Peter V. Brett: Das Flüstern der Nacht (Buch)

Peter V. Brett
Das Flüstern der Nacht
(The Desert Spear)
aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Ingrid Herrmann-Nytko
Titelillustration von Laureen Cannon
Heyne, 2010, Paperback mit Klappenbroschur, 1006 Seiten, 16,00 EUR, ISBN 978-3-453-52611-2

Carsten Kuhr

Willkommen in der etwas anderen Fantasy-Welt des Peter V. Brett. Hier treffen einmal nicht riesige, hochgerüstete Heerscharen aufeinander, stehen sich keine Zauberer in magischen Duellen gegenüber, hier herrschen, sobald die Sonne untergegangen ist, die Dämonen. Kaum verdunkelt sich das Gestirn, steigen sie aus der Erde auf und machen sich auf, die Menschen grausam zu quälen und zu martern. Seit Jahrhunderten verbreiten sie Schrecken und Tod, nur die aus alter, fast vergessener Zeit verbliebenen Runen vermögen die Menschen zu schützen, ja die Dämonen zu bezwingen.

Im ersten Teil des Zyklus lernten wir Arlen, den tätowierten Mann, kennen. Als Kind des Nordens hat er nicht nur als Kurier das Land bereist, sondern sein Leben auch der Bekämpfung der Dämonen gewidmet. Nie wieder sollen Menschen, wie seine Mutter, den Dämonen zum Opfer fallen, selbst wenn Arlen selbst dafür fast seine Menschlichkeit aufgeben muss. Tief im Süden, in den Weiten der Wüste, bei den Stämmen der Krassias, fand er in einer vergessenen Stadt längst vergessene Runen und mit dem Runenspeer eine legendäre Waffe. Nur der verheißene Erlöser, der Mann, der die Menschheit hinter seinem Banner eint und zum Sieg über die Dämonen führt, soll den Speer tragen, so zumindest weiß die Überlieferung zu berichten. Ausgerechnet sein Waffenbruder Jardir, der Anführer der Stämme, stahl ihm den Speer, und ließ ihn, als Opfer auf dem Weg zum verheißenen Erlöser, zum Sterben in der Wüste zurück.

Im zweiten Band der Trilogie wechselt der Autor zunächst seine Erzählperspektive. Im ersten Drittel des voluminösen Bandes erwartet den Leser eine sehr einfühlsam, aber gleichzeitig packende Schilderung der Jugend Ahmann Jardirs. Im ersten Band war er als egoistischer Machtdespot recht einseitig beschrieben worden. Nun also erfährt der Leser die Hintergründe, die zu seiner verwerflichen Tat geführt haben. Durch die Augen des heranwachsenden Jardir lernen wir die Kultur der Stämme, ihre Denk- und Lebensweise kennen. Im Gegensatz zu den Menschen im Norden, die sich hinter die schützenden Grenzen der Siegel zurückziehen, nur auf ihr Überleben schielen, tragen die stolzen Krieger der Wüste den Kampf zu den ihnen verhassten Dämonen. In einer streng auf die Krieger ausgerichteten Kultur vereint die Menschen der heilige Kampf gegen die nächtliche Bedrohung. Ihm opfern sie nicht nur ihr Leben und ihr Blut, ihre ganze Kultur ist auf die Bekämpfung der Dämonen ausgerichtet. Mit diesem Wissen des Hintergrundes wird deutlich, dass Jardir den legendären Runenspeer auf keinem Fall einem der verweichlichten Nordländer überlassen kann. Zwar wird die Tat als solche dadurch nicht gerechtfertigt, der Krieger selbst opfert seinen Freund schweren Herzens dem Ziel des Sieges gegen die Dämonen, aber zumindest nachvollziehbar und verständlich.

Auch die Geschichte der Heilerin Leeshas, des Jongleurs Rojers und des karsianischen Händlers Abban wird weiter fortgesetzt.

In der Auseinandersetzung Jardirs und Arlens sehen die Dämonen, die mit ihren Prinzen neue Streiter aufs Feld entsenden, ihre Chance, die Menschheit endgültig zu besiegen.

Neben all den packenden Kämpfen gegen die Dämonen steht das Buch dieses Mal ganz im Zeichen der unterschiedlichen Kulturen. Ohne hier Scheuklappen aufzusetzen oder mit Vorurteilen an die Materie heranzugehen, gelingt es Brett, das Bild einer am Islam orientierten Kultur zu zeichnen, die im Widerstreit mit einer eher dem Christentum zugeneigten Kultur der Nordländer um die Vorherrschaft ringt. Hier treffen, verkörpert durch die beiden Erlöser, nicht nur zwei unterschiedliche, in ihren Einzelheiten aber sehr glaubwürdig gezeichnete, Kulturen aufeinander, sondern auch zwei Charaktere, wie sie unterschiedliche nicht sein könnten. Hier der stolze Wüstenkrieger, der sein ganzes Leben voller Freude dem Kampf gegen die Dämonen gewidmet hat, der seine Rolle als Erlöser freudig annimmt und bereit ist, wortwörtlich alles für den Sieg der Menschen über die Dämonen zu geben, und dort der eher introvertierte Arlen, der seine Rolle als gepriesener Messias ablehnt, der am liebsten seine Ruhe hätte. Nicht nur, dass ihre Freunde und Verwandte ganz unterschiedliche Ansätze haben, was ihr Lebensglück anbelangt, auch wie sie die Dämonen betrachten unterscheidet sie voneinander. Hier die Dämonen als zu bekämpfendesund letztlich zu besiegendes Feindbild, dort als Strafe Gottes, die es als Buße auszuhalten gilt. Auffallend dabei, dass Brett selbst keine Stellung bezieht, es seinem Leser überlässt zu werten und sich für eine Auffassung zu entscheiden. Seine Gestalten sind immer ausdifferenziert, ihre jeweilige Motivation in sich schlüssig und glaubwürdig, so dass es schwerfällt, über einen der beiden – auch Arlen hat seine negativen Seiten – den Stab zu brechen.

Das Gebotene ist vielschichtig, die vielen, parallel verlaufenden Handlungsstränge fordern die Aufmerksamkeit des Lesers über die ganzen über 1000 Seiten hinweg, wobei einen die sehr sorgfältig ausgearbeitete Welt schnell in ihren Bann zieht. Anzumerken bleibt noch, dass die Lektüre des ersten Bandes unabdingbar für das Verständnis des vorliegenden Romans ist, da es weder eine Zusammenfassung noch ein Glossar gibt.