, 2020, Hardcover, 750 Seiten, 27,00 EUR, ISBN 978-3-551-58394-9 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Fast 10 Jahre sind vergangen seit Lyra, ihr Dæmon Pantalaimon und Will in die phantastischen Abenteuer rund um das Bernstein-Teleskop verwickelt wurden. Inzwischen ist aus Lyra eine Studentin geworden, die die Herzen der männlichen Kommilitonen der Nachbaruniversität reihenweise erobert. Aus dem Mädchen wurde eine junge Frau, eine Frau aber, der Unheil droht.

Es beginnt damit, dass Unbekannte versuchen ihre Existenz zu untergraben. Der neu bestellte Rektor der Universität eröffnet ihr, dass das Geld, von dem bislang ihre Kost und Logis bezahlt wurde erschöpft ist, die Wächter, die im Geheimen über ihr Wohl und Wehe wachen eröffnen ihr, dass Widersacher sie bedrängen.

Mehr noch, die Vertrauensbeziehung zu Pan, ihrem Dæmon, ist gestört. An der Lektüre von aufrührerischen Werken um die Notwendigkeit von Vertrauten entzündet sich der schon lange schwelende Konflikt. Daran ändert auch nichts, dass Pan eines Nachts, als er einmal wieder allein unterwegs ist, einen Mord beobachtet.

Ein Unbekannter, ein Forschungsreisender, wird gnadenlos umgebracht. In seinem Nachlass finden Lyra und Pan nicht nur Hinweise darauf, dass dieser sich willentlich von seinem Dæmon trennen konnte und dass eine Verschwörung rund um Rosenwasser die Welt in ihren Grundfesten erschüttern könnte, sondern auch, dass tief in der Wüste eine sagenumwobene Stadt existieren soll, die ausschließlich von Dæmonen bewohnt wird.

Auf getrennten Wegen machen sich unsere zwei früher untrennbaren Gefährten auf die Suche nach der Wahrheit, nach den Verschwörern und der Zukunft der Welt.


Die „Bernstein“-Trilogie übte einen seltenen Reiz auf die Leser aus. Hier hatte der Autor ein Werk vorgelegt, das sich zunächst an jugendliche Leser wendete, aufgrund der ihm innewohnenden Tiefe aber schnell auch die Herzen der erwachsenen Fans eroberte. Die Verfilmung des ersten Teils floppte leider an den Kinokassen, die BBC machte es letztes Jahr in ihrer Umsetzung für die TV Ausstrahlung besser.

Nach einigen Jahren legte der Autor 2017 die Vorgeschichte der Trilogie vor. Das Prequel konnte letztlich nicht ganz überzeugen, zu sehr vermisste man die geliebten Figuren und den besonderen Flair der Trilogie.

Nun, zwei Jahre später, kommt endlich die Fortsetzung der Abenteuer Lyras in die Buchhandlungen. Und Philip Pullman hat sich die Kritik seiner Fans zu Herzen genommen, legt ein Werk vor, das philosophische Gedanken thematisiert aber in erster Linie unterhält.

Es ist eine Abenteuer-Geschichte geworden, eine Erzählung um eine gefährliche Reise durch den Orient, den unsere Protagonistin unternimmt. Dass sie als allein reisende Frau in anderen Kulturkreisen Probleme zu bewältigen hat, dass ihr Elend und Not begegnen verleiht dem Text etwas Düsteres. Auch die Trennung von Pan macht sie, gut nachvollziehbar und überzeugend geschildert, traurig. Hier nutzt der Autor die Gelegenheit, uns seine Figur gereift und erwachsener zu präsentieren. Dazu gesellen sich tiefschürfende Gedanken um Trennung, um Verantwortung, um Vertrauen und Toleranz. In diesen Passagen nimmt der Autor sich ganz bewusst den Raum und Platz, fährt das Tempo zurück um den Leser zum Nachdenken und Mitdenken zu animieren.

Mit seinen eindrucksvollen Bildern schafft Pullman erneut eine faszinierende Kulisse, in die er seine spannende Handlung eingebettet hat. Die Charaktere werden folgerichtig fortentwickelt, es gibt neue wie alte Gefahren und Gegner, Erkenntnisse zu gewinnen und Abenteuer zu bestehen - ein Lese-Erlebnis.